"Ich wünsche mir für unseren Sender, dass wir neue Programmentscheidungen nicht allein aus der Performance gelaufener Sendungen ableiten, weil das dann oft rückwärtsgewandte Absicherung ist", sagt Jörg Graf. Der 53-Jährige ist seit Februar als Nachfolger von Frank Hoffmann neuer Geschäftsführer von RTL. Programmerneuerung bei langlaufenden Erfolgsformaten ist ein Balance-Akt, bei dem Graf seinem Sender auch aber nicht nur in der non-fiktionalen Unterhaltung mehr Mut zum Risiko verordnet.



Jörg Graf© RTL
Im Gespräch mit dem Medienmagazin DWDL.de sagt Graf (Foto): "Ja, wir haben die erfolgreichsten Castingshows, mit 'Let’s Dance' die tollste Tanzshow, wir haben 'Bauer sucht Frau' und 'Wer wird Millionär'. Die klassische Fernsehtradition wäre jetzt: Mehr davon zu machen. Ich sage aber: Lasst uns anders denken. Lasst uns die zehn absoluten NoGos aufschreiben - also was man im TV auf keinen Fall machen darf - und aus der Situation heraus überlegen wir, was denn der nächste Kracher sein könnte."

Der größte Kracher dieses Sommers, "The Masked Singer", lief nach einem fast schon legendär gewordenen Bieter-Wettstreit allerdings bei ProSieben. "Ich sag‘ mal so: Wir haben das überdurchschnittliche Potential des Formats selbst erkannt und uns bemüht, es für die Gruppe zu erwerben", sagt Graf heute dazu - und verweist auf den Erfolg des "Sommerhaus der Stars". Neben einer Informations-Offensive und einer neuen Strategie für die deutsche Fiction hat sich Graf für diese Saison mehr Live-Unterhaltung vorgenommen.

"Live-Fernsehen ist eben eine besondere Qualität von Broadcasting. Technisch können das natürlich auch Streamingdienste, aber deren Refinanzierung funktioniert über das Produktversprechen, eine Sendung jederzeit gucken zu können. Das ist auch super, nutze ich selbst auch. TVNOW und auch die anderen Dienste, die es da gibt", sagt Graf schmunzelnd. "Live-Unterhaltung ist aber die Verabredung zu einem fixen Zeitpunkt, um gemeinsam zu schauen." Bei den Screenforce Days kündigte RTL u.a. die Live-Übertragung einer Herzoperation und für Ostern 2020 "Die Passion" an.

Ungewöhnlich in Zeiten von Risikominimierung und Planbarkeit: "Sich auf das Risiko einer Live-Show einzulassen, bringt allen den Spaß am Fernsehen zurück, weil wir viel zu perfektionistisch geworden sind. Ich möchte auch mal von meinem eigenen Programm überrascht werden - und wenn man live geht, kann eben alles passieren." Bei so viel Fokus auf Live-Unterhaltung und der Suche nach neuen Ideen einerseits, stellt sich mitunter auch die Frage nach dem Comeback eines Klassikers, dem "Domino Day", so etwa wie die Mutter aller Eventprogrammierung bei RTL.

Im Gespräch mit DWDL.de sagt Graf dazu: "Ich war über viele Jahre für die Finanzierung dieses Programms durch internationale Partner zuständig, was nie so einfach war, weil das Interesse am 'Domino Day' schon ein sehr deutsches war und der Event aufgrund der langen Vorbereitung aber kostspielig ist. Deswegen gab es ihn vor zehn Jahren zum letzten Mal, gleichwohl finde ich auch, dass es ein super spannendes Programm ist. Mehr will ich jetzt nicht dazu sagen", sagt er, grinst und schiebt hinter her: "Nein, natürlich: Es liegt ja auf der Hand, wenn wir auf Eventisierung setzen wollen, dann liegt der 'Domino Day' nahe."

Das gesamte Gespräch mit RTL-Geschäftsführer Jörg Graf - sein erstes Interview seit Antritt der neuen Aufgabe Anfang des Jahres - zu seiner Strategie für den größten Privatsender des Landes, das neue Sendungsbewusstsein und die veränderte Fiction-Strategie lesen Sie am Donnerstag ab 8 Uhr bei DWDL.de.