Als Deniz Yücel zwischen Februar 2017 und Februar 2018 rund ein Jahr lang in türkischer Untersuchungshaft saß, gab es eine Welle der Solidarität, die weit über die Grenzen der Branche hinausreichten. Der Fall belastete auch die politischen Beziehungen zwischen Berlin und Ankara. Im Sommer 2019 hatte der "Welt"-Journalist vor dem türkischen Verfassungsgericht noch einen Sieg errungen, damals entschieden die Richter nämlich, Yücel habe zu Unrecht in Untersuchungshaft gesessen. Nun hat ein türkisches Gericht Yücel dennoch zu einer Haftstrafe von zwei Jahren, neun Monaten und 22 Tagen verurteilt. 

Antreten wird Yücel diese Strafe aber nicht, er durfte im Februar 2018 aus der Türkei ausreisen und verfolgte den Prozess aus Deutschland. Als Grund für die Verurteilung werden angebliche Propaganda für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK genannt. Vom Vorwurf der Volksverhetzung und der Propaganda für die Gülen-Bewegung sei er freigesprochen worden, erklärte Yücels Anwalt Veysel Ok gegenüber der dpa. 

Unter dem Titel "Ich bereue nichts" hat sich Yücel in einem Beitrag für die "Welt" bereits zum Urteil geäußert. "Dass die Richter entschieden haben, lieber das Verfassungsgericht bloßzustellen als den Staatspräsidenten, dass sie es sogar gewagt haben, die unantastbare Verteidigung des Angeklagten zu kriminalisieren, zeigt einmal mehr, wie es um die Rechtsstaatlichkeit in diesem Land bestellt ist: erbärmlich." Yücel bezeichnet die Entscheidung der Richter als ein "politisches Urteil". Letztlich sei ihm das Urteil egal, es habe auch keine praktischen Auswirkungen, so der Journalist.


Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) bezeichnet das Urteil als "Abgesang auf Rechtsstaatlichkeit". "Zwar wurde Deniz Yücel freigesprochen vom Vorwurf der Volksverhetzung, dieses Urteil ist dennoch ein weiterer schwerwiegender Beleg dafür, dass die Türkei ein Unrechtsstaat ist", sagte die Bundesvorsitzende der dju in ver.di Tina Groll. Yücel sei verurteilt worden, obwohl das türkische Verfassungsgericht vor gut einem Jahr befunden habe, dass seine Verhaftung rechtswidrig und ein Verstoß gegen die Presse- und Meinungsfreiheit gewesen sei.

Konsequenzen auf politischer Ebene fordert nun der Deutsche Journalisten-Verband (DJV), deren Vorsitzender Frank Überall forderte das Auswärtige Amt auf, "diplomatische Konsequenzen" zu ziehen. Überall: "Offensichtlich ist Rache das alles bestimmende Motiv der türkischen Justiz gegen die Kritiker von Erdogan und seinem AKP-Regime. Es ist an der Bundesregierung, ein deutliches Zeichen gegen einen möglichen EU-Beitritt der Türkei zu setzen." Der DJV-Chef bezeichnete die Entscheidung des Gerichts nun außerdem als "Willkürurteil, das kritische und unabhängige Berichterstattung dauerhaft kriminalisiert".