Früher war alles besser und heute wird alles immer schlimmer - auf diesen gemeinsamen Nenner können sich auch in Bezug auf das Fernsehen allzu viele allzu schnell einigen. Doch ist das wirklich so? Die nordrhein-westfälische Landesmedienanstalt ließ in einer Studie nun das Thema Skandalisierung und Provokationen im Fernsehen im Zeitraum 2000 bis 2009 untersuchen - zur Untermauerung der oben genannten These, dass diese immer mehr zunehmen, taugt sie aber nicht.

Stattdessen kommen die Autoren der Studie zum Ergebnis: "Von einer generellen Zunahme oder Verstetigung moralischer Grenzverletzungen oder Tabubrüchen kann weder insgesamt noch für einzelne Subgenres gesprochen werden." Und: "Weder retrospektiv noch prognostisch besteht Anlass, von einer stetigen Verschlechterung, Verstetigung oder Dramatisierung auszugehen". Auch konnte kein Einfluss auf die Quote oder auf die Werbebuchungen festgestellt werden.  Eine einfache Kausalkette der Art "mehr Provokation im Programm - mehr Zuschauer - mehr Werbeeinnahmen" könne "nicht nachgewiesen werden", heißt es.

 

 

Bei RTL, das alljährlich vor allem mit Dieter Bohlen und "DSDS" in der Kritik steht oder auch 2009 einen Entrüstungssturm im Vorfeld von "Erwachsen auf Probe" erlebte, stellt man daher nicht ohne Genugtuung fest: "Die Zielsetzung der Studie war wohl die, für lang gehegte Vorurteile eine wissenschaftliche Bestätigung zu bekommen. Das ist nicht gelungen."

Die Studie hält aber sehr wohl fest, dass es bei einzelnen Formaten zu mehr Grenzüberschreitungen gekommen sei. Insbesondere bei "DSDS" habe man einen deutlichen Anstieg festgestellt. Hab es während der dritten Staffel 2005/06 noch 0,8 Provokationen pro Nettosendestunde gegeben, waren es 2009 schon 2,5. Bei "Germany's Next Topmodel" gab es hingegen eine gegenläufige Entwicklung. Dort nahm die Zahl der von den Studien-Machern der Freien Universität Berlin und des House of Research als Provokation eingestuften Ereignisse sogar deutlich ab. Festgehalten wird aber auch, dass Skandalisierungen zum Programmalltag gehören.

LfM-Direktor Brautmeier fordert daher eine "öffentliche Debatte mit den Programmverantwortlichen". In der Studie heißt es hingegen: "Anstelle medienöffentlicher Debatten, die Aufmerksamkeit für das Kritisierte schaffen, erscheinen frühzeitige Backstage-Gespräche zwischen den Programmverantwortlichen und der institutionellen Medienaufsicht Erfolg versprechend." Schließlich bestehe sonst die Gefahr, dass die öffentliche Aufregung vor einem Format zum "strategisch geplanten Kommunikationsereignis im Interesse des ausstrahlenden Senders" werde.

Bei RTL kann man der geforderten Debatte hingegen wenig abgewinnen. In Bezug auf das immer wieder kritisierte Beispiel "DSDS" heißt es: "Eine Skandalisierung wird von uns nicht vorrangig angestrebt. Warum soll in einer Unterhaltungssendung nicht das gezeigt werden, was auch im normalen Leben stattfindet?" Eine "dramaturgische Aufbereitung" gehöre aber nunmal zum Geschäft. Dabei halte man sich aber an Regeln. "Wir legen die Castingfolgen von 'DSDS' seit zwei Staffeln der FSF (Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen) vor, die sie prüft. Das ist für uns die Arbeitsgrundlage. Alles andere ist eine Geschmacksdiskussion, die nur bedingt sinnstifend ist."