Es mangelt nicht an Dokumentationen, die mit dramatischen Bildern und nervöser Musik auf eine Katastrophe hinarbeiten und aus diesem Wettlauf gegen die Zeit und dem Wissen des Publikums um das, was passieren wird, ihre Spannung ziehen. Mal geht es um einen Flugzeugabsturz, mal um ein Attentat oder einen Hauseinsturz. 

Was „Der Ausbruch“ erzählt, spielt hingegen ein einer ganz anderen Liga. Hier geht es um den Countdown zu einer Katastrophe globalen Ausmaßes, wie sie die Menschheit noch nie erlebt hat. Ein Umstand, der ohne Dramatisierung fesselt. Der Film von Autor und Regisseur Michael Wech nimmt uns mit zurück in jene Wochen Anfang 2020 als die Welt ratlos schien, was es mit diesem Virus in China auf sich haben könnte. Der Grusel könnte nicht größer sein, angesichts der heutigen Kenntnis des Ausmaßes der folgenden Pandemie. 

Es ist besonders deshalb ein gut dokumentierter Countdown, weil er belegen kann, dass die Protagonisten des Films nicht nur nachher schlauer sein wollen sondern damals tatsächlich früh im Bilde waren. Wir bekommen dokumentiert: Die Erkenntnis war früh da, doch der Wille das Unglaubliche zu begreifen, gering. Man könnte auch sagen: Das Wetter war einfach zu schön um an den nahenden Hurricane zu glauben. Und wie oft irrten sich Meteorologen schließlich schon! 

So zog eine Pandemie herauf, die mit schnellerer Information aus China und ohne Diskreditierung von ersten Forschungsergebnissen mindestens sechs Wochen früher hätte ausgerufen werden können. Klar: Ob ein früherer Aufschrei der Fachwelt und WHO dann wirklich zu einer früheren Wahrnehmung der Bedrohung in der Breite der Bevölkerung geführt hätte - das steht auf einem anderen Blatt. 

Ob es letztlich erst die furchtbaren Bilder und Berichte der Ankunft der Pandemie in Italien waren, die in Deutschland ausreichend emotionalisiert haben, um der schon lange vorliegenden Erkenntnis der Wissenschaft endlich Gehör zu schenken? „Der Ausbruch“ liefert nicht die Antwort darauf, aber die Fragestellung - und legt damit schon den Finger in die Wunde.

Es geht viel mehr um Führung, Vorbereitung und die Bedeutung von Tempo, wie Mike Ryan, Direktor der Nothilfe-Koordination der Weltgesundheitsorganisation (WHO), es schon im Vorspann der Doku betont: "Perfektionismus ist der Feind des Guten, wenn es um Krisenmanagement geht. Schnelligkeit schlägt Perfektion. Das Virus wird dir immer voraus sein, wenn du dich nicht bewegst."

Einmal mehr Weltklasse

Das ist die Kernbotschaft dieser chronologisch erzählten Dokumentation von Michael Wesch und Produzent Leopold Hoesch, welcher im vergangenen Jahr mit der Amazon/ZDF-Doku „Schwarze Adler“ den Deutschen Fernsehpreis gewann. Was das ZDF jetzt in der Mediathek und am Dienstagabend um 20.15 Uhr zur besten Sendezeit auch im Hauptprogramm zeigt, ist einmal mehr Weltklasse.

„Wäre die Pandemie vermeidbar gewesen?“ Der Film verzichtet bei der Suche nach Antworten auf die so oft gehörten Namen und gesehenen Gesichter aus Deutschland, die uns in der Pandemie allen so bekannt wurden, weil er einerseits endet als die Katastrophe nicht mehr zu stoppen war und keine explizit deutsche Perspektive hat, sondern sich dem globalen Thema ganzheitlich annimmt, was ihm international verdienterweise Aufmerksamkeit bescheren dürfte.

„Der Ausbruch“ klagt an, regt an - und ist unbequem. Weil man sich selbst in jene ersten Wochen des Jahres 2020 zurückdenkt, als man trotz all der Berichte, Fakten und Eilmeldungen selbst nicht im Traum daran gedacht hätte, wie aus diesem komischen Virus aus Wuhan die erste Pandemie seit mehreren Generationen werden könnte. An der Spree wurde Berlinale gefeiert, im Rheinland Karneval - obwohl die Gefahr zu diesem Zeitpunkt schon angekommen war. 

Es ist diese ausdrückliche Datierung von Erkenntnissen auf diese ersten Wochen 2020, die „Der Ausbruch“ so wirkungsvoll machen und das obwohl, wenig überraschend, weder aus China noch von der WHO Statements zu bekommen waren. Dass der Film aber daran erinnert, wie die WHO 2009 eine Pandemie ausrief, die dann weit weniger dramatisch verlief und die WHO sich Panikmache vorwerfen lassen musste, balanciert den Blick auf die langsame WHO im Falle der Corona-Pandemie ein Stück weit aus.

Einer der überraschenden Momente der Doku gibt es übrigens gleich zum Einstieg: Wir sehen einen Ex-US-Präsident der unerwartet prophetisch klar benennt, was später bei dieser Corona-Pandemie vielfach versäumt wurde. Es setzt den Ton für den realen Grusel dieses Countdowns. Der bis dato wichtigste Film zu Corona endet, als die Pandemie endlich ausgerufen wurde - im März 2020 und damit viel zu spät. Das mahnt er an, aber hält uns als Publikum auch den Spiegel vor: Wann haben wir denn angefangen ernstzunehmen, was in jenen Wochen Anfang 2020 mehr und mehr deutlich wurde?

"Der Ausbruch" läuft am Dienstag, 17. Mai um 20.15 Uhr im ZDF und ist in der ZDF Mediathek abrufbar