Mit „American Idol“ in den USA und „X Factor“ in Deutschland kommen zwei schon einmal etablierte Formate zurück auf den Bildschirm. Bringt man dann die Formate so zurück, wie man sie kannte oder wollen die neuen Sender eine Neuerfindung?

Rob Clark: Man will das Gleiche, aber total anders (lacht). Sehen Sie, ich glaube das Formatgeschäft wird manchmal falsch verstanden. Ein Fernsehformat ist zunächst einmal nur eine Struktur, in der Umsetzung kommt es dann auf die Tonalität an und da kann zum Beispiel die Besetzung einer Jury schon zu völlig anderen Sendungen führen, obwohl es im Grunde das gleiche Format ist. Manchmal passt man auch die Struktur an, aber oft sind es ganz kleine Änderungen, die ein Format noch einmal neu aufladen. Dabei denke ich zum Beispiel an „Got Talent“ und den goldenen Buzzer, der sich einfach wunderbar inszenieren lässt und bei den Zuschauern auf dem Sofa zuhause auch mitunter leidenschaftliche Diskussionen auslöst. Und der goldene Buzzer war eine Idee von Euch, Ute. Und ist heute weltweit im Einsatz.

Wie zufrieden sind Sie mit der Performance von „American Idol“?
 
Rob Clark: Die neue Staffel übertrifft den Primetime-Durchschnitt von ABC bisher über alle Zielgruppen hinweg signifikant und ist die erfolgreichste Entertainment-Show bei den 18- bis 49-Jährigen, damit läuft „American Idol“ sogar besser als „The Bachelor“ und „Dancing With the Stars“. Auch inhaltlich sind wir sehr zufrieden, allen voran mit der Jury. Das Feedback, das wir im Vorfeld innerhalb einer Medienforschung auf die Juryauswahl bekommen haben, war vermutlich das beste Feedback, das wir je zu einer Jury erhalten haben. Die Zuschauer sind überrascht wie freundlich und warmherzig Kate Perry ist. Und Luke Bryan ist einer der größten Musiker der USA, selbst wenn er als Countrysänger eher in den Südstaaten ein Star ist. Aber gerade deswegen wollten wir ihn, denn Amerikas Mitte ist ein wichtiges Territorium für „American Idol“. Er kommt höflich und herzlich rüber. Und Lionel ist natürlich der Star.

Gibt es bei so vielen Anpassungen denn überhaupt noch eine eigentliche Formatbibel? Wenn all diese Änderungen lokaler Märkte berücksichtigt werden?

Rob Clark: Sie werden nur in die Bibel aufgenommen, wenn sie gut sind. Es gibt auch Änderungen einzelner Länder, die ich persönlich so nicht machen würde. Manche Anpassungen können lokal gemacht werden, aber kommen nicht in die Bibel.

Ute Biernat: Wenn man wie wir seit Jahren an einem Format wie „Idol“ oder „Got Talent“ arbeitet, dann kennen wir natürlich die Versionen anderer Länder. Wir treffen uns alle abseits von Cannes ein- oder zweimal im Jahr, um uns gegenseitig auf dem Laufenden zu halten. Manchmal bedient man sich dann anderer Ideen oder stiftet selbst eine bei. Manchmal hofft man aber auch, dass man Ideen anderer Länder jetzt nicht direkt adaptieren muss. In den 15 Jahren von „Deutschland sucht den Superstar“…

Rob Clark: …habt ihr ganz schön viel verändert, oder?

Ute Biernat: Ja, sehr viel. Wir mussten immer wieder auf den härter umkämpften Markt der Castingshows reagieren und hatten lange das Problem, dass uns die im Casting eingesammelten Zuschauer in zu vielen Live-Shows abhandengekommen sind. Also mussten wir auch daran arbeiten. Wir haben uns immer wieder etwas Neues einfallen lassen, beispielsweise ist die Idee zum Auslands-Recall oder auch die Einführung der goldenen CDs in Deutschland entstanden. Wir haben über die Jahre hinweg viel geändert, aber immer in Absprache mit dem Sender und FremantleMedia.

Rob Clark: In unserem Genre des Entertainment gibt es neben der Formatbibel auch Flying Producer, die im wahrsten Sinne rund um die Welt reisen, um nicht nur neue Adaptionen zu begleiten, sondern auch bei der 15. Staffel eines Formates immer wieder einen Blick darauf haben. Es geht um Qualitätskontrolle und die Beobachtung von möglichen Formatänderungen. Oder sie veranstalten Workshops zum Thema Storytelling, was für unsere Castingshows immer wichtiger geworden ist.

Wann ist ein Format eigentlich ein Hit? Wie schnell und weit muss es sich verkaufen?

Rob Clark: Die Geschwindigkeit eines internationalen Rolllout ist für mich komplett irrelevant. Es ist mir so egal, wie lange es dauert bis wir ein Format in gewisse Territorien verkaufen. Für mich bzw. FremantleMedia ist das entscheidende Kriterium, wie lange wir damit im Markt bleiben. Wir leben nicht davon, eine Staffel von einem Format zu verkaufen, sondern für unsere Partner bleibende Erfolge über Jahre hinweg zu produzieren. Wir haben doch schon genug Formate gesehen, die heiß gehandelt wurden und weltweit umgesetzt wurden, nur, um ein Jahr später verschwunden zu sein.

Oh, da gibt es einige Beispiele. „Rising Star“ zum Beispiel, um bei Castingshows zu bleiben.

Rob Clark: Das Beispiel haben Sie jetzt genannt. Aber ja, das ist nicht unser Geschäftsmodell. FremantleMedia lebt nicht von einzelnen Schlagzeilen, sondern von langjährigen Erfolgen und damit konstant zufriedenen Kunden.

Ute Biernat: Wie war das noch gleich mit der japanischen Show „Hole in the Wall“? (lacht)

Rob Clark: Okay, okay. Ich lästere auch lieber über eine eigene Show als mich über Formate anderer auszulassen. Nun, das war insofern ein großer Erfolg, als dass wir es letztlich in 45 Länder verkauft haben. Aber es lief meist nur für eine, vielleicht zwei Staffeln. Das hat sich für uns nicht gelohnt. FremantleMedia steht für Beständigkeit. Wir feiern Formate, die wir mehr als ein Jahrzehnt on air halten.

Wann wäre es denn dann Ihrer Meinung nach richtig, bei einem neuen Format von einem wirklichen Hit zu sprechen? Der Verkauf ist eindeutig zu früh, wie ja so manche Formate der letzten Jahre bewiesen haben.

Rob Clark: Ein Hit ist ein Hit, wenn er ein Hit ist. Ich weiß, dass ihr Journalisten immer irgendwas schreiben müsst und jede Messe eine Entdeckung verlangt. Und ihr lebt doch gut davon: Macht etwas erst zum Next Big Thing und schreibt es dann kaputt, weil es eben doch nicht das Next Big Thing ist. Das ist das Euer Spiel und ich verstehe den Wunsch, den nächsten Erfolg als erster zu benennen. Aber ich würde sagen: Wir wissen erst, was wirklich das nächste Ding ist, wenn es schon längst etabliert ist.

Die Kritik teile ich. Aber dennoch: Woran machen wir dann einen großen Hit fest?

Rob Clark: Also, es sollte sich zum Beispiel in den großen wichtigen Märkten gut verkaufen. Nicht alle Länder sind gleich bedeutend. Wenn es nicht in vier der fünf wichtigsten Märkte verkauft wurde, dann kann es kein Hit sein.

"Es ist einfacher, ein UK-Format für den USA-Markt größer zu machen, als eine US-Idee ohne Abstriche billiger zu machen für den Weltmarkt."

Rob Clark, Director of Global Entertainment, FremantleMedia

Welche Märkte sind wichtig?

Rob Clark: Ein Verkauf in Deutschland, Großbritannien und den USA ist viel wichtiger als ein Verkauf in andere Länder. Warum? Weil das die Märkte mit den großen Budgets sind, die sich solche großen Formate leisten können. Wenn etwas dort dann zum Erfolg wird, hilft das beim Rollout, da sich dann auch kleinere Märkte, für die das ein finanzieller Kraftakt wäre, für das Format interessieren. Die kleineren Länder marschieren in der Regel nicht vorweg. Also haben die Kernmärkte auch heute noch große Signalwirkung. Und Großbritannien vermutlich die größte.

Warum?

Rob Clark: Die englische Sprache hilft, weil man gleich eine international vorzeigbare Sendung hat und es ist nicht so amerikanisch wie amerikanische Umsetzungen oft sind. Und eine deutsche Show lässt sich mit englischen Untertiteln einfach nicht so leicht präsentieren.

Was macht eine Show zu amerikanisch? Weil sie das gerade so betonten.

Rob Clark: Eine der wichtigsten Eigenschaften eines Formats ist die Frage, ob es im finanziellen Aufwand skalierbar ist. Wenn eine amerikanische Show begeistert, weil man mit enormen Budget etwas hinzaubert, dann nützt das im Formatverkauf oft nichts, da es sich andere Ländern nicht leisten können. Denn natürlich wollen andere Länder gerne genau die große gigantische Show, die man ihnen präsentiert und keine Schmalspur-Version davon. Deswegen ist „Got Talent“ so toll. Das Format braucht nur drei Dinge: Eine Bühne, ein Jury-Pult und drei über der Jury hängende X. Das können sie überall produzieren. In Theatern, in Fernsehstudios oder irgendeiner Halle. Es braucht kein gigantisches Budget. Man kann die Show natürlich auch ganz groß machen, muss aber nicht. So kann ein Format dann auch weltweit zum Erfolg werden. Es ist einfacher, ein UK-Format für den USA-Markt größer zu machen, als eine US-Idee ohne Abstriche billiger zu machen für den Weltmarkt.

Mich amüsieren bei den Messen in Cannes ja immer die Anzeigen mit spektakulären Reichweiten diverser neuer Formate a la „Verdreifachte in Rumänien den Marktanteil bei blonden Männern unter 30“.

Rob Clark: Nun, es ist ja nicht unmöglich aus Rumänien Formate auf Reisen zu schicken. Wenn es einem Format gelingt, dann weil es wirklich das gewisse Extra mitgebracht hat. Weil es bei kleineren Märkten wirklich mehr braucht als solche Statistiken. Das sollten wir aus der jüngsten Vergangenheit gelernt haben. Nichts hilft einem Format aus Rumänien… Moment, jetzt machen wir uns über Rumänien lustig, was nicht meine Absicht ist. Also nehmen wir irgendein kleineres Land: Will jemand ein Format von dort verkaufen, dann ist das wertvollste Argument eindeutig, dass eine zweite, dritte oder vierte Staffel davon beauftragt und produziert wurde. Dann wird die Neugier geweckt.

Welche Formate stehen denn in den kommenden Tagen bei der MIPTV im Fokus für FremantleMedia?

Rob Clark: Unser Portfolio umfasst eine große Bandbreite an Primetime-Formaten. Wir gehen nicht auf ein einzelnes Format, sondern passen uns der fragmentierten Nachfrage des Marktes an. Aus den Niederlanden kommt „Time to Dance“, eine Castingshow für Tänzer. Entschieden wird allein durch Juroren, also kein Beliebtheitswettbewerb, sondern die ernste Suche nach den besten Tänzerinnen und Tänzern. Das Format wird in einer knackigen Staffel von sieben Shows erzählt. „Secret Admirer“ ist ein Format, das schon in einigen Ländern läuft, darunter auch in den USA bei Bravo. Das simple Prinzip: Man kennt jemanden schon länger und traut sich nicht zu sagen, dass man mehr für diese Person empfindet. Wir helfen dabei. Klein und charmant. „All your wishes“ war ein einmaliges Special bei M6 in Frankreich. Es bringt einen neuen Dreh in das Genre der Wunscherfüllungsshows, wo es lange nichts Neues mehr gab. Der Dreh besteht darin, dass alle Wünsche in Form von Zaubertricks erfüllt werden. Das wären drei Beispiele aus unserem Katalog.

Frau Biernat, wenn Sie ein internationales Format nach Deutschland bringen. Gibt es da Änderungen, die sie für den Geschmack des deutschen Publikums fast immer umsetzen müssen? Gibt es einen speziellen deutschen Fernsehgeschmack?

Ute Biernat: Um es kurz und knackig zu beantworten: Die Deutschen mögen alles auf Hochglanz poliert. Ich erinnere mich daran, als wir „Take me out“ nach Deutschland gebracht haben. Da gab es auch intern viele Diskussionen darüber, ob die Bühne groß genug ist, ob die Lichter reichen. Das Set, die Kostüme, die Deko – „kann man nicht noch ein bisschen; sollte man nicht noch mehr?“ Wir tendieren in Deutschland zum Überproduzieren von Formaten, immer aus der Sorge heraus: Wie sieht das denn aus? Die Formatmechanik allein reicht vielen oft nicht als Beruhigung, hier etwas Gutes in der Hand zu haben.