Weltweite TV-Trends haben ihren Ursprung selten in Deutschland. Doch bei True Crime ist die Lage eindeutig – und reicht zurück bis ins Jahr 1967. Eduard Zimmermann war es, der damals mit "Aktenzeichen XY... ungelöst" das weltweit erste True-Crime-Format erfand und damit einen Dauerbrenner, der bis heute ein Millionenpublikum erreicht.

In deutschen Wohnzimmern war die Welt bis dahin noch in Ordnung. "Noch ahnen die Fernsehzuschauer nicht, dass sie von nun an viel schlechter schlafen werden als bisher", raunt die Filmemacherin Regina Schilling, gesprochen von der Schauspielerin Maria Schrader, zu Beginn ihrer neuen Dokumentation in bester "XY"-Manier. Aus ihrer sehr persönlichen Perspektive befasst sich die Autorin und Regisseurin mit dem TV-Klassiker, den Zimmermann als Aushängeschild des ZDF über drei Jahrzehnte hinweg nicht nur moderierte, sondern auch prägte.

"Zimmermann geht nicht gerade zimperlich um mit uns ahnungslosen Zuschauern", sagt Schilling, der es in ihrer Kindheit vermutlich wie vielen anderen Heranwachsenden ging, wenn sie mit "XY" in Kontakt gerieten. Tagsüber habe sie sich vorgestellt entführt zu werden, beim Sonntagsspaziergang suchte sie sicherheitshalber die Nähe ihrer Eltern und wenn diese einmal ausgingen, wurde ein Küchenmesser unter dem Kopfkissen platziert.

"Eduard Zimmermann schien unsere Angst nicht zu kümmern", erzählt sie und stellt schließlich eine entscheidende Frage: "Brauchte er sie für seine Sendung?"

Eduard Zimmermann © ZDF Die private Konkurrenz macht Druck: Eduard Zimmermann posiert für "Aktenzeichen XY... ungelöst" mit einem Gewehr.

Sorgfältig arbeitet Regina Schilling in 90 Minuten heraus, wie groß Zimmermanns Einfluss war – und zwar längst nicht nur, wenn es darum ging, wahre Verbrechen aufzuklären. Mit einigem zeitlichen Abstand wird deutlich, dass seine Sendungen filmisch normative Bilder gesellschaftlicher Ordnung vermitteln. "Wer einmal begonnen hat, genauer hinzuschauen, wird sehen, wie nachhaltig Zimmermann Spuren bei uns hinterlassen hat", sagt die Filmemacherin im Begleitmaterial zu ihrer Dokumentation. "Wie viele der Ängst, die die Sendung damals ausgelöst hat, beschäftigen uns noch heute – insbesondere Frauen?"

Tatsächlich ist das in der Zimmermann-Ära vermittelte Frauenbild bemerkenswert. "Das hat natürlich mit der patriarchalen Struktur unserer Gesellschaft zu tun", räumt Schilling ein. "Aber dennoch war ich überrascht, wie frauenfeindlich die Sendung war. Und wie dezidiert Zimmermann dies nicht nur visuell umsetzt, sondern ausspricht. Ob er selbst, oder die Kriminalkommissare in der Sendung." Heute scheint es, als sei Eduard Zimmermann mit seiner Agenda "der verlängerte Arm unserer Eltern" gewesen, sagt sie. "Dabei war er viel effektiver als die Eltern. Er erklärte uns, was wir tun dürfen und was nicht. Wie die Abweichung von der Norm bestraft wird. Ob Homosexuelle oder alleinstehende Frauen. Wer sich nicht in bürgerlichen Bahnen bewegt, lebt gefährlich. Das ist die stärkste Message der Zimmermann-Jahre von 'XY'."

Schillings Dokumentation erzählt jedoch nicht nur von persönlichen Erfahrungen, sondern weitet die Perspektive; ordnet "Aktenzeichen XY" auch vor dem Hintergrund der westdeutschen Geschichte ein. Als die erste Sendung ausgestrahlt wird, liegt die Adenauer-Ära in den letzten Zügen und konservative Kräfte kommen zunehmend in Bedrängnis. Die Pille, die RAF, die 68er, das Privatfernsehen. Später ist der Feminismus zwar im Bundestag angekommen, aber noch immer nicht bei "XY", wo Frauen weiter vor dem Trampen gewarnt werden, obwohl die Gefahr, hierbei durch einen Unfall ums Leben zu kommen weit größer ist als Opfer eines Verbrechens zu werden. Ein Fakt, der offenkundig nicht in Zimmermanns Weltbild passt. "Küche, Kinder, Kabelfernsehen", in diesem Umfeld zog der Moderator die gesellschaftspolitischen Grenzen – dass häusliche Gewalt die viel größere Gefahr darstelle, blendete "XY" weitgehend aus. "Zuhause", heißt es in dem Film, "sind wir auch nicht sicher."

Nach "Kulenkampffs Schuhe" ist Regina Schilling mit "Diese Sendung ist kein Spiel" erneut eine sehenswerte Dokumentation gelungen, die sich mit der Fernsehgeschichte der Bundesrepublik auseinandersetzt. Ihre große Stärke ist es, die faszinierenden Fernsehbilder von einst sprechen zu lassen – und mit klaren, prägnanten Worten einzuordnen. Dass der Film ausgerechnet im ZDF läuft, ist umso bemerkenswerter, weil er eben keine Lobhudelei eines bis heute andauernden Quoten-Erfolgs darstellt, der noch immer von jener Firma produziert, die Eduard Zimmermann einst gründete. Vielmehr fördert er eindrucksvoll Zimmermanns "blinde Flecken" zutage. Ein ungewöhnlicher, wichtiger Blick auf 60 Jahre ZDF.

"Diese Sendung ist kein Spiel - Die unheimliche Welt des Eduard Zimmermann" um 23:00 Uhr im ZDF