Auch wenn die Sachsenklinik so manchen Kritiker-Spott einstecken musste, zählt sie zu den robusten Pfeilern der ARD-Primetime. Am 23. Juni läuft bereits die 900. Folge des Dauerbrenners "In aller Freundschaft", den der MDR jeden Dienstag zum Gemeinschaftsprogramm beisteuert. Knapp fünf Millionen Zuschauer schalten durchschnittlich ein, und auch die Quoten des Vorabend-Ablegers "In aller Freundschaft – Die jungen Ärzte" können sich sehen lassen. Kein Wunder, dass die Krankenhausserie kürzlich um drei weitere Staffeln mit insgesamt 126 Folgen verlängert wurde (DWDL.de berichtete).

"Bei einer Serie, die auch nach 900 Folgen noch so erfolgreich ist, bewegen wir uns natürlich im Spannungsfeld zwischen Tradition und Erneuerung", sagt MDR-Fiction-Chefin Jana Brandt, die Mutter des Erfolgs, im Gespräch mit dem Medienmagazin DWDL.de. "Einerseits wollen wir die Fans nicht enttäuschen, die uns so lange die Treue halten. Andererseits wollen wir immer offen für neue erzählerische Ansätze bleiben." Ein neuer Ansatz manifestiert sich momentan in der Suche nach einer neuen Hauptfigur.

Der dazugehörige Casting-Aufruf ließ vor einigen Wochen aufhorchen: "Für die ARD-Serie 'In aller Freundschaft' sind wir auf der Suche nach Schauspieler*innen mit Behinderung jeder Art", schrieb eine Agentur im Auftrag der Produktionsfirma Saxonia Media. "Entscheidend ist dabei nicht nur Eure Erfahrung, sondern auch Eure Lust vor der Kamera zu stehen. Begeistert uns mit Eurem Talent!" Über 70 Video-Bewerbungen gingen daraufhin nach MDR-Angaben ein. Jana Brandt selbst hat 30 davon gesehen und ist vom Niveau angetan. Noch im Juni soll ein physisches Casting im Studio mit zwei Bewerberinnen stattfinden.

Jana Brandt© BR/Oliver Vacaro
Sowohl für die 24. Staffel von "In aller Freundschaft" als auch für die siebte Staffel der "Jungen Ärzte", die ab September in Leipzig bzw. Erfurt gedreht werden, ist nun geplant, jeweils eine neue durchgehende Arztrolle im Hauptcast einzuführen. Diese Figuren sollen eine körperliche Behinderung haben und von Darstellern gespielt werden, die diese Behinderung auch im echten Leben haben. "Den Anstoß für den Casting-Aufruf gab die Überlegung, dass wir zwar schon häufiger Patienten mit Behinderungen als Episodenrollen erzählt haben, aber bisher keine Schauspieler mit Behinderung zum durchgehenden Hauptcast zählten", so Brandt (Foto). "Das wollte ich gern ändern. Warum sollte die Sachsenklinik zum Beispiel keinen Chirurgen im Rollstuhl haben?"

Hinter dem Schritt steht das wachsende Bewusstsein dafür, wie wichtig die Darstellung von Diversität gerade auch in populärer Fiction ist. Im Vergleich zum deutschen Fernsehen lassen sich bei Streaming-Diensten und im US-Markt schon weitaus mehr Serien finden, die diverse Hautfarben, Sexualitäten und Lebensentwürfe als unaufgeregte Normalität erzählen, wie das Medienmagazin DWDL.de im März analysierte. Das gilt auch für Serienrollen mit körperlicher, kognitiver oder psychischer Behinderung.

Jana Brandt hat das Ziel im Blick: "Diversität vor und hinter der Kamera ist ein Anliegen, das mich zutiefst umtreibt und das wir in unseren fiktionalen Formaten seit vielen Jahren pflegen", sagt die Hauptredaktionsleiterin des MDR. "Wir wollen die Kraft des Formats nutzen, um ein stärkeres Zeichen zu setzen, um mehr Bewusstsein für ein ganz selbstverständliches Miteinander in der Gesellschaft zu schaffen." Voraussichtlich am 27. Oktober läuft eine "In aller Freundschaft"-Folge mit einer blinden Schauspielerin in der Episodenhauptrolle, am 8. Dezember mit einem kleinwüchsigen Darsteller. Dass Schauspieler ohne Behinderung eine Rolle mit Behinderung verkörpern, soll nicht mehr vorkommen. Brandt geht davon aus, dass neben den beiden festen Ensemble-Rollen noch weitere Talente aus dem aktuellen Casting für künftige Episodenrollen zum Zuge kommen werden.

Dass die Klinik-Soap in ihrer Erzählweise düsterer oder problembeladener werden könnte, steht übrigens nicht zu befürchten. "Die sich verändernde Authentizität gehört ebenso zu 'In aller Freundschaft' wie der Eskapismus", so Brandt. "Ja, man stirbt bei uns weniger als in der Realität und man versöhnt sich bei uns schneller als in der Realität. Aber das heißt ja nicht, dass wir reale gesellschaftliche Entwicklungen deshalb ausblenden."