20 Jahre ist es her, dass das Dschungelcamp Deutschland elektrisierte. Bevor sich selbst weite Teile des Feuilletons mit dem vermeintlichen Ekelfernsehen anfreundeten, war es ein langer Weg. Doch längst ist "Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!" im Mainstream angekommen – und die RTL-Show gehört für viele zum Start ins Jahr wie das Raclette zu Silvester.

Als Aufreger taugt das Format allenfalls noch selten. Auch, weil das Genre der Realityshows viele Nachahmer hervorgebracht hat, die weitere Tabus gebrochen und neue Grenzen überschritten haben, seit Costa Cordalis vor zwei Dekaden von Sonja Zietlow und Dirk Bach die erste Krone auf sein königliches Haupt gesetzt bekam. Wenn für die neuen Dschungelcamper zum Auftakt der 17. Staffel nun also Stinktofu und püriertes Hühnerherz auf dem Speiseplan stehen, dann dürfte das den meisten Zuschauerinnen und Zuschauern allenfalls ein müdels Lächeln abringen.

Aufregung? Skandal? Eklat? Fehlanzeige.

Dabei versuchen die Verantwortlichen des RTL-Dschungelcamps durchaus mit der Zeit zu gehen – etwa, wenn die Camper im Stile von "7 vs. Wild", einem dem Internet entwachsenen Reality-Hit, aus überschaubarer Höhe aus einem Hubschrauber ins braune Nass springen müssen. Im Großen und Ganzen aber bleibt sich "Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!" auch im Jahr 2024 treu und setzt auf die bewährte Mischung aus würgenden Promis und solchen, die sich darüber echauffieren, dass die Ranger wahlweise ihr italienisches Halsband oder die Leoparden-Unterwäsche konfiszieren.

Ich bin ein Star - Holt mich hier raus! © RTL / Stefan Thoyah 20 Jahre nach Costa Cordalis: Das RTL-Dschungelcamp 2024.

Dazwischen gibt’s die gewohnt bissigen Kommentare, wie sie schon seit der ersten Staffel zum guten Ton der Show gehören. Da wird Schauspieler Heinz Hoenig in Anlehnung an einen seiner größten Film-Erfolge mal eben zum "großen Bauchnabellheim" erhoben, weil dessen Umbilicus eine bemerkenswerte Größe misst. Ohnehin sorgt der "Dschungelhoenig" (O-Ton der Moderatoren) direkt in der ersten Folge für Gesprächsstoff – wenn auch auf fragwürdige Weise, weil die ungnädigen Kameras einfangen, dass der 72-Jährige erst ins Camp pinkelt und sich schließlich nach dem großen Geschäft nicht einmal die Hände wäscht.

Dass Hoenig gleichwohl einer der wenigen nach traditionellen Maßstäben echten Stars im diesjährigen Camp ist, wird in der ersten Hälfte der Auftaktshow schnell ersichtlich. Heavy-User von Instagram oder zahlende Abonnenten von RTL+ sind in diesem Jahr definitiv im Vorteil, wenn es darum geht, der Handlung im australischen Murwillumbah zu folgen. Idealerweise bedarf gar eines abgeschlossenen Reality-Studiums, um das teilnehmende Personal und seine Vorgeschichte zu kennen. Wenn der muskelbepackte Mike Heiter ("Ich tauch' mal hier auf, tauch' mal da auf") Down Under auf seine frühere "Are You The One"-Liebelei Kim Viginia ("Wimpern gemacht, Nägel gemacht, Brüste gemacht") trifft, dann ist das mindestens Fernsehen für Fortgeschrittene.

Da ist man als Otto-Normal-Zuschauer regelrecht erleichtert, dass Ex-Rennfahrer-Gattin Cora Schumacher kurz vor dem Ende nicht mit der an den Boulevard gerichteten Botschaft hinterm Berg halten kann, sich in den im kalten Deutschland weilenden Oliver Pocher verguckt zu haben.

Bei so viel Zwischenmenschlichem rückt fast in den Hintergrund, dass der Staffel-Auftakt von "Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!" routiniert lieferte, was man seit zwei Jahrzehnten von der Show erwartet: Fragwürdige Mahlzeiten wie Pannakotza oder Superwürmer. Und natürlich skurrile Lebensweisheiten wie diese von "GZSZ"-Schauspieler Felix von Jascheroff beim Feuermachen: "Da nimmt man mal das Zepter in die Hand, damit der Hase ein bisschen rollt."

Und glücklicherweise ist auch nach so vielen Staffeln noch immer auf die Autoren Verlass, die der Stammesältesten Sonja Zietlow und Jan Köppen, dem Co-Moderator im zweiten Lehrjahr, herrliche Sätze in den Mund legen. Bei RTL, so erklären sie dem Publikum, nachdem einer Camperin ein ins Gepäck geschmuggeltes Kondom abgenommen wurde, müsse man mit drei Fällen rechnen: Nominativ, Dativ und Präservativ.

So bleibt das Dschungelcamp also, aller Routine und Belanglosigkeiten zum Trotz, auch nach all den Jahren noch immer ein schönes Fernsehritual, das vor den großen Herausforderungen und Themen unserer Zeit in bisweilen bizarrer Weise eine wohltuende Wirkung entfacht. Auf dass niemand die nächsten 20 Dschungel-Jahre verhüten möge.