Es ging schon damit los, dass sich der NDR die ursprüngliche Message, die man kommunizieren wollte, aus der Hand nehmen ließ. Nicht NDR und BR kommunizierten zusammen die Entscheidung, das Reportageformat "Klar" fortzusetzen, zuerst berichtete die "Welt" darüber. Dort wusste man auch schon, dass Julia Ruhs nicht mehr bei den NDR-Ausgaben dabei sein soll. Schon das entfachte einen Sturm der Entrüstung, allen voran in rechten und konservativen Kreisen, auch Politiker äußerten Kritik. 

Als der NDR dann schließlich selbst in der Kommunikation in Erscheinung trat, bestätigte man im Wesentlichen die "Welt"-Infos, machte aber keine Angaben über die Gründe für die Entscheidung, nicht mehr mit Julia Ruhs zusammenzuarbeiten - noch hatte man eine Nachfolgerin parat, die den Kritikern den Wind aus den Segeln hätte nehmen können. Den Sturm der Entrüstung konnte man so jedenfalls nicht stoppen, eher im Gegenteil. 

Zur Situation beigetragen hat auch Julia Ruhs selbst, die sich ganz offensichtlich gecancelt sah und entsprechende Kritik am NDR äußerte. Die Moderatorin sprach von einem "Armutszeugnis" - und delegitimierte mal eben so nicht nur die freie Entscheidungsgewalt des NDR, sondern auch die Kompetenzen ihrer noch zu bestimmenden Nachfolgerin im NDR. 

Programmdirektor Frank Beckmann erklärte, er könnte die Kritik der Cancel Culture nicht nachvollziehen und verwies darauf, dass man ja sogar mehr Folgen im kommenden Jahr plane. "Frau Ruhs wird in genauso vielen Sendungen auftauchen wie in der Vergangenheit", so Beckmann. Wahr ist nämlich auch: Ruhs darf weiter die Ausgaben moderieren, die vom BR kommen. Am Freitagnachmittag hatte der NDR mit Tanit Koch dann plötzlich doch schon eine Nachfolgerin für Julia Ruhs parat (DWDL.de berichtete).

Jetzt hat sich auch NDR-Intendant Hendrik Lünenborg in die Debatte eingeschaltet und einen Fehler in der Kommunikation eingeräumt. Diese sei "wirklich nicht optimal" gewesen, so der Intendant. "Das kann man gar nicht anders sagen, denn wir haben ja das Format fortgesetzt", so Lünenborg im Interview mit der Nachrichtenagentur dpa. "Es ist niemand gecancelt worden", betonte er und verwies auf Tanit Koch als neue Moderatorin. Er freue sich, "dass wir so eine profilierte, erfahrene Journalistin gewonnen haben, die einen ganz eigenen Blick auf unser Land hat und das wird uns sicher gutstehen", so Lünenborg.

NDR und BR hatten in diesem Jahr zunächst drei Pilotausgaben von "Klar" produziert. In der Reihe wollen die Sender Streitfragen aufgreifen, "die in der Mitte der Gesellschaft kontrovers diskutiert werden". In diesem Jahr waren das Migration, Corona und der Frust der Bauern. In den Folgen bemüht sich die Redaktion um eine bewusst regierungskritische Haltung, sucht aber immer wieder auch die Differenzierung im Detail. Moderatorin Julia Ruhs eckte unter anderem an, weil sie schon bei der ursprünglichen Ankündigung des Formats erklärte, unliebsame Themen und Meinungen seien in den vergangenen Jahren ausgeblendet worden. Nach der ersten Ausgabe über Migration formierte sich vor allem im NDR Widerstand gegen Format und Moderatorin. 

Mehr zum Thema