50 Mitarbeiter des "Spiegel" haben in den vergangenen Monaten aufgrund der Relotius-Affäre an einem neuen journalistischen Leitfaden für das Nachrichtenmagazin gearbeitet, den man nun veröffentlicht hat. Herausgekommen ist ein mehr als 70 Seiten langes Booklet, in dem die Redaktion ihre Arbeitsweise und ihr Selbstverständnis erklärt. Vieles davon liest sich wie eine Selbstverständlichkeit. Dennoch sei es auch im Zuge der Redaktionsfusionen sinnvoll und notwendig gewesen, so Chefredakteur Steffen Klusmann.
"Für unsere Arbeit gilt der Grundsatz: Die Geschichte muss stimmen", heißt es beispielsweise in dem Leitfaden. "Stimmen heißt nicht nur, dass die Fakten richtig sind, dass es die Personen gibt, dass die Orte authentisch sind. Stimmen heißt, dass der Text in seiner Dramaturgie und seinem Ablauf die Wirklichkeit wiedergibt." Die Redaktion hält außerdem fest, dass nicht nur nach Belegen für Thesen gesucht werden muss, sondern auch nach Belegen dagegen.
Auch wie man mit den Quellen umgeht, hat man nun noch einmal aufgeschrieben. "Wir pflegen einen transparenten, fairen Umgang mit unseren Protagonisten", so das Selbstverständnis der "Spiegel"-Journalisten. Man berichte kritisch und scharf, aber nicht verächtlich. Außerdem wiege man Protagonisten nicht im falschen Glauben einer positiven Berichterstattung, "um sie dann zu zerreißen".
"Spiegel"-Journalisten sollen sich in der Regel auch immer als solche zu erkennen geben und ihrem Gegenüber das Thema der Recherche skizzieren. Beim Umgang mit Quellen, die keine Medienerfahrung haben, habe man ein "besonderes Maß an Verantwortung". Das heißt: "Wir erklären den Quellen / Protagonisten den Rahmen der Veröffentlichung. Wir besprechen vorab Fragen, die den Persönlichkeitsschutz des Protagonisten berühren: Namensnennung, Erkennbarkeit auf Fotos, Umgang mit privaten Aussagen über Familienangehörige. Es gehört zu redlichem Verhalten gegenüber Gesprächspartnern, den Umgang mit ihren Zitaten im Voraus zu klären und uns an Vereinbarungen zu halten."
Nach wie vor gilt beim "Spiegel" außerdem, dass ein Autor zwei voneinander unabhängige Quellen benötigt. Eine Abweichung davon ist nur nach Rücksprache mit der Ressortleitung möglich. Außerdem will man immer die Motivation von Informanten hinterfragen und einordnen. "Das gilt auch dann, wenn die Quelle vermeintlich lautere Ziele verfolgt", steht in dem Leitfaden geschrieben.
Diskutiert wurde beim "Spiegel" zuletzt auch immer über vermeintliche Schönschreiberei, die bei Claas Relotius fehlende oder verdrehte Fakten überdeckt hat. In dem neuen Leitfaden heißt es nun: "Fakten schlagen die vermeintlich literarische Qualität". Die Sprache von "Spiegel"-Texten soll demnach "verständlich und klar" sein und dazu dienen, komplexe Sachzusammenhänge zu erklären. Darüber hinaus will man das generische Maskulinum abschaffen und künftig sowohl die weibliche als auch die männliche Form nutzen oder geschlechtsneutrale Begriffe wählen.