In sechs Wochen steigt in Kiew das Finale des Eurovision Song Contest, der eigentlich ja unpolitisch sein soll. Zuletzt machte die Veranstaltung aber vor allem wegen des Einreiseverbots gegen die russische Sängerin Julia Samoylova Schlagzeilen. Nachdem ein Kompromissvorschlag von der Ukraine wie auch Russland abgelehnt wurde, hat sich nun die Präsidentin der Europäischen Rundfunkunion (EBU), Ingrid Deltenre, eingeschaltet und sich an Ministerpräsident Wolodymyr Hrojsman gewandt.

In einem Brief, der im Internet kursiert und dessen Echtheit gegenüber der Deutschen Welle und dem "Spiegel" bestätigt wurde, fordert Deltenre den ukrainischen Präsidenten dazu auf sicherzustellen, dass Samoylova bei der Veranstaltung auftreten kann und ihr dafür die Einreise in die Ukraine gewährt wird. Deltenre, die das aktuelle Einreiseverbot im Namen der EBU als inakzeptabel erachtet, sieht die Reputation der Ukraine und auch des Wettbewerbs gefährdet. "Sollte das Einreiseverbot von Ihnen bestätigt werden, hätte dies einen sehr negativen Einfluss auf den internationalen Ruf der Ukraine als moderne, demokratische europäische Nation", so die EBU-Präsidentin. Selbstverständlich müsse man auch befürchten, dass dadurch auch für den Eurovision Song Contest an sich und die EBU eine Schaden entstehe, heißt es weiter.

Noch nie zuvor sei es vorgekommen, dass ein Gastgeberland einen Künstler daran gehindert hat, am Eurovision Song Contest teilzunehmen. "Wir erachten das derzeitige Einreiseverbots der russischen Sängerin als unakzeptabel", so Deltenre in dem Schreiben. Ihr sei viel daran gelegen, dass dies auch so bleibt und in diesem Jahr kein Präzedenzfall geschaffen werde. Deltenre erwartet, dass Russland unter den gleichen Bedingungen wie die übrigen 42 Kandidaten teilnehmen kann. Die EBU respektiere die Gesetze des Landes, habe aber keine Informationen, welche eine Gefahr durch Samoylova bestätigen.

Gemäß des Schreibens sorgt das Einreiseverbot auch bei den einzelnen Rundfunkanstalten für Verstimmungen. Man habe bereits eine Reihe von Mitteilungen von EBU-Mitgliedern erhalten, welche die Entscheidung kritisieren und nun selbst erwägen, nicht am diesjährigen Song Contest teilzunehmen. Die EBU werde alles dafür tun, dass der Eurovision Song Contest eine unpolitische Veranstaltung bleibe und man sei wütend, dass der diesjährige Wettbewerb zum Spielball im Konflikt der beiden Länder geworden ist. "Ohne Zweifel" werde die Zukunft der Ukraine beim Eurovision Song Contest aufs Spiel gesetzt, droht Deltenre in dem Schreiben gleich zweimal mit einem künftigen Ausschluss des Landes vom Eurovision Song Contest.

Samoylova wurde erst Mitte März vom russischen Sender Channel One als diesjährige Repräsentantin ausgewählt. Die ukrainischen Behörden machten wenig später eine Drohung war und sprachen gegen die Sängerin ein dreijähriges Einreiseverbot aus. Vorgeworfen wird Samoylova, vor zwei Jahren auf der von Russland annektierten Halbinsel Krim aufgetreten zu sein und damit gegen ukrainisches Recht verstoßen zu haben. Die EBU präsentierte wenig später einen Kompromissvorschlag, der aber von der Ukraine und Russland abgelehnt wurde. Vorgesehen war, dass Samoylova per Satellitenschalte im Finale auftritt. Die Veranstalter gehen offenbar auch weiterhin von einer Lösung aus: Ungeachtet der Streitigkeiten wurde Russland am Freitag ein Platz im zweiten Halbfinale zugewiesen.

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