An diesem Mittwoch sind die Gewinner des Grimme-Preises bekanntgegeben worden (DWDL.de berichtete). Als einziger Privatsender kann sich ProSieben über eine Auszeichnung freuen. In der Kategorie Unterhaltung heimste der Sender einen Preis für seine, aus Quotensicht erfolglose, Talkshow "Applaus und raus" ein. Das Konzept der Sendung: Moderator Oliver Polak entscheidet selbst, wie lange er mit einem Gast redet und weiß nicht, wer als nächstes kommt.

Die Auszeichnung für Polak stößt allerdings nicht nur auf Gegenliebe. In einem Offenen Brief hat sich nun Jürn Kruse, Medienredakteur der "taz" und Jury-Mitglied beim Grimme-Preis, an Polak gewandt und sich von der Auszeichnung distanziert. Grund für den Ärger ist das umstrittene Motto der Sendung. ProSieben bewarb "Applaus und raus" mit dem Untertitel "Gast oder Spast?". Auch "Medienkorrespondenz"-Chefredakteur Dieter Anschlag, der gleichzeitig auch Vorsitzender der siebenköpfigen Jury war, distanzierte sich von der Auszeichnung. 

Er könne das Motto nicht verstehen, sagt Kruse und begründet das mit einer sehr persönlichen Lebenserfahrung. "Es ist ein paar Jahre her, nach der Geburt meiner Tochter, da zog das Schicksal (oder an was auch immer man glaubt) eine ganz feine Linie zwischen 'Gast' und 'Spast'. Ob sie das eine oder andere werden würde, hing nicht wie in Ihrer Show vom Schlag auf einen Buzzer ab, sondern von der Kühlmatte, auf der sie lag, die ihre Hirnschäden eindämmen sollte, vom Morphium, das die damit verbundenen Schmerzen bekämpfen sollte, vom Barbiturat, das ihre Krampfanfälle lindern sollte, von der künstlichen Beatmung, von der künstlichen Ernährung, von den Ärztinnen und Ärzten, den Schwestern und Pflegern."

Schon als ProSieben die Sendung ausgestrahlt hat, kam Kritik am Motto auf. Der Sender wies die Anschuldigungen stets zurück und twitterte unter anderem: "Die moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen." Daraufhin fragt Kruse nun, weshalb man den entsprechenden Hashtag inzwischen nicht mehr verwende und warum der Name des Twitter-Accounts der Sendung nach der Kritik dennoch geändert wurde. "Das einzige, woran Sie mit diesem Reim mitgewirkt haben, ist die Etablierung eines Jahrzehnte alten Schimpfworts gegen Menschen mit Behinderungen."

Kruse gratuliert Polak in seinem Brief dann auch ganz ernst gemeint zur Auszeichnung, sagt aber auch: "Ich hätte Sie nicht ausgezeichnet." Dennoch akzeptiere er das Ergebnis der Abstimmung innerhalb der Jury. Jury-Chef Dieter Anschlag erklärte in einem Statement: "Mit solchen Begriffen, die zu einer Sendung verwendet wurden, die weder Satire noch Comedy war, diskriminieren Moderator und Sender Menschen mit spastischer Lähmung wie auch behinderte Menschen im allgemeinen. Eine solche Geisteshaltung und eine Sendung, die es zum Prinzip erhebt, Menschen bei Nichtgefallen 'rauszuschmeißen', sind nach meiner festen Überzeugung einer wertegetragenen Auszeichnung, wie sie der vom Deutschen Volkshochschul-Verband verliehene Grimme-Preis darstellen soll, nicht würdig."

Dennoch hat die Mehrheit der Jury in der Kategorie Unterhaltung beschlossen, "Applaus und raus" mit einem Grimme-Preis zu würdigen. Begründet wird das damit, dass es Polak gelinge, die "Sphären des Interessanten und Unerwarteten zurückzuholen" - in einer sonst sehr erwartbaren Talkshow-Welt. Schon das Konzept erzeuge eine Spannung, die sich von vergleichbaren Formaten unterscheide.

Weiterhin hält die Jury fest: "In diesem Spannungsfeld verlässt der Gastgeber die tradierte Rolle des Moderators und sitzt mitunter schlicht als Mensch dem Eingeladenen gegenüber. Im Falle von Oliver Polak ist dies ein Mensch, der mit seiner jüdischen Herkunft und seiner psychischen Erkrankung nicht nur sein Comedy-Programm und seine Angriffstaktik bestreitet, sondern einer, der sich in seiner Verletzlichkeit und seinen Grenzen der Situation preisgibt." Anders als in den klassischen Talkformaten sei der Zuschauer bei "Applaus und Raus!" dabei, wenn Fernsehen durchlässig werde. "Wenn es offen ist für Unvorhergesehenes, für Ungeplantes. Und vielleicht auch für Ungewolltes. Auf jeden Fall aber offen für die Risikobereitschaft eines Moderators, ohne Hose dazustehen."

Die vollständige Begründung der Unterhaltungs-Jury des Grimme-Preises lesen Sie auf der folgenden Seite.