Einig waren sich alle Fraktionen im sächsischen Landtag in Einem: Der Reformstaatsvertrag, auf den sich die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der Länder vor ziemlich genau einem Jahr geeinigt haben, hat an vielen Stellen erhebliche Schwächen, die von allen Rednerinnen und Rednern im Detail aufgezählt wurden. Das war soweit erwartet worden.
Die Frage war nur: Würde sich trotzdem eine Mehrheit finden und der Staatsvertrag, der von allen 16 Länderparlamenten einzeln beschlossen werden muss, damit er zum 1. Dezember 2025 in Kraft treten kann, seine größte verbliebene Hürde nehmen? Oder steht die Medienpolitik nun, nachdem die ebenfalls eigentlich beschlossene Reform des Beitragsfestsetzungsverfahren bereits unter anderem durch den sächsischen Ministerpräsidenten beerdigt worden war, endgültig vor einem Scherbenhaufen?
Dass die CDU trotz aller wortreich vorgebrachten Kritik ebenso wie die SPD als Teil der Minderheitsregierung Sachsens dem Reformstaatsvertrag zustimmen würden, war ebenso klar wie die schon im Vorfeld klar kommunizierte Ablehung durch AfD und BSW. Es kam also auf die beiden kleinsten Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen sowie die Linke an, da CDU und SPD nur mit Stimmen aus beiden Fraktionen auf eine Mehrheit kommen würden.
Um so größer war das Unverständnis, dass die CDU-geführte Regierung und Ministerpräsident Michael Kretschmer im Besonderen im Vorfeld offenbar nicht auf die beiden Parteien zugegangen waren, um eine Mehrheit zu organisieren. Claudia Maicher warf der Koalition daher auch fehlendes Verantwortungsbewusstsein vor, erklärte aber, dass man trotz aller Kritik trotzdem einspringen werde, weil nur sie die Handlungsfähigkeit der Gemeinschaft der Länder gesichert sei. Doch als Luise Neuhaus-Wartenberg für die Linke erklärte, dass man diesem Reformstaatsvertrag nicht zustimmen könne, weil er "in vielen Punkten nicht auf der Höhe der Zeit" sei und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht stärken, sondern schwächen würde, war klar: Die Option "Totalschaden für die Medienpolitik" droht nun wirklich, unmittelbar einzutreten.
Statt zur Abstimmung zu schreiten, beantragte die CDU eine 30-minütige Beratungspause. Man darf wohl annehmen, dass nun doch nochmal der Kontakt zu den beiden Parteien gesucht wurde, auf die es nunmal ankam. Nach diesen 30 Minuten meldete sich Ministerpräsident Michael Kretschmer erstmals in dieser Debatte zu Wort. Kretschmer reagierte auf die breite Kritik mit den Worten: "Es ist so so leicht, sich einen Punkt aus diesem Vertrag rauszusuchen, ihn zum großen Leitpunkt zu entwickeln und zu sagen: Weil das so ist, stimme ich nicht zu. Über Jahrzehnte war das Prinzip in dieser Republik, dass wir das Verbindende gesucht haben. Wenn dieses Prinzip endet, endet auch unser kooperativer Föderalismus."
Er ging aber insbesondere auf einige der Kritikpunkte, die seitens der Grünen und der Linken benannt worden waren, nochmal ein. Dabei ging es etwa um das Verbot der "Presseähnlichkeit", das weitgehende Beschränkungen für ARD und ZDF im Internet vorsieht und das beide Parteien stark kritisieren. Es sei ein Punkt, über den man noch einmal diskutieren müsse, so Kretschmer. Auch das im Reformstaatsvertrag schon festgelegte Ende der linearen Ausstrahlung des Kika könne man vielleicht nochmal angehen. Aber das könne man natürlich nur bei künftigen Staatsverträgen. Für diese werde er das sächsische Parlament vorher konsultieren - das sei in diesem Fall nicht möglich gewesen, weil die Verhandlungen quasi schon vor der letzten Wahl abgeschlossen gewesen seien.
Kretschmers letzter Appell: "Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist eine zentrale Säule der Demokratie. Geben wir den Menschen, den Gremien eine Chance. Lassen sie uns dieses wichtige Instrument weiterentwickeln und beschützen." Bei der nachfolgenden Abstimmung votierten dann neben CDU und SPD auch Bündnis 90/Die Grünen sowie die Linkspartei für die Verabschiedung des Reformstaatsvertrags. Die Linke erklärte im Anschluss, dass man wohlwollend aufgenommen habe, dass man Kretschmer bei den genannten Punkten an seiner Seite sehe. Zudem habe man gesehen, dass ein Scheitern ein Triumph für die Gegner des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gewesen wäre - diesen haben Linke und Grüne in letzter Minute verhindert.
Ganz durch ist der Reformstaatsvertrag nun aber immer noch nicht. In Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen dürfte die Verabschiedung im Parlament kaum in Frage stehen, spannender wird es in Brandenburg. Dort bräuchte es die Ja-Stimmen des BSW, das in Sachsen nicht zugestimmt hat. Allerdings befindet sich das BSW dort in einer Koalition mit der SPD. Es liegt also an Ministerpräsident Dietmar Woidke, seine Regierungsmehrheit zu organisieren.
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