Die Affäre um Bundespräsident Christian Wulff spitzt sich weiter zu. Wie die "Süddeutsche Zeitung" und die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" berichten, soll Wulff am Tag vor Veröffentlichung der Geschichte über die umstrittene Finanzierung seines Eigenheims durch einen Droh-Anruf bei "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann versucht haben, den Bericht zu stoppen. Wulff habe Diekmann demnach mit einem "endgültigen Bruch" mit dem Springer-Verlag gedroht. Für ihn und seine Frau sei "der Rubikon überschritten", soll Wulff gesagt haben.

Weil der Bundespräsident den Chefredakteur jedoch nicht erreichte, sprach er ihm auf die Mailbox - und fand dabei drastische Worte. Wenn 'Bild' "Krieg führen" wolle, dann solle man darüber nach seiner Rückkehr mit ihm sprechen, wie dieser Krieg geführt werden solle, zitiert die "Süddeutsche Zeitung" das Staatsoberhaupt, das sogar mit einer Anzeige gegen die Journalisten gedroht haben soll. Wenige Tage später hatte Wulff dagegen in einer öffentlichen Erklärung betont, Presse- und Informationsfreiheit seien "ein hohes Gut" - nicht auszuschließen, das er nun über genau diese Wort stolpern wird.

Aus dem Umfeld des Bundespräsidenten heißt es, der "wutentbrannte Anruf" beim Chefredakteur der auflagenstärksten deutschen Tageszeitung sei "nicht besonders geschickt" gewesen, zumal der Anruf nun auf Seite der "Bild"-Zeitung Wort für Wort dokumentiert ist, während Wulff selbst nichts in der Hand hat. Wulff soll den Anruf, so schreibt die "SZ", später im direkten Gespräch mit Diekmann jedoch bedauert haben, woraufhin dieser die Sache für erledigt erklärte. Und doch kam der Droh-Anruf nun ans Tageslicht. Bleibt die Frage, von wem die Informationen stammen, die jetzt an die Öffentlichkeit drangen: Allzu viele Personen dürften von Wulffs Anruf bei Diekmann kaum gewusst haben.

Bei Springer wollte man sich auf Nachfrage des Medienmagazins DWDL.de zu dem nun für Wirbel sorgenden Bericht nicht äußern - was insofern kurios ist, da Wulffs Anruf schließlich an den "Bild"-Chefredakteur höchstselbst gerichtet war. Während sämtliche Nachrichtenportale im Internet am Montag groß über den Skandal berichten, ist bis zum Mittag bei "Bild.de" kein Artikel dazu erschienen (Update: Inzwischen hat die Chefredaktion der "Bild" die Berichte in einem Artikel "in eigener Sache" bestätigt). Für "Bild" sind die Berichte aber freilich trotzdem gute PR, lassen sie das Boulevardblatt doch in gutem Licht dastehen - denn trotz des Droh-Anrufs hielt das Springer-Blatt an seinem Vorhaben fest, jenen Artikel zu veröffentlichen, der die Kredit-Affäre des Bundespräsidenten ins Rollen brachte.

"Dass niemand den unbeherrschten Anruf beim 'Bild'-Chef verhindern konnte, rundet das Bild der verkorksten Öffentlichkeitsarbeit im Präsidenten-Stab ab", schreibt die "Süddeutsche Zeitung". Und auch für Christian Wulff wird es nun eng. So hat sich der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) am Montag gegen jegliche Versuche prominenter Persönlichkeiten gewandt, Einfluss auf die kritische Berichterstattung von Medien ausüben zu wollen und damit auf die jüngste Berichterstattung um Wulff reagiert. "Prominente müssen sich kritische Berichterstattung als Teil der Meinungsfreiheit gefallen lassen", sagte DJV-Bundesvorsitzender Michael Konken. "Das müsste niemand besser wissen als der erste Mann im Staat."

Dass sich ein deutscher Bundespräsident öffentlich über die Meinungsfreiheit belehren lassen muss, ist in der Geschichte der Bundesrepublik höchstwahrscheinlich ein einmaliger Vorgang. Der Bundespräsident habe nicht nur gesetzlich geregelte Aufgaben und Pflichten, ihm komme als Staatsoberhaupt auch eine Vorbildfunktion zu, betonte Konken. Das gelte für viele andere Prominente auch. Wulffs Versuche gegenüber "Bild" seien zudem nicht vereinbar mit seiner Erklärung vom 22. Dezember, in der er die Bedeutung der Pressefreiheit ausdrücklich hervorgehoben habe. "Kritische Berichterstattung und Information der Öffentlichkeit sind und bleiben das Tagesgeschäft von Journalisten", so der DJV-Bundesvorsitzende weiter.

Und tatsächlich: Die Journalisten taten im Fall Wulff das, was ihre Aufgabe ist - die immer wieder betonte Würde des Bundespräsidenten darf angesichts der schwerwiegenden Vorwürfe keine Rolle spielen, zumal sie sich letztlich als wahr herausstellten. Mindestens ebenso beachtlich ist in diesem Zusammenhang allerdings die inzwischen vollkommen fehlende Rückendeckung der "Bild"-Zeitung, die Wulff noch in seiner Zeit als Ministerpräsident von Niedersachsen gerne glamourös darstellte. Davon ist spätestens jetzt nichts mehr übrig geblieben - ein Trend, der sich bereits allerdings schon abzeichnete, als sich Springer im Vorfeld der Präsidenten-Wahl auf die Seite von Joachim Gauck stellte. Nicht auszuschließen, dass Wulff den kürzlich beschworenen Krieg nun verliert. Es deutet vieles darauf hin, dass der Bundespräsident selbst den Rubikon überschritten hat.