Probleme werden stets sofort erkannt, wenn sie plötzlich auftreten. Bei schleichenden Prozessen, wie einer schlecht laufenden Ernährung, die über Monate hinweg zu ungeliebter Gewichtszunahme führt, kann die Überraschung jedoch groß sein, wenn man sich eines tages auf die Waage stellt. Gleiches Konzept greift beim Klimawandel. Wissenschaftler wissen bereits seit Jahrzehnten, dass er in Gang gesetzt wurde. Ein, zwei Grad Temperaturdifferenz im Laufe der Zeit machen aber doch kein Unterschied, so der noch gefestigte Gedanke bei zu vielen Menschen. Von Al Gore bis zu Greta Thunberg treten aber immer mehr Klimaschützer in den Vordergrund, die eine eindeutige Aussage mit sich tragen: Wir stehen kurz vor einer Katastrophe. Auch der NDR möchte sich am Kampf gegen die Erderwärmung anschließen und wartet aktuell mit einem Themenschwerpunkt über den Klimawandel im Norden auf.

 

Neben der dreiteiligen Fernsehreportage "Wetter extrem" und weiteren Inhalten online, bei NDR 2 und N-Joy, steht vor allem die sechsteilige niederländisch-belgische Koproduktion "Wenn die Deiche brechen" im Zentrum, in der die Bürger unserer Nachbarländer zu Flüchtlingen ihrer eigenen Heimat werden. In der Katastrophen-Serie kommt es zu einem gewaltigen Sturm, der sich über der Nordsee zusammenbraut und mit seinen starken Regenschauern schnell dafür sorgt, dass besorgnisserregende Zustände entstehen. Während Belgien den Katastrophenalarm ausruft, da dort ein Binnendeich zu brechen droht, verharrrt der niederländische Premierminister im Nichtstun. Würde man nämlich die großen Städte wie Amsterdam evakuieren, wäre damit auch das wirtschaftliche Herz des Landes lahmgelegt. 

Man muss kein Wissenschaftler sein, um bereits hier zu erkennen, dass die Regierung des Landes, welches sich in seiner Hauptstadt größtenteils unter dem Meerespiegel befindet, einen gewaltigen Fehler begeht. Und so vollzieht sich das Schicksal, welches sich bereits nach wenigen Minuten anbahnt: Hier steht gleich alles unter Wasser. Der Titel hätte nicht mehr versprechen können. Dass die letzte Folge "Niederlande über Wasser" benannt wurde, gibt dem Öffentlich-Rechtlichen Zuschauer aber auch die direkte Entwarnung, dass das Ganze nicht in einer kompletten Depri-Nummer versackt. "Wenn die Deiche brechen" verfolgt zwar mehrere Einzelschicksale in seiner Erzählung, hat aber natürlich ein großes Überziel: Eine "Wir schaffen das!"-Mentalität zu vermitteln, die sich dem Unterhaltungswert überordnet. 

Wobei diese Aussage nicht ganz korrekt ist. Der Sechsteiler bietet im Gegensatz zu vielen anderen Tragödien ein Element, das in Hollywood-Dramen wie "2012" oder dem RTL-Film "Helden" noch nicht vorzufinden war: Das Element der Technologie. In Hollands oberster politischer Ebene wird darüber diskutiert, wie nun damit umgegangen wird, dass die Umstände des Landes "Trending Topic" bei Twitter sind, oder wie verrückt es daherkommt, dass die Katastrophen-App des Landes in den letzten 24 Stunden über 800.000 mal gedownloadet wurde. Bei letzterem kann der Zuschauer nicht ganz identifizieren, ob die Pressesprecherin der Regierung darüber bestürzt, oder erfreut ist. 

Wenn die Deiche brechen

Die Niederlande stehen unter Wasser. Noch mehr, als sonst.

Allgemein kann nicht immer gesagt werden, wie ernst "Wenn die Deiche brechen" geraten sollte. Zum Einen gibt es das durchaus wichtige Thema der Klimaveränderung und wie sie unser Leben, wie wir es kennen, gefährden wird. Auf der anderen Seite beschwert sich eine Jugendliche, dass sie trotz ihres 24/7-Handyvertrags keine Telefonate bei Sturm tätigen kann. Ihre Schwester rät ihr daraufhin, dass sie das Probleme ihrem Anbieter näher bringen soll, indem sie dort einfach mal anruft. Solch eine Art des Humors wirkt falsch pointiert, vor allem, wenn kurz darauf eine Frau schockierenderweise von einem Straßenschild erschlagen wird und der Lacher komplett im Halse stecken bleibt. In diesem absurden Ping-Pong-Spiel befindet sich "Wenn die Deiche brechen" durchgehend, was durch die ungeheuer schlechte Synchronisation noch weiter befeuert wird. 

Die Stimmen spiegeln die emotionale Lage, die die Darsteller mal mehr, mal weniger gut zu vermitteln versuchen, in keinster Weise. Streitgespräche werden weggemurmelt, Schicksalsschläge gekünstelt kommentiert. Es fühlt sich alleine durch die irritierende Tragkraft der jeweiligen Klangfarbe so an, als ob man an einem Laientheater teilnimmt oder einem anderen Format, wo der Zuschauer förmlich auf die Frage, warum denn hier Stroh liegt, wartet. 

Die Hüllen werden jedoch nie fallen gelassen - nicht die aus Baumwolle und auch nicht die emotionalen. Denn in allem, was "Wenn die Deiche brechen" falsch macht, ist der größte Fehler wohl, dass der Zuschauer kein Spannungsgefühl vermittel bekommt. Ihm sind die Charaktere, die sich hölzern in Sicherheit bewegen, schlicht egal und plötzliche Twists werden höchstens mit einem Augenrollen wahrgenommen. 

Mit dieser Flut an Unvermögen wird die Frage angespült, warum gute Katastrophen-Filme so schwer umzusetzen sind. Im Grunde braucht es zwei Dinge: Atemberaubende Effektarbeit, die die Welt untergehen lässt und gut geschrieben Charaktere, mit denen der Zuschauer mitfiebern kann. Sollte der Klimawandel zukünftig also in weiteren Projekten dargestellt werden, sollten sich die Verantwortlichen darum bemühen, ihn nicht zu einem Witz verkommen zu lassen, damit er am Ende der Spielzeit auch noch Ernst genommen werden kann. 

Der komplette NDR-Themenschwerpunkt im Überblick:

  • Dienstag, 3. September, 18:45 Uhr: "Das!"-Expertengespräch mit Philipp Abresch
  • Dienstag, 3. September, 22 Uhr: "Wenn die Deiche brechen (1/6)
  • Dienstag, 3. September, 22:45 Uhr: "Wenn die Deiche brechen (2/6)
  • Mittwoch, 4. September, 18:45 Uhr: "Das!"-Expertengespräch mit Karsten Schwanke
  • Mittwoch, 4. September, 22 Uhr: "Wenn die Deiche brechen (3/6)
  • Mittwoch, 4. September, 22:50 Uhr: "Wenn die Deiche brechen (4/6)
  • Donnerstag, 5. September, 18:45 Uhr: "Das!"-Expertengespräch mit Heinz Galling
  • Donnerstag, 5. September, 22 Uhr: "Wenn die Deiche brechen (5/6)
  • Donnerstag, 5. September, 22:50 Uhr: "Wenn die Deiche brechen (6/6)
  • Freitag, 6. September, 18:45 Uhr: "Das!"-Expertengespräch mit Friederike Otto
  • Freitag, 6. September, 21:15 Uhr: "Wetter extrem" (2/3)
  • Freitag, 13. September, 21:15 Uhr: "Wetter extrem" (3/3)

  • Schwerpunktwoche bei NDR 2 vom 2. September - 5. September
  • Themenabend mit Hörerbeteiligung am 11. September bei NDR Info von 20:30 Uhr bis 22 Uhr
  • Im kompletten September auf N-Joy verteilte Beiträge