Ein halbes Jahr nach seinem Abschied vom "heute-journal" ist Claus Klebers markante Stimme endlich wieder im ZDF zu hören. "Man kann leicht unterschätzen, was da gerade passiert", sagt er, "so sachte haben sich ihre Produkte in unser Leben und unsere Hände geschlichen." Doch jetzt folgten die Macher vom Silicon Valley "noch ganz anderen Visionen". Klebers Forderung direkt zu Beginn: "Es wird Zeit, sich darüber klar zu werden und sich einzumischen."

Mit seiner neuen Dokumentation "Utopia – Irre Visionen in Silicon Valley", die er gemeinsam mit Angela Andersen gedreht hat, will Kleber dazu beitragen, die Sinne des deutschen TV-Publikums für die Macht der Musks und Zuckerbergs dieser Welt schärfen. Der Film beginnt mit einem Blick zurück. Elon Musk, der reichste Mann der Welt, steht 2012 vor Studierenden. "Man kann moderne Technik von Zauberei nicht mehr unterscheiden", hört man ihn sagen, ehe er sich schließlich direkt an seine Zuhörer wendet: "Ihr seid die Magier des 21. Jahrhunderts. Geht raus und zaubert!"

Was sich anhört, als habe sich Musk an einer Neuinterpretation der legendären Worte Franz Beckenbauers versucht ("Geht's raus und spielt's Fußball"), ist in Wahrheit viel weitreichender. Mit Neuralink etwa hat er feine Sonden entwickelt, die Zugriff auf das menschliche Gehirn haben. Ziel ist, die Elektroden mit Datenbanken, künstlicher Intelligenz und Schwärmen anderer menschlicher Gehirne zu vernetzen. "Eigentlich nur ein Fitnessarmband im Schädel mit kleinen Drähtchen", führt Musk lapidar aus. "Das Ungeheuerliche möglichst harmlos darzustellen", so beschreibt Claus Kleber die Kommunikation des Milliardärs, der längst auch ins All strebt. "Nur vier Akteure haben es geschafft, Menschen in eine Umlaufbahn um die Erde zu bringen", erinnert der frühere "heute-journal"-Anchor und beginnt mit seiner Aufzählung: "Sowjetunion, USA, Volksrepublik China und der Typ im T-Shirt."

"Reichweiten, die kein Sender bieten kann"

Interviews mit den mächtigsten Akteuren, Männern wie Elon Musk oder Mark Zuckerberg, hat die Dokumentation nicht zu bieten. Auch nach einem Jahr intensivster Bemühungen seien sie dafür nicht zu gewinnen gewesen, heißt es im begleitenden Text zu "Utopia" – auch, weil sie ihre Publika längst selbst schafften, "mit Reichweiten, die kein Verlag oder Sender bieten kann" und denen "sie allein den Kontext bestimmen".

Umso wichtiger also, dass das ZDF mit dem Film zeigt, wie vom Silicon Valley aus unsere Welt in atemberaubendem Tempo und Umfang verändert wird. Doch auch ohne die mächtigen Männer kommen in "Utopia" interessante Stimmen zu Wort. Etwa die eines jungen Kanadiers, Kind chinesischer Einwanderer, der einer der ersten Mitarbeitenden von Musks umstrittenem Neuralink-Projekt war und trotz aller Gefahren glaubt, sich auf dem richtigen Weg zu befinden, um die Weltherrschaft künstlicher Intelligenz menschlich einzuhegen.

Da ist aber auch Jaron Lanier, einer der Gurus des Silicon Valley, der der virtuellen Realität einst ihren Namen gab und nun in Rastalocken davor warnt, die Bevölkerung paranoid, eitel und unsicher werden zu lassen. Zuckerbergs Modell des Metaverse treibe die Menschen in den Wahnsinn, meint er. "Das kann die Menschheit nicht überleben."

Es sind spannende Einblicke in eine - nein: in unsere Welt, in der auf lange oder vielleicht sogar erstaunlich kurze Sicht virtuelles und reales Leben miteinander verschmelzen sollen. Nennenswert Neues hat die Dokumentation dem Thema zwar nicht hinzuzufügen; im Silicon Valley wird also niemand zittern müssen. Ihre Stärke liegt vielmehr darin, innerhalb einer Dreiviertelstunde ein komplexes Zukunftsthema verständlich aufzubereiten und so für ein breites Publikum nachvollziehbar zu machen. Vor diesem Hintergrund ist es dann auch schade, dass "Utopia" im linearen Programm erst um 23:00 Uhr ausgestrahlt wird – mindestens ein Sendeplatz unmittelbar im Anschluss an das "heute-journal" wäre verdient gewesen.

"Utopia - Irre Visionen in Silicon Valley", Dienstag um 23:00 Uhr, ZDF und ab sofort in der ZDF-Mediathek