Herr Potofski, wann wurden Sie zuletzt beschimpft?

Das kommt immer wieder vor. Sie werden keinen Kommentator finden, der nicht gelegentlich ausgeschimpft wird.

Jeder kennt den Satz „Fußballkommmentatoren polarisieren“ - wie reagieren Sie eigentlich auf Beleidigungen?

Gar nicht. Die Pöbler tun mir leid. Heftige Kritik ist okay, persönliche Angriffe sind immer falsch. Zwar ist das Gemecker an manchen Tagen sehr ermüdend, aber ich kann damit umgehen. Die Mechanismen sind ein Spiegelbild unserer Gesellschaft.

Wie meinen Sie das?

Wie viele Leute gehen zu McDonald's und regen sich über die vermeintlich viel zu langsame Bedienung auf? Ungeduld und eine gewisse Grundaggressivität sind in unserem Alltag mittlerweile Usus. Dass der Zuschauer auf uns Kommentatoren sämtliche Emotionen projiziert, ist nahelieliegend, uns kann man schließlich wunderbar verunglimpfen, frei nach dem Motto: „Der Typ nervt, hat keine Ahnung - und ich weiß alles besser“. Aber noch mal ganz deutlich: Das ist kein Thema, das mich täglich beschäftigt oder gar belastet - wir sind Profis. 

Sie schreiben in Ihrem nun erschienenen Buch Entscheidend ist auf dem Platz, Sie ärgerten sich beim Fußballschauen nie über den Kommentator. Viele Fans fragen sich vermutlich: Wie schafft der das?

Ich bin 62 Jahre alt, schaue seit über 50 Jahren Fußball, weshalb sollte ich meine Lebenszeit damit verschwenden, mich über jemanden aufzuregen, der meine große Leidenschaft, den Fußball, kommentiert? Das wäre unsinnig. Für mich war dieser Sport immer nur eins: die pure Lebensfreude. Das heißt nicht, dass ich nie anderer Meinung bin als der jeweilige Kommentator.

Ich nenne Ihnen jetzt zwei Zitate und bitte Sie zu tippen, von welchem Kommentator sie jeweils stammen: „Die selbstgefälligen Kritiker haben meist keine Ahnung, was unsere Arbeit tatsächlich ausmacht.“

Marcel Reif.

Nein, Béla Réthy.

Der Satz könnte auch von Marcel sein.

Würden Sie Herrn Réthy zustimmen?

Da ist 'was dran. Denn man könnte den Spieß ja auch umdrehen: All diejenigen, die polemische Kritiken über uns Kommentatoren schreiben, machen sich ebenfalls angreifbar. Ich könnte morgen problemlos eine Kritik über die Kritik vom Vortag schreiben, dennn ich werde darin immer negative Punkte finden. Fest steht: Sowohl die Lobeshymne als auch der totale Veriss können nicht stimmen.

Zweites Zitat: „Diejenigen, die eine Kommunikation pflegen, die ich ernst nehmen kann, die drücken nicht auf Knöpfe - denn sowas bringe ich einem mittelmäßig begabten Schimpansen in Wochenfrist bei.“

Der Satz muss von Marcel sein. Die Sprache ist für ihn typisch.

Richtig, Stichwort „Internet“, wie gehen Sie eigentlich mit den teils aufgeladenen Diskussionen in den sozialen Netzwerken um?

Darüber kann ich nur schmunzeln. Ich habe in meinen Leben soviel erlebt, da ist so ein Shitstorm nicht der Rede wert. Wer bereits echte Krisen durchlebt hat, den haut soetwas nicht um. Ich habe vierzig tote Menschen in einem Fußballstadion liegen sehen (Heysel-Tragödie 1985, d. Red.). Wenige Meter von mir entfernt: Angst, Chaos, Verzweiflung. Das war einer dieser Momente, die einen wirklich umhauen. Dagegen ist die Pöbelei in irgendwelchen Scheinwelten belanglos.

Sie haben vor Kurzem gesagt, Sie seien in den vergangenen Jahren ruhiger geworden, Ihr Redeanteil während einer Reportage liege mittlerweile unter 60 Prozent. Haben Sie früher etwa zu viel geredet? 

Ich war früher unbefangener, so doof das auch klingt. Am Anfang fand ich es einfach schick, viel zu quatschen, irgendwann habe ich aber festgestellt, dass das viele Kollegen übernehmen. Das war wohl der Moment, in dem ich dachte: Komm, fahr' das ein bisschen runter, du musst nicht zu jeder Aktion eine flapsige Bemerkung machen. Fakt ist: Geht es in einer Partie rauf und runter, wird der Wortanteil automatisch höher. Aber bitte denken Sie daran, ich kommentiere meistens Zweitligapartien.

Was wollen Sie damit sagen?

Na ja, fußballerisch betrachtet passiert da über weite Strecken des Spiels nicht sonderlich viel. Die Mannschaften arbeiten häufig mit langen Bällen, zudem ist die Spielfreude nicht gerade ausgeprägt, um es dezent zu formulieren. Mein Wortanteil passt sich alledem an.