Zur Sicherheit hat Sebastian Fitzek dem Publikum eine Art Beipackzettel zur Verfilmung seines ersten Bestsellers mit auf den Weg gegeben. Wer den Roman noch nicht kennt, solle die Lektüre lieber auf einen späteren Zeitpunkt verschieben, um den nötigen Abstand zwischen den beiden Versionen zu wahren und nicht ständig die Bilder im Kopf zu vergleichen, riet der Autor jüngst in einem Interview mit der "Kleinen Zeitung" aus Österreich. 

Ein Warnhinweis? Mitnichten. Anders als Frank Schätzing, der noch vor der TV-Ausstrahlung des "Schwarms" auf Distanz zu seiner eigenen Serie ging, steht Sebastian Fitzek hinter der Serien-Adaption von "Die Therapie", die jetzt ihre Streaming-Premiere feiert. Darauf deutet schon alleine die Tatsache hin, dass Prime Video jüngst schon das nächste Fitzek-Projekt angekündigt hat, das zusammen mit der Produktionsfirma Ziegler Film entstehen wird.

Fitzeks Ratschlag ist dennoch berechtigt, schließlich wurden für die Serienadaption seines Debütromans einige Änderungen vorgenommen und mancher Schwerpunkt verschoben. Was freilich bleibt, ist der fesselnde Fall, der erkennbar davon profitiert, nicht in einen 90-Minüter gepresst worden zu sein, sondern in eine Miniserie, die es auf viereinhalb Stunden Länge bringt. Das hilft, um sich den sorgsam gestrickten Charakteren allmählich zu nähern und das Publikum lange im Unklaren zu lassen, in welche Richtung sich die Handlung entwickelt.

Die Verfilmung beginnt jedoch zunächst mit schnellen Schnitten und kommt ebenso schnell zur Sache. Josy, die dreizehnjährige Tochter des bekannten Psychiaters Viktor Larenz, ist verschwunden. Es gibt keine Zeugen, aber auch keine Leiche. Zwei Jahre später lebt Viktor zurückgezogen. Eine mysteriöse, junge Frau namens Anna Spiegel spürt ihn auf. Sie wird von Wahnvorstellungen gequält und erzählt von einem Mädchen, das ebenso spurlos verschwindet wie einst Josy.

Sebastian Fitzeks Die Therapie © Prime Video / Britta Krehl Trystan Pütter als Dr. Martin Roth.

Thor Freudenthal ("Carnival Row") und Iván Sáinz-Pardo ("The Head") haben spürbar Freude daran, das Verwirrspiel zwischen Realität und Scheinwelten, von dem Fitzeks Werk lebt, auf die Spitze zu treiben. Gekonnt inszenieren die beiden die ebenso düstere wie mysteriöse Geschichte, die von Alexander Rümelin, Don Bohlinger und Christian Limmer sorgfälig im Writers' Room zum Serienstoff umfunktioniert wurde, auch wenn sie in der zweiten Hälfte erkennbar Mühe haben, das Spannungslevel zu halten.

Dranbleiben lohnt sich trotzdem - schon alleine, weil das Ensemble fabelhaft besetzt ist. Allen voran überzeugt Stephan Kampwirth ("Dark") als Viktor Larenz, dem man den zunehmend gebrochenen Psychiater in jeder Szene abnimmt. Aber auch Helena Zengel ("Systemsprenger") füllt die Rolle der verschwundenen Tochter grandios aus. Gleiches gilt für Emma Bading ("Play"), die als ominöse Anna Spiegel wie keine Zweite für das Unberechenbare in der Serie steht. Ebenfalls stark: Trystan Pütter ("Ku'damm 56"). Er verkörpert mit Dr. Martin Roth die zweite männliche Hauptfigur der Serie und schafft es, diese boshaft und sympathisch zugleich darzustellen.

Dicht erzählt, gelingt es der Serie, am Ende alle Handlungsstränge zu einem schlüssigen Clou zusammenzuführen. Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil anfangs eine sinnvolle Auflösung kaum möglich scheint. Wer das Buch vor 17 Jahren gelesen hat, hat freilich einen Vorteil. Und der Zeitraum zwischen Roman und Serie dürfte sicher auch aus Sebastian Fitzeks Sicht groß genug sein, um sich ein zweites Mal auf diese hervorragende Geschichte einzulassen.

"Sebastian Fitzeks Die Therapie", ab sofort bei Prime Video

Mehr zum Thema