Die Bandbreite von ZDFneo ist mittlerweile ziemlich beeindruckend: So hat sich der Nischensender nicht nur zum King of Comedy entwickelt, sondern zuletzt mit "Der Schatten" auch eine hochgelobte Thriller-Serie gezeigt. Mit "Was wir fürchten" wagt man sich ans Horror-Mysterygenre - also in einen Bereich, der von den Öffentlich-Rechtlichen in der Vergangenheit eher vernachlässigt wurde. Aber auch hier trifft ZDFneo mal wieder voll ins Schwarze, die Produktion von Bavaria Fiction und Mia Film kann auf vielen Ebenen überzeugen. 

Kurz zum Inhalt: Lisa (Mina-Giselle Rüffer) und ihre Mutter Franka (Marie Leuenberger) sind gerade erst in den Schwarzwald gezogen - und das auch, weil Lisa an ihrer alten Schule gemobbt wurde. Bei der Gedenkfeier zu einem Amoklauf, der ein Jahr zuvor an Lisas neuer Schule stattgefunden hat, werden sie Zeuginnen eines Selbstmords. Während Franka als neue Polizeichefin dazu ermittelt und auf immer mehr Ungereimtheiten stößt, wird Lisa von unheimlichen Erscheinungen heimgesucht. Das Mädchen hat offenbar einen Draht in die Welt der Toten. Simon (Paul Ahrens) hat dagegen mit seiner Familie zu kämpfen: Mutter und Vater wollen nicht akzeptieren, dass ihr Sohn schwul ist. Unter ihrem Druck willigt er ein, an einer Konversionstherapie teilzunehmen. Wie das alles zusammenhängt, wird aber erst später erklärt. 

Das klingt alles etwas mehr nach erhobenem Zeigefinger, als es dann wirklich ist. Tatsächlich zeigt "Was wir fürchten" sehr eindrucksvoll, was die sogenannte Therapie, die in Deutschland für Minderjährige erst seit 2020 verboten ist, bei Simon auslöst. Um seiner streng gläubigen Eltern willen strengt er sich an, bemerkt aber, dass das, was da mit ihm gemacht wird, grundfalsch ist. Und so ist die ZDFneo-Serie auch eine Geschichte über toxische Männlichkeit, religiösen Fanatismus und aufgeklärte und gleichzeitig doch verwundbare Teenager, die nicht einmal zu Hause so sein können, wie sie wirklich sind. 

Was wir fürchten © ZDF/ Jan Hromadko /Bavaria Fiction GmbH Bei der Konversionstherapie muss Simon (Paul Ahrens) schießen - "um ein echter Mann zu werden"

Während Simon also mit dem Horror der Konversionstherapie klarkommen muss, findet der Grusel bei Lisa auf einer anderen Ebene statt. Schon die erste Szene von "Was wir fürchten" ist nichts für schwache Nerven und in der Folge sorgt Regisseur Daniel Rübesam immer wieder dafür, dass den Zuschauerinnen und Zuschauern ein kalter Schauer über den Rücken läuft. Sei es, weil verschiedene Charaktere verfolgt zu werden scheinen oder weil dunkle Gestalten plötzlich auftauchen, um dann schnell wieder zu verschwinden. Und immer wieder scheint Lisa an den Erscheinungen zu verzweifeln, kann aber zunächst mit niemandem darüber reden. 

Komplexe, aber eingängige Geschichte

"Was wir fürchten" springt oft spielend leicht zwischen den Genres: Mal eine Horror-Serie, bei der man sich am liebsten die Decke über den Kopf ziehen würde, weil man es vor Spannung nicht aushält. Dann auch ein wenig Mystery, weil einige Dinge nie so wirklich zu erklären sind. Und dann aber auch immer wieder Teenager-Drama. Im letzten Punkt schießt die Serie an wenigen Punkten übers Ziel hinaus und da geht es dann zu viel um die Liebe zwischen verschiedenen Figuren, ihre Eifersucht oder auch um Lisas Vater, der ungefragt auftaucht und im weiteren Verlauf verzichtbar ist. Schade auch, dass ausgerechnet ein kurzer Dialog bei einer entscheidenden Szene in der letzten Folge wie aus einem schlechten B-Movie wirkt. 

Und dennoch kann und muss man Headwriterin Judith Angerbauer und ihrem Team diese manchmal etwas zu ausführlichen Ausflüge ins Teenage-Drama-Genre verzeihen, denn sie halten sich in Grenzen. Außerdem hat man insgesamt eine komplexe und eingängige Geschichte geschaffen, bei der die Zuschauerinnen und Zuschauer nicht immer genau wissen, ob sie ihren Augen nun trauen können oder nicht. Dazu passt, dass Regisseur Daniel Rübesam den Schwarzwald ziemlich düster inszeniert, was durchweg zur Geschichte passt. Hinzu kommt ein ganz wunderbares Zusammenspiel mit der Musik, die von Anna Kühlein verantwortet wurde. Sei es der dröhnende Bass oder ruhige Klaviertöne: Die Musik verstärkt die Grusel-Wirkung, die von "Was wir fürchten" ausgeht, in den meisten Fällen noch um ein Vielfaches und ist preiswürdig.

Starke Leistung vor und hinter der Kamera

Apropos preiswürdig: Das ist auch der Cast, allen voran die Jung-Schauspieler rund um Mina-Giselle Rüffer und Paul Ahrens. Rüffer spielt die Lisa in einer solchen Perfektion, dass man ihr die Zerbrechlichkeit, Unsicherheit und Verzweiflung zu jeder Sekunde abnimmt und mit ihr mitleidet. So ist es auch bei Ahrens, der die Figur Simon so toll spielt, dass man schon alleine an seinen Blicken die innere Zerrissenheit von Simon erkennen kann. Und dann wäre da ja auch noch Leon, verkörpert von Alessandro Schuster, ein sensibler Junge, der durch den Amoklauf vor einem Jahr noch immer schwer traumatisiert scheint - und auch noch unter seinem herrischen Vater leidet. Zu nennen wäre im Cast auch Christopher Schärf, der den Chef der Konversionstherapie gleichzeitig so normal und doch psychopathisch darstellt, dass man als Zuschauer nie wissen kann, was er als nächstes macht. 

Und auch wenn die Macherinnen und Macher sich Mühe geben, lange vieles im Dunkeln zu lassen, so lichten sich gegen Ende der fünften Folge einige Wolken der Unklarheit und die verschiedenen Erzählstränge werden zusammengeführt. Am Ende der Serie haben die Macherinnen und Macher die Geschichte fast schon mustergültig aufgelöst - aber natürlich nicht, ohne vorher noch klarzumachen, dass man sich durchaus eine Fortsetzung vorstellen kann. Aber auch ohne eine zweite Staffel funktioniert "Was wir fürchten" ganz wunderbar als Horror-Mystery-Tennagerdrama-Serie zu Halloween und darüber hinaus. Und gleichzeitig hat ZDFneo damit erneut seine Vielseitigkeit und Wandelbarkeit unter Beweis gestellt. 

"Was wir fürchten" steht in der ZDF-Mediathek zum Abruf bereit. ZDFneo zeigt alle Folgen am Dienstag, den 31. Oktober, ab 22:20 Uhr am Stück.