Sollten Sie sich schon einmal die Frage gestellt haben, ob Karl Lauterbach das Zeug zum Comedian hat, dann gibt Ihnen "One Mic Stand" die Antwort darauf. In der neuen Amazon-Show werden prominente Menschen wie Lauterbach in einer Art Comedy-Crashkurs von Profi-Humoristen gecoacht, um am Ende für ein rund zehnminütiges Stand-Up auf einer Bühne zu bestehen. Die Gefahr des Scheiterns ist also ständig greifbar – auch, weil ein Gag-Feuerwerk vor Publikum etwas anderes ist als beim Grillabend mit Freunden einen Witz zu erzählen.

Der Gesundheitsminister, der zum Zeitpunkt der Aufzeichnung noch nicht in Amt und Würden war, lässt sich trotzdem auf das Experiment ein. "Was hat mein Friseur gemeinsam mit der SPD?", fragt er und gibt die Antwort sogleich selbst: "Beide sind Experten im schlecht Abschneiden." Über den "Schmunzeldoktor und Seicht-Entertainer" Eckart von Hirschhausen lässt Lauterbach wissen: "Hirschhausen versucht die Menschen zu kurieren, indem er sie glücklich macht, erleichtert und ihnen Hoffnung gibt." Er selbst sei dagegen als klassischer Arzt: "Ich arbeite mit Schmerzen, Bedrohung und Verzweiflung und bitte die Leute dabei noch, eine Maske zu tragen."

Nein, an Humor und einer Prise Selbstironie mangelt es dem SPD-Politiker nicht. Eher an Zeit, wie die Premieren-Folge von "One Mic Stand" zeigt. Weil die Produktion rund um die Bundestagswahl stattfand, hatte seine Mentorin, die Komikerin Hazel Brugger, kaum Gelegenheit, an Karl Lauterbach ranzukommen. Anstelle eines ausgiebigen Comedy-Trainings, das ja eigentlich das Kernstück der Leonine-Produktion sein sollte, muss Prime Video daher auf Füllmaterial zurückgreifen, das Brugger bei der Suche nach dem Politiker zeigt.

Ihr Besuch bei einer Wahlkampfveranstaltung in Leverkusen ("dort, wo es noch menschelt") erinnert bisweilen mehr an einen Einspielfilm der "heute-show" – was auch deshalb schade ist, weil sich im weiteren Verlauf der Sendung zeigt, wie viel Potenzial in der eigentlichen Idee steckt. Bei der späteren Autofahrt von Lauterbachs Kölner Büro zum Wiesbadener Kurhaus, in dem das Stand-Up stattfinden soll, zeigt sich, was möglich gewesen wäre. Brugger und Lauterbach harmonieren prächtig, scherzen über Orgasmen und kalte Füße; und der Politiker nimmt schließlich sogar die Worte Titten und Spacken in den Mund. "Das kostet das Mandat, wenn ich Titten sage", scherzt Lauterbach.

One Mic Stand © Amazon Prime Video / LEONINE Studios / Daniel Dornhöfer Christoph Kramer, Teddy Teclebrhan und Harald Schmidt bei den Dreharbeiten zu "One Mic Stand".

Angekommen in Wiesbaden, geht das Coaching noch ein bisschen weiter, ehe dann auch schon der Auftritt des SPD-Mannes folgt, der einst sogar Mitglied der CDU gewesen ist. "Wenn ich noch bei der CDU wäre", witzelt er vor Publikum, "müsste ich mich mit Armin Laschet herumschlagen." Hier, aber auch in anderen Momenten zeigt sich dann auch sogleich die Schwäche der langen Vorlaufzeit: Auch wenn Brugger und das Autoren-Team spürbar versuchen, den heutigen Gesundheitsminister mit möglichst zeitlosen Gags zu versorgen, so wirkt "One Mic Stand" an manchen Stellen so, als habe die Show ein wenig zu lange herumgelegen.  

Dazu kommt, dass es einiger Schnittkunst bedarf, um die Wartezeit bis zu Lauterbachs Auftritt zu überbrücken. Obwohl sich Hazel Brugger und Moderator Teddy Teclebrhan Mühe geben, das Publikum im prunkvollen Kurhaus zu unterhalten, so dauert die Hinführung bis zum eigentlichen Höhepunkt am Ende etwas zu lang. In den weiteren Folgen, in denen erkennbar mehr Zeit für die Vorbereitung der Promi-Auftritte blieb, fällt die Wartezeit dagegen nicht so sehr ins Gewicht – auch wenn hier offenkundig ebenfalls nicht alles nach Plan lief.

In einer späteren Folge sollte Mats Hummels seine Comedy-Feuertaufe absolvieren, doch kurz vor dem Auftritt musste der Fußballprofi krankheitsbedingt absagen, sodass Christoph Kramer kurzfristig an seine Stelle trat. Doch auch wenn Hummels letztlich fehlte, zeigte sich zuvor deutlich besser als bei Lauterbach, dass das Grundkonzept zu unterhalten weiß, was in diesem Fall auch daran liegt, dass Harald Schmidt als Lehrer eine glänzende Figur macht. Überhaupt glänzt der Late-Night-Altmeister mit eigenen Akzenten: Sein Auftritt im Königsmantel ist ebenso sehenswert wie der spätere Smalltalk mit einer Zuschauerin aus dem Publikum, die wegen politisch unkorrekter Witze ein wenig die Nase rümpft. Und dass Schmidt in der Amazon-Show, die übrigens sein langjähriger Weggfährte Fred Kogel produziert, sogar den Namen des Streaming-Konkurrenten in den Mund nehmen darf ("Ich hab ja nur sechs Minuten bei Netflix"), ist eine amüsante Randnotiz.

Ob "One Mic Stand" das Zeug zum nächsten "LOL" hat, wie manche schon im Vorfeld munkelten, darf allerdings bezweifelt werden, auch wenn beide Shows eint, dass Amazon große Namen auffährt. Doch leider wirkt das neue Format stellenweise seltsam zäh und künstlich. Gleichwohl ist "One Mic Stand" dank der guten Besetzung sehenswert, wenngleich ein stärkerer Fokus auf den Weg der Promis zum Stand-Up der Show gut täte. Aber immerhin wissen wir jetzt, dass Karl Lauterbach locker eine Zweitkarriere als Comedian starten könnte, sollte er nach seinem Job als Gesundheitsminister noch eine Anschlussbeschäftigung suchen.

"One Mic Stand", ab sofort bei Prime Video