Es tut sich was. Ganz langsam zwar, aber immerhin. Nach und nach und in feiner Dosierung kann man als regelmäßiger Besucher von Fachkongressen wie dem Medienforum NRW die Vorbehalte der Printbranche gegen das Web schwinden sehen. Man muss zwar sehr genau hinschauen - vielversprechend ist jedoch, dass mittlerweile weitestgehend anerkannt wird, dass Journalismus auch über ein elektronisches Ausgabemedium funktionieren kann und nicht allein dem Informationsträger Papier vorbehalten ist. Es war vornehmlich „Zeit Online"-Chef Wolfgang Blau, der deutlich machte, welcher Weg sich den Printhäusern mehr und mehr aufdrängt. In seiner Definition des Zeitungsverlages der Zukunft ist Print nicht mehr der Gegenentwurf zu den Online-Medien, sondern deren Ergänzung. „Die journalistischen Möglichkeiten sind im Internet viel größer", lautet Blaus Bekenntnis.
Mit seinen Ausführungen über das neue Rollenverständnis des Verlages und des Journalisten im digitalen Zeitalter knüpfte Blau unter den Teilnehmern des Panels „Zeitung der Zukunft" noch am ehesten an die Keynote von „Guardian"-Chef Alan Rusbridger an, der für eine enge Verzahnung aller Redaktionen mit dem Netz argumentierte. Blaus Konzept des neuen Journalisten geht an die Substanz des Egos. So solle Transparenz über mögliche Befangenheiten herrschen und stets die Einsicht gegeben sein, dass der einzelne Journalist im Zweifel weniger über das Thema weiß, als eine Vielzahl von Experten im Netz. „Wir glauben, Kommunikation ist unsere Kernkompetenz, wir kommunizieren aber nicht richtig", sagte Blau, der die größte Herausforderung des Journalismus' momentan im Mentalitätswandel sieht.
Während vor einigen Jahren noch das mutlimediale Arbeiten, mit Texten, Tönen und bewegten Bildern gleichzeitig als Mammut-Aufgabe angesehen wurde, so habe man mittlerweile festgestellt, dass dies mit der neuen Technik „eigentlich easy" ist. Viel schwerer ist es wohl, die Kurve zu kriegen, das Wissen der Leser zu bündeln, zu verifizieren und zu moderieren - so Blaus Beschreibung neuer journalistischer Aufgaben. Das klingt alles sehr vernünftig. Doch leider gibt es auch andere Stimmen, die alte Feindschaften pflegen. So schickte sich in seiner Keynote zuvor WAZ-Geschäftsführer Christian Nienhaus (Bild) in seiner Funktion als Vorsitzender des Zeitungsverlegerverbands NRW an, erneut gegen Google und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als die Bedrohung des Verlagswesen schlechthin zu giften. Google lebe davon, „uns unsere Inhalte zu klauen", mit ARD und ZDF im Netz werde es nur schwerlich möglich sein, funktionierende Bezahlmodelle zu etablieren - so die durch Wiederholung nicht stichhaltiger werdenden Kernthesen über die „großen Fische", die den Verlagen in die Quere kommen.
Doch während der Veranstaltung am Dienstagvormittag konnte man auch den Eindruck gewinnen, dass die fragwürdige Haltung der Verlage zu bröckeln scheint - selbst wenn Eugen Russ, Geschäftsführer des Vorarlberger Medienhauses, Google schon mal als „Schmarotzerunternehmen" bezeichnet. Es gibt auch versöhnlichere Töne. So zeigte sich zum Beispiel Christian Lindner, Chefredakteur der „Rhein Zeitung" erstaunt, wie viele neue Nutzer, die die Zeitung sonst nicht auf dem Schirm hatten, über Web 2.0-Elemente wie Facebook und Twitter generieren lassen. Als großes Aha-Erlebnis führt Lindner das Beispiel eines Berichts über einen Autounfall an, zu dem die Zeitung Bewegtbildmaterial erstellt hat. Da in den Unfall ein Erlkönig des Herstellers Lexus verwickelt war, verbreitete sich die Meldung viral durch die Netzwerke über die ganze Welt.
Nach wie vor noch keine abschließende Lösung hat man indes für die Frage nach der Finanzierung parat. Lediglich erste gehbare Wege zeichnen sich ab. Während Zeit Online-Chef Blau auffordert die Potentiale von Online-Werbung neu zu bedenken, führt für Konstantin Neven DuMont, Vorstand der Mediengruppe M. DuMont Schauberg, kein Weg an Bezahlmodellen vorbei. Die Expansionsstrategie seines Verlages, der neben dem „Express" und dem „Kölner Stadtanzeiger" mittlerweile auch die „Frankfurter Rundschau" und die „Berliner Zeitung" herausgibt, bezeichnet er als Weg, um Synergien in Redaktionen und Verlag zu bekommen, die den Kostendruck kompensieren. Nach ersten Experimenten auf neuen Ausgabemedien wie dem iPad wolle man die Bezahlinhalte langfristig auch im regulären Web etablieren, kündigt DuMont an.
Als Fürsprecher einer neuen Mentalität, in der sich die Zeitung wieder selbstbewusst geben kann, fordert Blau die Redaktionen auf, sich vor allem im Web ihr eigenes Profil zu schaffen, das für die Werbung interessantes Publikum auf die Webseiten bringt. „Wir sind uns alle noch zu ähnlich", sagte er mit Blick auf die zahllosen Zeitungswebseiten, die mit den immergleichen Agenturmeldungen zu punkten versuchen. Die reine Nachricht allerdings sei in diesem Gewerbe jedoch das, was die Milch für den Lebensmittelladen ist: unverzichtbar im Sortiment - aber allein nicht ausreichend, um dem Geschäft ein Alleinstellungsmerkmal zu geben.