Falls Frankreich nach Hamburg kommt, klingt es selbst in der britisch geprägten Hansestadt kurz mal frankophon. Statt "Guten Tag" sagt Claude-Anne Savin dann "Bonjour", wenn sie das Publikum ihrer Pressekonferenz begrüßt. Statt "Thema" sagt Peter Boudgoust eben "Sujet", wenn er den Inhalt einer Sendung umschreibt. Und statt "Entschlüsselung" sagt Bernd Mütter "Décryptage", wenn er die Kernkompetenz seines Arbeitgebers schildert. Der ist ja ein deutsch-französischer Kulturkanal aus dem bilingualen Straßburg, und sobald dessen Sprecherin, ihr Präsident und sein Programmdirektor nach Hamburg reisen, um das Angebot der kommenden Monate vorzustellen, mischt sich naturgemäß die Sprache. Bienvenue bei Arte!

Jener linearen Fernsehofferte, deren gesellschaftliche Bedeutung seit 26 Jahren weiter von der messbaren Relevanz entfernt ist als Scripted Reality von der Realität. Man kann das stets schön bestaunen, wenn Arte wie jedes Jahr um diese Zeit mehr Journalisten in ein schickes Luxushotel lockt als jede noch so opulente Pressekonferenz der Konkurrenz. Gut 20 Millionen "kumulierte Zuschauer" werden da, wie es der amtierende Intendant Boudgoust in seiner staubglänzenden Rede tut, schon mal zum Riesenerfolg erklärt – obwohl es sich dabei um die Anzahl der Nutzer in beiden Ländern handelt. Pro Woche!

Aber sei’s drum. Ein Spartenkanal darf sich auch über mikroskopische Sehbeteiligung freuen, sofern er mit sich im Reinen ist. Und das ist Arte, dieses proeuropäische Bollwerk des linearen Fernsehens. Trotz gerade mal 250.000 Zuschauern des Reportage-Magazins "Re:", für die im befreundeten ZDF selbst Formate der Nachtschleife abgesetzt würden. Aber es geht bei Arte eben nicht um Reichweite, es geht um Inhalte. Und die sind 2018 wieder überaus beachtlich, unterhaltsam, entschlüsselnd. "Décryptage", wirft Programmchef Mütter erneut ins Auditorium und grinst, als er seine Vorschau präsentiert.

Allein die Jubiläen: 50 Jahre 68er-Revolte, 70 Jahre Israel-Gründung, 100 Jahre Weltkriegsende, 200 Jahre Marx-Geburtstag, 2000 Jahre Putin-Herrschaft. Bei so viel geschichtlicher Wucht erblüht Arte wie kein zweiter. Dann setzt es wie bei Russlands Präsidentschaftswahl Mitte März zwei Tage lang Druckbetankung mit Hintergrundwissen aus jeder erdenklichen Perspektive. Dann wird der Erfinder des Marxismus im Monat drauf zum abendfüllenden Thema, pardon: Sujet mit Dokudrama und Zukunftsvision. Dann erklärt sich die jüdische Staatsgründung auch mal durch den Humor von Ephraim Kishon. Dann schicken elf Sender 120 Schauspieler an 90 Sets in halb Europa, um das Ende des Weltenbrands 1918 nachzustellen.

Wenn es um Sachthemen geht, können auch die informationsaffinen Platzhirsche den Straßburgern nicht das Wasser reichen. Während Fiktion bei ARZDF zusehends die populären Sendeplätze verstopft, gibt es bei Arte gar keine populären Sendeplätze. Das macht flexibel. Ein Magazin wie "Move!" etwa, das ab April die Schönheit des Tanzes in seiner soziokulturellen Bedeutsamkeit ausleuchten will? Bestenfalls bei 3sat noch denkbar. Und so ist es auch 2018 wieder die Nische der Nische, in der Arte punktet. Zum Beispiel mit "Lugau City Lights".

Für seine Doku hat Tim Evers einen Liveclub im Spreewald entdeckt, der einst einen Hauch von großer Partywelt durch die DDR geblasen hatte. Till Schauders Reggae Boyz dagegen ist zugleich Fußballreportage und Milieustudie aus dem karibisch schönen, bitterarmen Jamaika. Und wenn James Joyce, Justin Trudeau, Robert Mitchum, arabische Blogger, amerikanische Wölfe oder polnische Maler zum Gegenstand intensiver Betrachtung werden, wird Theorie so praktisch, dass sie guter Fiktion in nichts nachsteht. Wobei es die natürlich auch gibt, nur eben seltener exklusiv und aus eigener Herstellung.

Das beste Beispiel ist "Bad Banks". Ab 1. März kann man Christian Schwochows Miniserie bei Arte bingewatchen. Die allermeisten Zuschauer werden es jedoch entweder vorab im Netz tun oder zwei Tage warten, um den brillanten Sechsteiler über die nächste Finanzkrise im ZDF zu sehen. Auch wegen dieser chronischen Missachtung hält sich der Kulturkanal dieses Jahr womöglich mit Serien ein wenig zurück. Aus der gewohnt sicheren Filmbank Skandinavien gibt es zweite Staffeln von "Jordskott" und "Occupied" sowie das Debüt des achtteiligen Grenzthrillers "Der Fluss". Auch Spielfilme gibt es in Erstausstrahlungen wie den umjubelten Berlinale-Beitrag "Jonathan" mit dem sensationellen Jannis Niewöhner als Sohn eines sterbenden Vaters im April.

Das ist ebenso sehenswert wie all die schönen Filmklassiker und Festivaladaptionen, die Cannes-Retrospektive und Stummfilm-Wiederkehr. Das Herz des Senders wird aber von Infotainment durchblutet. Einem Amazonas-Experiment etwa, das der ZDF-Koordinator Wolfgang Bergmann auf dem Podium zum Anlass nimmt, vom "Paradies des europäischen Fernsehens" zu schwärmen. Schön ist es darin. Ehrenwort. Meistens zumindest. Auch wenn oft kaum jemand zusieht.