Seit die Schriftstellerin Rebecca Solnit vor 20 Jahren bloggte, wie ihr ein Fremder mal das eigene Buch erklärte und sogar noch fortfuhr, nachdem sie sich als dessen Autorin präsentierte, war das Glossar kommunikativer Absurditäten um ein Wort reicher: Mansplaining, der männliche Brauch, Frauen die Welt zu erläutern. Seit Solnit das Erlebnis 2014 in einem Bestseller verarbeiten durfte, schwillt dieses meist denglische Vokabular auch hierzulande auf Duden-Größe an.

Kleine Begriffskunde zur Umschreibung bestrittener, ignorierter, schöngefärbter Privilegien? Whataboutism (Betonung fremder Makel anstelle der eigenen), Tone policing (Aberkennung legitimer Wut benachteiligter Personen), Victim blaming (Täter-Opfer-Umkehr) und neu im Angebot vorteilsrelativierender Neologismen: Tokenisierung, also symbolische Gesten einer vorgeblichen Diversität – allesamt häppchenweise zubereitet in der Sketch-Comedy „Wir sind die Meiers“.

Achtmal 22 Minuten nimmt sich das ZDF nach dem „heute-journal“ bundesbürgerliche Eigenarten am Beispiel der fiktiven Familie mit dem denkbar deutschesten aller Namen vor und schafft ein Panoptikum vererbter bis erlernter Vorrechte, die oft erheitern, noch öfter jedoch wehtun. Gleich zum Auftakt warten drei Elternteile vor der Henry-Hübchen-Gesamtschule im SUV auf ihre Kinder. „Der Parkplatz vorm Biomarkt ist immer nur halbvoll“, kritisiert eine der gepanzerten Mütter das Versagen beim Klimaschutz. Ergo: Whataboutism.

Und so geht es weiter. „Wir haben uns beim Thema Reisen ganz stark eingeschränkt“, wäscht sich die zweite per Tokenisierung rein, weil sie auf Mauritius ein Bio-Resort mit CO2-Zertifikat inklusive gebucht habe, worauf die erste einen Lastenradfahrer, der sich über Spritschleudern aufregt, „das ist’n Plug-in-Hybrid“ zubrüllt und mit „ich hab‘ diese Bigotterie so satt“ Whataboutism hinzufügt. Eine einzige Täter-Oper-Umkehr alias Victim blaming, wie auch andere Clips aus diesem Abgrund der Alltagsabsurdität zeigen.

Da mietet sich ein Baumarktleiter beim Katjana M.s LGBTQ4U-Service zur Filialeröffnung schwarze, schwule, behinderte Laiendarsteller, um toleranter zu wirken. Da verurteilen die Influencerinnen Larissa und Vanity M. beim FuZo-Interview Cyber-Mobbing – sofern es sich nicht um Thorben handelt, der „ne Hasenscharte“ hat, „natürlich mobben wir den“. Da hat Showrunner Chris Geletneky ein 13-köpfiges Ensemble von Bettina Lamprecht bis Jürgen Tarrach in Doppel- bis Dreifachrollen versammelt, um der vielbesungenen Mitte auf die Finger zu (sc)hauen.

Obwohl es ihm häufig gelingt, erklimmen Regisseur Markus Linhof und sein Kollege Lutz Heineking, jr. zwar noch keineswegs konstant den Gipfel humoristischer Milieuverspottung; wenn Matthias Matschkes Abgeordneter Christian Friedrich M. der Presse mitteilt, warum seine „Dickpic“ genannten Penisbilder im Bundestagsverteiler kursieren (KI und Kunst), ist das demnach ähnlich wohlfeil wie Wadenkrämpfe, die der Fitness-Guru Jeanine M. beim Anfeuern ihrer Trainingsgruppe kriegt.

Letztlich aber erklärt der Headautor eines knappen Dutzends Drehbuchprofis durchaus schlüssig, was „Wir sind die Meiers“ rechtfertigt: Im Vergleich zu seiner Geschichtspersiflage „Sketch History“ etwa suche Geletneky „die Widersprüche, das Absurde, den Irrsinn unserer Gesellschaft“. Im Land reflexionsgestörter Trotzköpfe also, dem durchaus ein Popsternchen wie Manu M. (Jasmin Schwiers) entspringen könnte, die im Ballermannhit „ich fühl mich Solar-la-lalala-shalala“ grenzdebiles Greenwashing betreibt.

Ob solche Figuren nun allesamt Meier heißen, ist bis auf Sequenzen einer Gruppentherapie im Stuhlkreis eigentlich egal. Allerdings schmiert es ein wenig Kitt ins Alleinstellungsmerkmal einer Familiencomedy, die ihrerseits Teil der Gattung selbstironischer Milieustudien ist. Gern im Stil realfiktionaler Mockumentarys, waren zuletzt ARD („Almania“) und ZDF („Normaloland“), RTL („Herzogpark“) oder Joyn+ („jerks.“), selbst die Biedermeier vom MDR („Irgendwas mit Medien“) auf der Suche nach deutschen Klischees, um sie durch Übertreibung zu dekonstruieren. Das Dilemma: wie beim Urvater nachkriegsdeutscher Selbstbespiegelungen – dem Pantoffelpatriarchen „Ekel Alfred“ – könnte das Publikum eher Fremd- als Eigenscham entwickeln, statt innerer Einkehr also äußere Abwehr.

Der uneitle Ego-Zerstörer Bastian Pastewka hat als ebender sein Sat.1-Publikum ja auch nicht zum Besseren geläutert. Oder glaubt irgendjemand, Emanzipation und Wokeness hätten es im reaktionären Sperrfeuer von CSU bis "Bild" gerade leicht? Einerseits. Denn andererseits muss ein Format wie dieses ja nicht die Welt retten, wenn es dem Puls einer Fernsehnation nachspürt, die den Meiers mit etwas Glück und dem Rückenwind des "heute-show"-Sendeplatzes ja vielleicht zumindest ordentliche Einschaltquoten beschert. Verdient wär’s allemal.

So oft sich Geletnekys Writers Room im Kleinklein steiler Stereotypen über Schwaben, Beamte, HipHop verheddert, so FDP-like seine Theorie der Familie als Ort aller „politischen Ansichten, Religionen, sexuellen Identitäten, Einkommensschichten“ angesichts sozial hermetischer Grenzen ist, so routiniert löst er Knoten im Kopf einer Bevölkerung, die sich gern auf Seiten des Guten sieht. Per Mansplaining zum Beispiel, das kommt natürlich auch vor. In Gestalt des Menfluencers Timo M. (Balthazar Zeibig) etwa, ein pickliger Incel, der dem Internet erzählt, was Frauen wollen („eigentlich steht ihr doch auf Männlichkeit“) – bis seine Mutter reinkommt und sich fürs Wäschefalten bedankt. Witzig. Wahrhaftig!

"Wir sind die Meiers" läuft im ZDF freitags um 22:30 Uhr.