Auf seinem Streamingdienst RTL+ setzt RTL Deutschland schon seit einiger Zeit auf eine ganze Reihe von Reality-Formaten. In erster Linie geht es hier um das Thema Dating. Und eines haben alle gemeinsam: Viel nackte Haut. Insofern überraschte es nicht, dass man vor einigen Monaten unter dem Titel "Stranger Sins" ein weiteres, solches Format ankündigte. Aber schon bei genauerem Hinsehen waren Unterschiede zu erkennen. 

Zwar geht es auch bei "Are You The One?" und ähnlichen Formaten um Sex, so wirklich aktiv im Mittelpunkt steht das aber nicht. Das soll sich in "Stranger Sins" ändern. Hier geht es ganz explizit um die schönste Nebensache der Welt, RTL+ bezeichnet die Sendung als "Erotik-Reality". Acht Paare sollen in Mexiko ihren erotischen Fantasien und Fetischen nachgehen, zu denen ihnen bislang der Mut fehlte. 

Nach Ansicht der ersten beiden Folgen muss man konstatieren: Treffer, versenkt. Den Paaren geht es darum, mal einen Dreier zu versuchen, mit BDSM zu experimentieren oder einfach sich, den Partner und den eigenen Körper besser kennenzulernen, um den Orgasmus besser zu erleben. Und während sich andere Reality-Formate im RTL+-Portfolio auf Bettdecken beschränken, die sich rhythmisch auf und ab bewegen, geht "Stranger Sins" noch viel weiter. 

Kleidung ist bei den Paaren eine seltene Rarität, die quasi nur in Ausnahmefällen vorkommt. Immer wieder haben die Paare auch Sex, was recht deutlich zu sehen ist. Explizite Szenen gibt es keine, die Darstellung ist für gewöhnliche TV-Verhältnisse trotzdem eine Neuheit. Das wird mit Sicherheit nicht jedem gefallen - und es ist wahrscheinlich ein gewichtiger Grund, weshalb das Sex-Format nur auf der Streamingplattform und nicht im linearen Fernsehen zu sehen ist. 

Teilweise wie Aufklärungsfernsehen

Lea Holzfurtner © RTL / Kimberly Bender Sexologin Lea Holzfurtner begleitet die Paare
Dabei hat "Stranger Sins" einen entscheidenden Vorteil. Das Format aus dem Hause RTL Studios bedient zwar auch eine gewisse Art des Voyeurismus, ist aber an keiner Stelle billig. Wer auf klassisches Trash-TV mit viel Sex gehofft hat, dürfte also enttäuscht werden. Vielmehr spricht Sexologin Lea Holzfurtner mit den Paaren zu Beginn über ihre Wünsche und Fantasien - und gibt danach immer wieder Ratschläge. Dabei erhält sie Unterstützung von Sex-Coach Dominique Insomnia und Tantra-Experte Eric Osterlund. Immer wieder wird betont, dass es um "Sex-Positivität" gehe und man Scham und Schuldgefühle aus der Sexualität herausnehmen müsse. Insofern wirkt "Stranger Sins" an einigen Stellen beinahe wie Aufklärungsfernsehen. 

Aber keine Angst: Hier und da wird es auch wahlweise seltsam oder witzig, wenn auch teilweise unfreiwillig. Wenn Holzfurtner die Paare etwa bei ihrer Ankunft in Mexiko begrüßt, steht sie da wie die Sex-"Bachelorette", um die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach einem ersten Händeschütteln zu fragen, wie ihre Anreise war. Viel biederer geht ein Einstieg in ein Gespräch wohl nicht. Kurz danach geht es aber schon ans Eingemachte und die Sex-Expertin spricht mit den Paaren über das, was sie in der Hacienda in Mexiko erwartet. Zur Veranschaulichung kommt da auch schon mal ein Klitoris-Kissen zum Einsatz. 

Und da kommt es auch gleich zu ersten Spannungen: Das erste Paar will einen Dreier ausprobieren. Wobei: Eigentlich will das nur sie, für ihn ist eigentlich alles gut so wie es ist. Und so fällt im Laufe der ersten Sendung der legendäre Satz: "Du bist die Liebe meines Lebens. Aber ich brauche mehr." Und er entgegnet irgendwann: "Ich möchte nur nicht, dass es zum Standard wird, dass du gefühlt jedes Wochenende weg bist und Gott und die Welt am Bumsen bist."

Und auch wenn das lustig klingt, steckt ein ernstes Thema dahinter. Wie geht es dem Paar, wenn es im Verlauf der weiteren Folgen ernst wird? Das könnte noch spannend werden und auch Stoff für einen Nachdreh geben. Was hat das Format bzw. das Experiment mit Gina und Alex, so die Namen des jungen Paares, mittel- und langfristig gemacht? Alex ist die meiste Zeit über sichtlich unangenehm berührt und von der Situation verunsichert. Darin liegt ein großer Reiz der Sendung: Was macht die Situation mit der Person, von der die Initiative nicht ausging?

Fingerspitzengefühl bei Eric und RTL Studios

Eric Osterlund © RTL / Kimberly Bender Tantra-Coach Eric Osterlund kennt sich auch mit Fingernägeln aus
Es gibt aber auch solche Paare, bei denen beide in die Sendung wollten. Kate und Angel zum Beispiel. Die beiden Frauen wollen ihren Orgasmus verlängern bzw. intensiver ausleben. Und da kommt Tantracoach Eric ins Spiel, der den beiden seine Massage-Kunst vorstellt und für Schnittbilder immer wieder wie ein buddhistischer Mönch in der Gegend rumsitzen und meditieren muss. Als es ernst wird, stehen die beiden Frauen plötzlich vor einem sehr weltlichen Problem: Die Fingernägel von Angel sind viel zu lang, schließlich soll sie ihre Partnerin bei der Intim-Massage nicht verletzen. Und so zögert sie zunächst, ob sie ihre kostbaren, künstlichen Fingernägel tatsächlich stutzen soll. 

Zum Glück hat Tantra-Eric einen Nagelknipser dabei, sodass niemand an den Nägeln herumbrechen muss. Am Ende will Angel aber nur einen ihrer Fingernägel kürzen, ihrer Partnerin hat die Massage trotzdem gefallen. Auch hier sieht man viel, aber nicht zu viel. Bei RTL Studios haben sie ein gutes Fingerspitzengefühl für die expliziten Szenen und wie sie diese möglichst ästhetisch darstellen, ohne in eine Art Porno zu verfallen. Die Macherinnen und Macher haben sich sichtlich Mühe gegeben, eben kein billiges Sex-Format zu produzieren. Davon gibt es bei RTL+ ja ohnehin schon genug. Insofern ist "Stranger Sins" eine gelungene Reality-Neuentwicklung.

Die ersten zwei Folgen von "Stranger Sins" stehen ab dem 21. Juli bei RTL+ zum Abruf bereit. Wöchentlich kommen zwei weitere hinzu.