Die Zauberformel betriebsblinder Zuversicht lautet: Alles wird gut. Selbst unter Pessimisten gibt es ja viele, die etwas Restoptimismus dulden, um eingedenk aufgetürmter Krisen immerhin ein paar der katastrophalsten zu zügeln. Notorische Schwarzmaler wie Sven zum Beispiel: Ein Zyniker, der Visionen hasst, weil „sie die Welt am Ende immer nur schlechter gemacht haben“. Ein Lehrer, dem sein Geschichtsunterricht dazu tagtäglich die Beratungsresistenz der eigenen Spezies belegt. Ein Vater, dessen Kind demnach bereits im Vorschulalter Weltuntergangswissen tankt wie Gleichaltrige Conny-Geschichten.

Auch er sagt allein im 1. Teil einer Netflix-Serie, die Schicksalsschläge geradezu stapelt, gefühlte achtmal, alles werde gut. Dabei geht in „Das Signal“ von Beginn an praktisch alles schief. Eben noch hat Sven (Florian David Fitz) mit Tochter Charlie (Yuna Bennett) die Rückkehr seiner Frau Paula (Peri Baumeister) von der Weltraumstation ISS am Bildschirm verfolgt, da havariert neben Wirtschaft, Demokratie, Weltordnung und Klima auch noch die Kleinfamilie der Astronautin.

Ausgerechnet auf dem relativ harmlosen Rückflug aus Chile nämlich verschwindet ihr Flugzeug spurlos. Damit nicht genug, steht das BKA vor Svens Hoteltür und macht Paula für den Absturz verantwortlich. Und als die Showrunner Nadine Gottmann und Sebastian Hilger Svens Realität in Rückblicken dann auch noch zu einem Brei aus Lügen, Intrigen, Manipulation verrühren, gerät das Leben sämtlicher Charaktere so vollumfänglich aus den Fugen wie jenes der baugleichen Apple-Serie „Constellation“.

Nahezu zeitgleich entstanden, kehrt auch darin eine Astronautin (Noomi Rapace) von der galaktischen ISS heim, um zurück auf Erden buchstäblich ins Chaos zu stürzen. Mysteriöser als die Koinzidenz beider Streaming-Ereignisse ist da eigentlich nur noch der Serientitel, den Paula ständig an Bord empfängt. „Das Signal“ lautet „Hello“ und wäre weniger spektakulär, würde es die Raumstation nicht im Funkschatten der Erde erreichen. Dort also, wo allenfalls Außerirdische für Kommunikationsversuche in Frage kämen.

Spätestens hier könnte der Vierteiler zum Spielberg-Blockbuster des neuen Kinos Serie anschwellen. Quasi die „Unheimliche Begegnung der dritten Art“ fürs Smartphone-Zeitalter. Dramaturgisch clever, schauspielerisch souverän, filmtechnisch so plausibel, dass Paulas Blut tatsächlich durch die Schwerelosigkeit zu schweben scheint, als sie sich darin selber verletzt. Warum sie das tut, wird hier nicht verraten. Nur so viel: die Exosphäre bildet allenfalls den Rahmen einer eher philosophischen Story.

Das Signal © Netflix/Anika Molnar

Die wahren Hauptakteure heißen demnach weder ISS und ESA noch CGI und SFX, ja nicht mal Sven und Paula. Es sind Angst und Stille. Erstere löst das Fremde in, über, um uns aus, was die faktengläubige Kommissarin (Meret Becker) ebenso fürchtet wie die verschwörungsgläubige Prepperin (Katharina Thalbach). Letztere bildet die Atmosphäre, in der alle im All wie auf Erden agieren – besonders Charlie, die taub zur Welt gekommen mit ihrem Cochlea-Implantat hören kann, sofern sie es will. Und oft will sie nicht.

Spätestens wenn sie ihr Hörgerät abnimmt, um der Realität zu entfliehen, trifft die Serie deshalb auf „Gravity“ trifft auf „Interstellar“ trifft auf wegweisende Science-Fiction, die das Universum als luftleeren Raum akzeptiert und dank Jan Prahls Kameraführung buchstäblich in Ruhe lässt. Weil „Das Signal“ kosmische Mystery aus deutscher Produktion (Bon Voyage Films) ist, trifft es zwar auch mal auf „Dark“, verwechselt Emotion also mit Pathos und verliert sich mitunter im Zwang der Bedeutungsschwangerschaft.

Auf der Erde wird's thrillerhaft

Vor allem dank Florian David Fitz allerdings geraten die Gefühle selten gefühlig. Wie der Ko-Autor seine Figur mit Strickjacke, Vintage-Handy und traurig trotziger Bestürzung von Desaster zu Desaster manövriert zeigt aufs Neue, warum der gut gereifte RomComLover seit „Vincent will Meer“ zu den gemütvollsten Schauspielern im Land zählt. Dagegen wirkt Peri Baumeisters Paula zu verträumt für eine Wissenschaftlerin, zu spirituell für eine Physikerin, zu entrückt für eine Astronautin, zugleich aber auch zu weltlich für ihre Sponsorin: eine esoterisch angehauchte Inderin, die Paulas Forschungstrip aus Mikrokrediten für Frauen finanziert und ständig dekorativ im gleißenden Licht der eigenen Aura herumsteht. Selbst hier allerdings lässt die Story Licht ins ewige Dunkel unendlicher Weiten.

Denn so aberwitzig die Entdeckung hoch oben am Himmel wirkt, so gemächlich wird sie 408 Kilometer darunter verhandelt. Zum Ende hin, das kann sich deutsche Mystery leider ebenso wenig verkneifen wie ausnahmslos hübsche Frauen (Nilam Farooq) im Cast oder aufdringlich geigenschwere Musik (Graig Conard) darüber, franst die Story ins Thrillerhafte, um am stauanfälligen Autobahndreieck Verschwörungsideologie, Esoterik, Pathos die letzte Abfahrt Happyend zu nehmen.   

Aber gut – den Preis muss wohl zahlen, wer hierzulande so ein stolzes Budget für vier Folgen starbesetztes Serienevent akquiriert. Auf zwei Drittel verdichtet wäre „Das Signal“ so gesehen vielleicht richtig gute Unterhaltung gewesen. So dient es immerhin als Beleg, dass in der Ruhe wirklich Kraft liegt und Deutschland durchaus Science-Fiction kann. Oder um Florian Davids Sven zu korrigieren: Nicht alles gut, aber vieles ganz ordentlich.

"Das Signal", ab sofort bei Netflix