Gemessen an seinen bisherigen Auftritten - stets betont lässig in T-Shirt und Lederjacke - begann der dritte Besuch von Roy Price beim TV-Festival in Edinburgh schon mit einem optischen Unterschied: Die Berufsjugendlichkeit der Launch-Jahre von Amazon Prime ist einem klassischen Anzug-Look gewichen. Price ist nicht länger das „new kid on the block“. Glücklicherweise spiegelt sich das nicht nur in seinem Look wieder: Auch inhaltlich hat diese Platte inzwischen einen Sprung. Dank einer gekonnten Interview-Führung von Jay Hunt, hielten sich die Plattitüden über die Vorzüge von SVoD, Big Data und dem Kunden als Mittelpunkt von allem in Grenzen.



Aber nicht nur das. Wann immer Roy Price in der Vergangenheit auf die Bühne ging, schien es als wollten die Gastgeber den gefragten Gast bloß nicht irritieren und verärgern. Interviews mit einem der spannendsten Köpfe der SVoD-Branche fielen erschreckend harmlos aus. Fragwürdige Aussagen blieben unwidersprochen. Nicht so an diesem Freitagvormittag in Edinburgh. Als Roy Price davon sprach, wie gut es bei Amazon Prime laufen würde, wollte Jay Hunt konkrete Aussagen. Einmal mehr lächelte Amazon-Manager Price diese Nachfrage nach dem tatsächlichen Erfolg der wichtigsten Serien seines Angebots weg. Auf charmante Art platzte Jay Hunt da kurzzeitig die Hutschnur.

Sie fasste die von Roy Price einmal mehr transportierte Intransparenz von Amazon Prime bitterböse zusammen. Die Strategie bei Amazon laute wohl „Wir sind erfolgreich, weil wir es sagen“. Gelächter im Fachpublikum. Nichts wurmt die Branche so sehr als die fehlenden Leistungswerte der so oft gefeierten SVoD-Dienste. Die Hartnäckigkeit von Hunt zahlte sich dafür bei anderen Themen aus. So ging es u.a. um die von Amazon etablierten Pilot Seasons. Bislang stellte man die meisten Serienprojekte in Form einer fertigen Pilotfolge vor. Das Feedback der Zuschauer habe dann - so zumindest die Narrative von Amazon - darüber entschieden, welches Serienprojekt eine Staffel bekommt.

"Es ist nun mal so, dass uns die Piloten ausbremsen."

Oft genug war genau diese Besonderheit etwas, was Amazon-Vertreter bei Interviews wie diesem stolz als Alleinstellungsmerkmal hervor hoben. Doch heute überraschte Roy Price mit einer rationalen Kehrtwende: Amazon will Abschied nehmen von den Pilot Seasons. Weit weniger Projekte als bisher würden diesen Weg gehen. „Es ist nun mal so, dass uns die Piloten ausbremsen. Das sind dann nochmal 10 Monate. Zwischen einem Meeting mit Kreativen und einer fertigen Serie liegen normal 12 bis 18 Monate, aber mit einer Pilotepisode sind es dann schon zwei Jahre“, erklärte Roy Price auf der Bühne des Edinburgh International Television Festival.

Roy Price© DWDL.de


„Der Wettbewerb ist hart und oft muss man direkt in die Staffelproduktion gehen - einmal aufgrund des Timings aber auch mit Blick auf die Konkurrenz. Wir setzen weiter auf Feedback unserer Kunden, aber wir werden sicher weniger Piloten haben als bislang.“ Neben dem Zeitaspekt ist das System der Pilot Season auch eine Kostenfrage: Gute Serien, so Price in Edinburgh, kosten gerne mal zwischen vier und sechs Millionen Dollar pro Folge. Manche sogar doppelt so viel. Roy Price sieht mit Blick auf Serien wie „Game of Thrones“ einen Trend: „Größere Welten, größere Budgets“ Mit einer wachsenden internationalen Kundenbasis können SVoD-Dienste mit Budgets planen, die für lineare, nationale Sender, kaum noch zu stemmen sind.

"Die Menschen lieben Sport. Das ist eine gute Gelegenheit."

Eine weitere Überraschung in Edinburgh: Roy Price kündigte an, dass sich Amazon Studios verstärkt Sportübertragungsrechte anschauen will. Auch hier eine Wende in der Haltung der SVoD-Dienste, die bislang gerne die Geschichte vom zeitsouveränen Kunden erzählt haben, der sich dank SVoD nicht nach Sendezeiten richten muss. Dass Amazon sich für Sportrechte interessiert - in Deutschland ist das weniger neu. Seit vergangenem Wochenende überträgt Amazon Prime die Bundesliga - allerdings nur als Audiostream. Roy Price hat Appetit auf mehr Sportrechte für Amazon Prime: „Die Menschen lieben Sport. Das ist eine gute Gelegenheit. Sport ist breit, unverwechselbar und Fans die daran hängen.“

Weniger wichtig aber charmant und für die sonst so bedachten US-Amerikaner ungewohnt: Roy Price ließ sich unter der starken Interviewführung von Jay Hunt am Ende sogar zu Aussagen über die Konkurrenz hinreißen. Welche Serien der Konkurrenz er gerne bei Amazon Prime hätte? „The Handmaid’s Tale“ von Hulu und „The Crown“ von Netflix. „Aber man kann halt nicht alles haben“, so Price.