Der im Januar verliehene Donnepp Media Award sorgt noch einmal für Schlagzeilen. Mit dem eigentlichen Hauptpreis wurde damals "Übermedien"-Redakteurin Annika Schneider ausgezeichnet, darüber hinaus wurden zwei "Besondere Ehrungen" vergeben. Eine erhielt Satiriker Oliver Kalkofe, die andere ging an die damals erst 17-jährige Judith Scheytt für ihren "medienkritischen Instagram-Kanal", auf dem sie sich vor allem mit Nahost-Berichterstattung beschäftigt. Nun wurde Scheytt der Preis allerdings wieder aberkannt, wie sie selbst in einem Instagram-Video öffentlich machte

Um den Streit besser zu verstehen, ist es wichtig, die Strukturen zu kennen: Der Donnepp Media Award wird zwar während des Bergfests der Grimme-Preis-Jurywoche im Grimme-Institut in Marl vergeben, das Grimme-Institut hat damit sonst aber eigentlich nichts zu tun. Stattdessen werden der Preis und auch die Besonderen Ehrungen von einer Jury vergeben, die vom Verein Freunde des Adolf-Grimme-Preises berufen wurde. Gegenüber DWDL.de will man sich beim Grimme-Institut dann auch gar nicht zur Sache äußern und verweist stattdessen auf den Verein.  

In der Jury saßen damals sechs Personen: Vorjahres-Preisträgerin Nadia Zaboura, Grimme-Preis-Leiterin Lucia Eskes, der Medienjournalist und Leiter des KNA- Mediendienstes Steffen Grimberg sowie Digitaljournalist Jörg Schieb, Maik Große Lochtmann und Ulrich Spies. Die drei letztgenannten Personen sind allesamt Teil des Vorstands des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises

Und während die sechsköpfige Jury die Preise noch gemeinsam vergeben hat, erfolgt die Aberkennung der Besonderen Ehrung an Judith Scheytt nun ausschließlich durch den Vorstand des Vereins. Und mehr noch: Mit Nadia Zaboura und Steffen Grimberg stellen sich zwei Jury-Mitglieder explizit gegen die Entscheidung, Scheytt den Preis wieder wegzunehmen. 

Nadia Zaboura und Steffen Grimberg betonen in einer gemeinsamen Stellungnahme gegenüber DWDL.de dann auch noch einmal, dass die Entscheidung nicht von der Jury getroffen wurde, sondern nur vom Vorstand des Vereins. "Im Falle einer Aberkennung des Preises hatten Jury und Vereinsvorstand verabredet, dass hierzu eine gemeinsame Kommunikation stattfindet, aus der hervorgeht, dass ein Teil der Jury diese Entscheidung nicht mitträgt", heißt es weiter. Zaboura und Grimberg distanzieren sich nun von der Aberkennung des Preises. 

Scheytt weist Vorwürfe zurück und kritisiert Vereinsvorstand

Doch warum hat der Vorstand der Grimme-Freunde der heute 18-Jährigen Judith Scheytt den Preis aberkannt? Nach der Verleihung hat sich ein religiöser Verein über die Auszeichnung beschwert und Antisemitismusvorwürfe gegen Judith Scheytt erhoben. Die Freunde des Adolf-Grimme-Preises sind dem nachgegangen und ganz offensichtlich zum Schluss gekommen, dass etwas dran ist. Man habe sich die Entscheidung als Vereinsvorstand nicht leicht gemacht und auch "juristisch ausgiebig prüfen lassen", sagt der Vereinsvorsitzende Jörg Schieb zu DWDL.de. 

Begründet wird die Aberkennung demnach vor allem mit "systematischer Verzerrung und selektiver Kontextualisierung des israelisch-palästinensischen Konflikts". Schieb: "Die Videos blenden systematisch wesentliche historisch-politische Hintergründe und Sicherheitsaspekte aus und machen die Inhalte so zunehmend zu reinen aktivistischen Inhalten, was den Satzungsanforderungen des Awards klar widerspricht." Der Vereinsvorstand kritisiert eine asymmetrische Bewertung von Gewaltakten, euphemistische Bezeichnung der Hamas als "Kämpfer", pauschale Kriegsverbrechensvorwürfe gegen Israel, eine kategorische Ausblendung der Hamas-Vernichtungsrhetorik sowie strukturelle Dämonisierung durch selektive Kontextualisierung.

"Hier müssen wir ein Versäumnis eingestehen"

Judith Scheytt kann die Vorwürfe nicht nachvollziehen und kritisiert in ihrem Instagram-Video die Entscheidung des Vereins. Auf die Kritik, sie würde kein Verständnis für die Reaktionen auf die Ereignisse des 7. Oktober 2023 haben, entgegnet sie, es gehe bei Medienkritik nicht um Verständnis für militärische Operationen. Darüber hinaus sagt Scheytt, sie habe sich selbst nie als Journalistin bezeichnet. Es ist eine Replik auf den Vorwurf, zu aktivistisch zu sein. 

Tatsächlich hatte die Jury bei der Vergabe der Ehrung noch hervorgehoben, dass sie sich mit "tiefem Kenntnisreichtum und analytischer Brillanz" den gröbsten Verstößen gegen journalistische Professionalität und Integrität befasse. "Ihre pointierten und im besten Sinne herausfordernden Videoanalysen reichert sie transparent mit Quellen und Studien an und schafft so einen offenen Raum, in dem sich neben Medienkritik, Aktivismus und Demokratiebildung ein lebendiges Gespräch über Medienqualität, Medienversagen und Medienzukünfte entfaltet und verstetigt", hieß es damals. 

Fraglich ist, weshalb der Vereinsvorstand der Grimme-Freunde die Auszeichnung von Judith Scheytt überhaupt mitgetragen hat. "Hier müssen wir ein Versäumnis eingestehen", sagt der Vereinsvorsitzende Jörg Schieb gegenüber DWDL.de. Vor der Verleihung habe Scheytt noch versucht, "ihre Anliegen über vorgebliche Medienkritik abzuwickeln". Schieb: "Mittlerweile ist der Aktivismus ungefiltert." Dennoch habe man nicht gut genug hingeschaut, sagt Schieb. Der Kanal sei nicht preiswürdig.

Situation für alle Beteiligten unbefriedigend

Um die Vorwürfe zu belegen, hat der Verein übrigens ein 39-seitige Analyse erstellt, in der man noch einmal auf einzelne, vermeintlich problematische Videos der jungen Frau eingeht. Scheytt selbst kritisiert diese Analyse in ihrem Instagram-Video und erklärt, das Schriftstück wirke wie mit KI generiert. Tatsächlich lassen sich in der Analyse, die DWDL.de vorliegt, einzelne Begriffe und Formulierungen finden, die den Eindruck machen, als hätte hier eine KI ihre Finger im Spiel gehabt. So ist in der Analyse von der "Schieferkrankenhaus-Belagerung" die Rede. Gemeint ist offenbar die Zerstörung des Al-Schifa-Krankenhaus' im Gazastreifen. Jörg Schieb sagt gegenüber DWDL.de, inhaltlich habe er die Analyse erstellt. KI sei nur bei der Gestaltung zum Einsatz gekommen, etwa bei Fotos oder der Formatierung der Seiten.

Die Situation dürfte nun alle Beteiligte einigermaßen unbefriedrigt zurücklassen. "Ich lasse mir ungern von Personen erklären, was Journalismus ist, die mir so eine unseriöse und unprofessionelle Analyse schicken, die genau die journalistischen Mängel reproduziert, die ich in meinen Videos kritisiere, für die sich mich ausgezeichnet haben", erklärt Judith Scheytt in ihrem Video.

Beim Verein der Freunde des Adolf-Grimme-Preises wird man sich in Zukunft offensichtlich nicht nur im Vorfeld genauer mit den Personen beschäftigen müssen, die man auszeichnet, sondern auch eine Regelung schaffen, unter welchen Voraussetzungen Preise aberkannt werden - und vor allem: von wem. Und nicht zuletzt ist das Grimme-Institut selbst betroffen. Schon die vielen Kommentare unter anderem bei Instagram lassen erkennen: Viele machen das Institut für die Aberkennung verantwortlich, obwohl die Entscheidung anderswo getroffen wurde.