Da muss man glatt doppelt hinsehen und zur Sicherheit gleich noch einmal: Dieser bedächtige, fast schüchterne Mann mit dem kahlrasierten Schädel soll allen Ernstes der größte Latin Lover des Kinos seit Rudolf Valentino sein, ein Schauspieler, bei dem selbst Melanie Griffith einst weiche Knie bekam und Produzenten mächtige Dollarzeichen im Auge? Unmöglich! Dann aber betritt er den blickdichten Konferenzraum seiner Heimatstadt Málaga, lächelt fein und sagt ganz leise, aber mit diesem rauchig spanischen Akzent, der noch immer rasch unter die Haut geht: „So you really have any questions upon me?“ In der Tat, man hätte da ein paar Fragen zu ihm: Antonio Banderas.

Denn der war seit seiner Glanzzeit scheinbar weg vom Fenster. In den Neunzigern hatte sein Glutaugenblick unterm dunklen Lockenkopf so verlässlich Herzen erweicht, dass 1993 jenes von Tom Hanks in Philadelphia hinzukam. Vom Womanizer zum Schwulenschwarm – damals war das nicht nur ein Statement, sondern größtmögliches Kino. Es trug ihn wie auf Wolken durchs Jahrzehnt. Bis im nächsten der harte Aufprall folgte: Viele Flops, noch mehr Häme, mit Anfang 40 drohte das Ende einer Weltkarriere. Doch nun ist Antonio Banderas zurück, und das nicht zufällig in Málaga, wo er ebenso geboren wurde, wie seine vielleicht wichtigste, er selbst sagt: schauspielerischste Filmfigur: Pablo Picasso.

Das passt! Und zwar in jeder Hinsicht. "Genius: Picasso" heißt die Fortsetzung der fiktionalen Porträt-Reihe beispielloser Genies, mit der der internationale Doku-Sender National Geographic sich dem Trend-Genre der Fiktion geöffnet hat. Die erste Staffel handelte von Albert Einstein und sammelt weiterhin Fernsehpreise wie Antonio Banderas einst Kassenschlager. Und nun also das weltgrößte Genie der modernen Malerei im Blitzlicht einer sündhaft teuren Hochglanzproduktion, das Leben des sexy Revolutionärs, verkörpert vom sexy Schauspieler, der bereits sexy Revolutionäre wie Che oder Zorro verkörpern durfte und auch sonst wie die Faust aufs Auge zum Kubisten aus Málaga passt. Er kommt schließlich nicht nur aus derselben Stadt. Mit sacht ergrautem Kurzhaarschnitt sieht er dem gealterten Meister auch noch recht ähnlich.

Genius Picasso© Fox

Seine Mama, erzählt der große Banderas von heute flüsternd über den kleinen Antonio der frühen Sechzigerjahre, „hat jedes Mal, wenn wir daran vorbeigegangen sind, ehrfürchtig gesagt: hier wurde Pablo Picasso geboren.“ Wer sich nun allerdings die Premiere seines zehnteiligen Biopics am Originalschauplatz anschaut, könnte vermuten, dass manche Mutter längst das gleiche übers Geburtshaus von José Antonio Domínguez Bandera sagt. Vorm Premierenkino jedenfalls herrscht aufgeregtes Kreischen, als der Schauspieler den roten Teppich mit einer grazilen Schönheit zur Seite betritt. Die halbe Stadt ist gekommen. Honoratioren und Fans, Lokalprominenz und Reporter von vier Kontinenten.

Doch nicht nur das: Beim grandiosen Empfang im Grandhotel mit Meerblick spielt ein Symphonieorchester. Die Garderobe der geladenen Gäste gleicht eher dem Wiener Opernball als einer TV-Präsentation. Es gibt Fingerfood und Wein, Folklore und Selfies. Umso mehr fragt sich in Anwesenheit des internationalen Casts: Geht es im andalusischen Postkartensonnenuntergang nur um eine Kinolegende in Gestalt einer Kunstlegende oder rechtfertigt das Produkt den Aufwand? Bislang war zwar nur Folge 1 zu sehen, doch schon sie deutet an: Genau ein Jahr nach dem weltweiten Erfolg des zehnfach Emmy-nominierten „Genius: Einstein“ muss sich „Genius: Picasso“ nicht hinterm Vorgänger verstecken.

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Lückenlos recherchiert und sorgsam ausgestattet, geht es der globalen Wissensmarke National Geographic ja erkennbar um den Eindruck größtmöglicher Authentizität. Ken Biller jedoch, wie schon bei Einstein als Showrunner vollverantwortlich für fast alles, sorgt jedoch dafür, dass der Spaß nicht zu kurz kommt. „Die Serie läuft in 171 Ländern“, sagt der Ideengeber am gleichen Interviewplatz wie wenige Minuten zuvor sein Titelstar, „da muss es am Ende auch Unterhaltung sein“. Die wirkt mit etwas viel Geigenmusik über etwas viel Grandezza zwar manchmal arg überdramatisiert. Aber hey – es geht hier um Pablo Picasso, den Bilderstürmer, den Schwerenöter, den Weltverbesserer, den Tausendsassa. In seiner funkensprühenden Energie verleiht ihm der junge Alex Rich („Glow“) daher eine ziemlich belegbare Virilität gepaart mit einer selbstsüchtigen Innbrunst für Lust und Kunst, die an Egomanie grenzt.

Sie aber rückt Banderas als gealterter Weltstar wieder ins Lot. Mit ihm wird Picasso politischer, geerdeter. Opulent fotografiert geht es zwar bis ins Finale um sein frivoles Liebesleben, mehr aber noch um den Spanischen Bürgerkrieg, um Guernica, um eine Existenz von unvergleichlicher Vielschichtigkeit. Und es ist Ken Biller zu verdanken, dass Frauen wie Samantha Colley als Künstlermuse Dora Maar nicht nur hübsche Accessoires sind, sondern freisinnige, emanzipierte, starke, eigenständige Figuren in einer männerdominierten Zeit.

Beim hollywoodartigen Auflauf in Málaga geht es daher nicht nur um die zwei berühmtesten Söhne der Stadt, sondern globale Legenden unter sich. Und weil eine der beiden partout nicht verblasst, darf die andere in ihrer Gestalt wieder glänzen. Als Frauenschwarm war Antonio Banderas schließlich stets am größten. Und ehrlich: mit Ende 50 und Knastfrisur erkennt man ihn zwar nicht sofort. Auf dem roten Teppich blüht allerdings sogar der reife Banderas auf. Antonio tanzt.

National Geographic zeigt "Genius: Picasso" in Deutschland ab dem 26. April, zwei Tage nach der US-Premiere