Ach Gewalt, du unermüdliche, unersättliche, unvergängliche Menschheitsbegleiterin. Es gibt dich physisch oder verbal, ums Eck oder frontal, sensibel oder brutal, plebejisch oder feudal, scharfsinnig oder banal. Im rauen Alltag kann Gewalt Körper, Geist und Seele so mannigfaltig (zer)stören, dass eigentlich unvorstellbar ist, wie leicht sie Eingang in unser Freizeitverhalten findet. Auf dem Sofa zum Beispiel – eigentlich ein Refugium amüsanter Alltagsfluchten. Und dann?

Läuft davor „Crooks“…

Eine Thriller-Serie von so ästhetisierender Gewaltverherrlichung, dass sie auf Deutsch nur von ihm stammen kann: Marvin Kren. Schon 2010 sorgte sein Debütfilm „Rammbock“ ja mit einer wütenden Horde Berliner Zombies für einiges Aufsehen. Und nach dem Horrorfilm „Blutgletscher“ enthielt vier Jahre später gleich der erste seiner drei Falke-Tatorte Folterszenen, bevor Marvin Krens Kiez-Drama „4 Blocks“ den Gewaltbegriff zumindest hierzulande neu definierte.

Kein Wunder, dass „Gauner und Ganoven“, wie der österreichische Gangster-Fan den englischen Titel „Crooks“ übersetzt, ihre Gegner nicht bloß umbringen. Sie werden bei lebendigem Leib hinter galoppierenden Rennpferden verbrannt, von Killern in Schlachterschürze zersägt, mit Stromstößen gequält, bis die Köpfe rauchen. Und wenn wie so oft reichlich Blut spritzt, dann vornehmlich in Fontänen. Eine Steigerungslogik bestialischer Exzesse in acht Akten, die sich zu Beginn nicht unbedingt ankündigt.

Da nämlich besucht Charly (Frederick Lau) mit seiner Freundin Samira (Svenja Jung) und deren Sohn Jonas (Jonathan Tittel) den Berliner Zoo. Dass er mithilfe einer Kreditkarte die Tür ins Raubtiergehege knackt, wirkt selbst angesichts der hochtourigen Überfallszene zuvor, in der zwei Crooks mit viel Getöse einen Goldrubel erbeuten, da zunächst nebensächlich. Bis Charly, wie heißt es so schön: von seiner Vergangenheit eingeholt wird.

Statt sein Leben in Freiheit zu genießen, soll der frühere Safe-Knacker ein letztes Mal aktiv werden, den Räubern die irrsinnig wertvolle Münze wieder abnehmen und gemeinsam mit dem Puff-Chauffeur Joseph (Christoph Krutzler) nach Österreich bringen. Schon bald allerdings befindet sich das ungleiche Paar auf der Flucht vor drei, vier Verbrecherbanden, die sie von Berlin über Wien nach Marseille und zurückjagen. In einem Roadmovie, dessen Gewaltspirale mit jeder Leiche abwärts beschleunigt, dass Quentin Tarantino wie ein Schnulzenregisseur wirkt.

Crooks © Netflix

Ganz schön selbstreferenziell zuweilen, was die „Dark“-Produzenten Wiedemann & Berg ihrem Showrunner da finanziert haben. Blutiges Eye-Candy für die Generation Counterstrike gewissermaßen, seit Mel Gibsons „Passion Christi“ unterm Label „Torture Porn“ populär machte, das für Exzesse aller Art nicht zwingend inhaltlicher Ursachen bedarf. Wenn Kren über „Crooks“ sagt, „in erster Linie wollen wir unsere Zuschauer brutalst unterhalten“, darf man das daher wörtlich nehmen – und sollte es dennoch differenziert sehen.

Auch hier erweist sich Kren schließlich als Virtuose visueller Hemmungslosigkeit mit untrüglichem Gespür dafür, das Unheil mal herankriechen, mal heranspringen zu lassen, aber nie alle Fenster der Erlösung ganz zu schließen. Seine Todessehnsucht mag also weitgehend ohne Metaebene auskommen, die ihr den Weg zur dramaturgischen Notwendigkeit jenseits von „Männer sind Schweine“ weisen könnte; zwischen Gewaltfetisch und Voyeurismus bleibt alle Gewalt sein schriller Schrei nach Liebe, der stets einen Spalt zur Liebe offenlässt.

Die Liebe des Berliner Clan-Chefs Hassan (Erdal Yıldız) zu seinem Bruder (Veysel Gelin) etwa, die Liebe des Wiener Rotlicht-Königs Bachofner (Karl Welunschek) zu seinem Sohn (Lukas Watzl), die Liebe des Marseiller Kleinkriminellen Rami (Khida Ramadan) zu seinem Kumpel (Frederick Lau), am meisten aber dessen Liebe zur Familie, weshalb sie sich als einzige auch nie in blindem Hass beweisen muss. Dass die Beziehung des maulfaulen Ex-Knackis zur redseligen Tierärztin Samira ebenso Behauptung bleibt wie sein fließendes Französisch, zwei Dutzend megalauter, langer, öffentlicher Morde ohne Zeugen, Spuren, Polizeipräsenz oder halstätowierte Schlägertypen, die Joseph auch hier stets brav nacheinander statt gemeinsam angreifen – geschenkt!

Unterm schlüssigen Soundtrack von Stefan Will entschädigt schon Xiaosu Hans und Andreas Thalhammers Kamera für Logiklücken im Plot einer Groteske, die hier und da mehr Wahrhaftigkeit enthält als mancher ARD-Film am Sozialdramenmittwoch. Und wo Frederick Laus stirnrunzelnder Antisuperheld gern mal nervt, holt Christoph Krutzlers bäriger Philanthrop Joseph dann eben die Kastanien plausibler Marotten aus dem Feuer. „Halb Wien will dich tot sehen und halb Berlin will mich tot sehen“, sagt ersterer einmal zu letzterem, der daraufhin einfach mal schweigt.

So klingt ein Drehbuchsatz, der dem Schlagfertigkeitszwang herkömmlicher Actionstoffe angenehm zuwiderläuft und so für Tiefgang inmitten oberflächlicher Gewaltorgien sorgt. Der eine – Joseph – weiß halt genau, was er kann, aber nicht, was er will. Der andere – Charly – weiß genau, was er will, aber nicht, was er kann. Im Filmkanon ungleicher Paare von Tom Cruise und Dustin Hofman über John Candy und Steve Martin bis Arnold Schwarzenegger und Danny deVito bilden beide damit das brutalstemotionalste Duett. Und bieten trotz oder wegen aller Gewalt großartige Netflix-Unterhaltung.

"Crooks" steht ab sofort bei Netflix zum Streamen bereit