Herr Kreutzfeldt, Herr Schmid, wir sprechen miteinander weil Tower Productions sich neu aufgestellt hat. Was genau heißt das?

Arne Kreutzfeldt: Die Marke gibt es schon länger, aber sie war lange mehr Label als Produktionshaus, unter dem die Gesellschafter BBC Worldwide und All3Media insbesondere BBC-Content verbreitet haben. Eigentliche Produktionsfirma seinerzeit war die All3Media-Tochter MME. Als wir die Geschäftsführung der Tower übernommen haben, bestand unsere erste Aufgabe zunächst darin, beide Firmen zusammen zu führen. Das MME-Label gibt es ja nicht mehr. Es war ein Neuanfang nötig, weil die aus den früheren Tagen des Privatfernsehens berühmte Marke MME für etwas stand, was schon lange nicht mehr existierte. Strukturen und kreative Köpfe sind in der neuen Tower Productions aber zum Teil aufgegangen. Es hat ein bisschen gedauert bis alle strukturellen Dinge geklärt waren, trotzdem haben wir aber bereits im ersten Jahr viele neue Kunden für uns gewinnen können.

Philipp Schmid: 2016 war für die Neuaufstellung der Tower Productions ein Übergangsjahr. Jetzt sind wir da angekommen, wo wir das Unternehmen positioniert sehen wollen. Wir wollen die Verwirrung vergangener Zeiten beenden und fortan mit einer Marke im Markt agieren. Und wir freuen uns, dass wir parallel dazu auch die ersten Früchte unserer Arbeit ernten können. Als wir das Ruder übernommen haben, waren wir bei RTL, Sat.1 und Vox im Geschäft. Jetzt ist Kabel Eins dazu gekommen, für den SWR haben wir ein schönes Comedy-Projekt umgesetzt. Dann ist kürzlich noch RTL II und auch das ZDF dazugekommen. Mit anderen Worten: Wir sind über beide öffentlich-rechtlichen Sender und alle Privatsender-Gruppen hinweg auf Sendung.

Tower ist ein Joint Venture aus BBC Worldwide und All3Media. Liebesheirat oder Zwangsehe?

Arne Kreutzfeldt: Mit BBC Worldwide und All3Media haben wir zwei sehr unterschiedliche aber ohne Zweifel starke Gesellschafter, die sich super ergänzen: All3Media ist ein internationales Produktionshaus und BBC Worldwide kommt aus der Distribution - und lernt gerade das Produktiongeschäft kennen und schätzen.  So würde ich es mal formulieren.

Philipp Schmid: In der Kombination des Katalogs von BBC Worldwide und den Formaten des All3Media-Netzwerks sind wir ganz gut positioniert als eine Art erste Adresse für „Best of British TV“.

BBC Worldwide hat am Kölner Standort zuletzt führende Mitarbeiter verloren. Die Stellen wurden nicht nachbesetzt. Stattdessen tritt Tower Productions stärker in Erscheinung.

Arne Kreutzfeldt: Das Distributionsgeschäft ist für BBC Worldwide sicher nicht weniger wichtig geworden. Aber da ist man dank der Arbeit der vergangenen Jahre in Deutschland schon sehr stark aufgestellt. Mehr Fantasie und Umsatzpotential steckt im Produktionsgeschäft. In den vergangenen Jahren gab es nicht viele Hit-Formate in den großen Katalogen. Die Mangelsituation hat die lokale Entwicklung von Formaten gefördert, was wiederum zur Folge hatte, dass das internationale Interesse an neuen Formatideen inzwischen einer Vielzahl von TV-Märkten gilt. Das ist zumindest meine Beobachtung. Und wir wollen bei Tower Productions auch nicht nur importieren, auch wenn das Verhältnis der Adaption zur Eigenentwicklung bei uns aktuell noch sehr deutlich in Richtung Adaption ausschlägt. Aber wir sind zur richtigen Zeit richtig aufgestellt.

Für welche Art Fernsehen steht Tower Productions?

Arne Kreutzfeldt: Unsere Kernkompetenz ist Premium Factual Entertainment. Gemeint ist primetime-taugliches Fernsehen wie „Undercover Boss“ bei RTL, das jetzt in die zehnte Staffel geht oder auch „Das große Backen“, wo wir jetzt ein Promi-SpinOff für die Primetime umgesetzt haben. Aber auch „Geschickt eingefädelt“ bei Vox würde ich da noch nennen wollen. Darüber hinaus stärken wir langsam aber sicher auch unser Showprofil: „Clever abgestaubt“ mit Steven Gätjen startet ja jetzt bei ZDFneo - für uns zugleich auch ein Einstieg in die Produktion einer täglichen Sendung. Am Showprofil - also wenns um großen Shiny Floor geht -  arbeiten wir gerade mit Nachdruck..

Wo wir schon über „Undercover Boss“ sprechen. Ich mochte die Formatidee sehr, aber mir fehlt nach so vielen Staffeln der Glaube an die nicht auffliegenden Undercover-Missionen.

Arne Kreutzfeldt: Ich kann den Gedanken im Ansatz nachvollziehen. Ich hätte vorher auch nicht gedacht, dass man mehr als zwei Staffeln der Sendung produzieren kann. Aber man kann. Und ich würde nicht meinen Namen und Kopf dafür hinhalten, wenn das Format heute nicht so pur und simpel ist wie in der ersten Staffel. Die Regeln des Formats sind sehr strikt. Echte Firmenchefs in echten Situationen mit echten Mitarbeitern - das ist die Erfolgsformel.

Ich wollte auch nichts unterstellen. Für mich ist nur der Experiment-Charakter durch die Vielzahl der Folgen verloren gegangen.

Arne Kreutzfeldt: Experiment. Schwieriger Begriff. Ich amüsiere mich inzwischen darüber, was im deutschen Fernsehen alles ein „Experiment“ sein soll. Ein Experiment klingt immer nach offenem Ausgang. Da könnte auch mal was scheitern. Aber das sieht man selten bei den Formaten, die ein „Experiment“ sein sollen. Nichts hassen Fernsehsender so sehr als sich nicht sicher sein zu können, was man bekommt.

Okay, ich formuliere es anders: Die Mechanik hat sich für mich etwas abgenutzt. Die Probleme und Kritikpunkte in den jeweiligen Unternehmen werden gefühlt immer banaler.

Arne Kreutzfeldt: Das Publikum wiederum macht es zum erfolgreichsten Factual Entertainment-Format des Jahres 2016, wie ich einem Ranking bei DWDL.de entnehmen konnte. Also was ich nicht abstreiten will und man ja auch hin und wieder sieht: Durch den Erfolg des Formats gab es häufiger mal Situationen in denen Mitarbeiter den Verdacht hatten, mit dem vermeintlich neuen Mitarbeiter stimmt was nicht. Dazu kommt dann bei jeder Folge ein Geschäftsführer der anders tickt. Mal sind sie charismatisch, mal weniger. Mal ist ihr Interesse an der Arbeit ihrer Mitarbeiter auch für uns glaubhafter, mal denkt man sich auch so seinen Teil. Wir sagen den Chefs die mitmachen im Vorfeld immer sehr eindringlich: Je selbstkritischer sie sind, desto besser wäre es.  Aber manchem Mittelständler, dem seit Jahren niemand mehr widersprochen hat, ist das fremd.  Ich mag an dem Format, dass es allein von den Protagonisten lebt und z.B. auch nach wie vor nicht moderiert ist. Und ich kann versprechen: Wir arbeiten für die nächste Staffel auch wieder im Rahmen der Möglichkeiten an dem Format und werden sicher überraschen.

Philipp Schmid: „Undercover Boss“ spiegelt eine Umgebung, die dem Publikum sehr bekannt ist: Den Arbeitsplatz. Das gibt es sonst im Fernsehen nicht sehr oft. Das Interesse an dem Format speist sich sicher auch aus der Haltung „Unser Chef sollte sich mal anschauen, was ich hier jeden Tag leiste.“ Es bedient die Sehnsucht danach, denen da oben mal einen Realitätscheck zu geben und speist sich aus der Tatsache, dass wir aus der Arbeitnehmer-Perspektive erzählen. So auch bei „Unser neuer Chef“ für Kabel Eins, das von der Grundidee noch etwas tiefer in der Arbeitswelt ansetzt. Die Belegschaft eines Unternehmens wählt die nächste Führungskraft selbst. Unsere deutsche Version ist jetzt keine 1:1-Adaption der britischen Fassung, die etwas recht nüchtern dokumentarisches hatte. Da verschwimmen für mich die Grenzen zwischen Adaption und Eigenleistung, weil wir das Format für den deutschen Markt und Kabel Eins fit gemacht haben.

"Weniger Promis, mehr normale Menschen. Weniger Talent, dafür mehr echtes Können"

Arne Kreutzfeldt über TV-Trends im Non-Fiktionalen

Gibt es gerade Trends im Markt?

Philipp Schmid: Ich glaube eins kann man festhalten: Die zwei Ps - Promis & Panel - machen allein noch kein gutes Format. Das reicht nicht. Da sieht man zu viele Formate, die auf dem Papier vielleicht sogar eine gute Grundidee verfolgen, aber dann leider völlig belanglos bleiben.

Arne Kreutzfeldt: (überlegt) „Die Höhle der Löwen“ und „Ninja Warrior Germany“, zwei aktuelle Erfolge, haben ja eins gemeinsam: Es geht um normale Leute, die wirklich etwas können. Angesichts der so angestrengten Suche nach einem Trend im Markt, könnte man das ja fast schon als einen betrachten. Weniger Promis, mehr normale Menschen. Weniger Talent, dafür mehr echtes Können. Wenn der Unterschied verständlich ist. Und dann habe ich den Eindruck, dass in letzter Zeit vermehrt aus zwei erfolgreichen Formate einfach ein neues Konzept zusammengemischt wird. Das besorgt mich manchmal etwas, auch aus Gründen des Urheberrechts.

Was meinen Sie?

Arne Kreutzfeldt: Man kann beobachten wie offenbar manche Produzenten und Sender sich denken: Wir kreuzen jetzt Format X mit Format Y und dabei vergessen: Zwei Suppen zusammen zu schütten hat selten etwas Schmackhaftes ergeben. Ganz davon abgesehen ist das doch auch eine Frage wie wir in einer Kreativbranche miteinander umgehen wollen, wenn sich Menschen bei der Entwicklung eines internationalen Formats viele Gedanken gemacht haben, Geld in die Entwicklung investiert haben und dann andernorts kurzerhand zwei entwickelte Formate gekreuzt und als kreative Eigenleistung verkauft werden, nur um am Ende ein paar Prozent Formatlizenz zu sparen. So bringen wir uns als Branche doch letztlich auch um die Wertschätzung von Entwicklungszeit für neue Ideen.