Seit dem Bekanntwerden eines laufenden Compliance-Verfahrens gegen Julian Reichelt, zeigte sich der "Bild"-Chefredakteur nach außen hin ziemlich wortkarg. In der Wochenzeitung "Die Zeit" kommt Reichelt jetzt selbst zu Wort. Demnach erzählt er, dass er sich erstmals in seinem Leben einen Anwalt genommen habe und gerade eine eidesstattliche Versicherung ausarbeiten lasse, in der er erkläre, seine Macht niemals gegenüber Mitarbeiterinnen missbraucht zu haben.

Die beiden "Zeit"-Reporterinnen Cathrin Gilbert, Hannah Knuth und ihr Kollege Holger Stark lassen in ihrem Text einige Für- und Widersprecher Reichelts zu Wort kommen und sprechen von mehreren Frauen, deren Fälle derzeit von Anwälten der Kanzlei Freshfields untersucht werden. Man habe sie um ein Gespräch gebeten, "sich aber entschieden, weder Namen noch Details gegen ihren Willen offenzulegen", so die "Zeit" weiter. Zudem heißt es, die Vorwürfe von strukturellem Machtmissbrauch ließen sich "weder be- noch widerlegen". Einige der Frauen hätten dem Vernehmen nach zwar belastende Indizien vorgelegt, beharrten aber auf ihrer Anonymität.

Geschildert wird in dem Artikel außerdem der Moment, in dem Reichelts Handy während des "Zeit"-Besuchs im Springer-Hochhaus vor etwas mehr als einer Woche klingelt. Wörtlich heißt es: "Eine Mitarbeiterin ist dran, sie will ihn offenbar informieren, dass sie zu ihren Erfahrungen mit ihm befragt werden soll. Er erwidert, es sei wichtig, dass sie die Wahrheit sage, über seine netten und nicht so netten Charakterzüge. 'Bloß nichts weglassen', sagt er. Sie solle nicht an sich zweifeln. Sie sei da, wo sie ist, weil sie gut sei - und nicht weil jemand sie grundlos gefördert habe. 'Hast du das verstanden?' Er wirft das Handy wieder auf den Tisch."

Reichelt berichtet außerdem vom Anruf seiner Schwester, die ihn nach der Veröffentlichung der Berichte über ihn gefragt habe, was los sei. "Er stützt den Kopf in die Hände", schreibt die Zeit. Und weiter: "Reichelt weiß, dass er als Bild-Chef vielen Menschen wehgetan hat, auch intern. Er sagt, halb tastend, halb linkisch: 'Das ist jetzt richtig spannend, oder?'"

Reichelt vorübergehend freigestellt

Am vergangenen Wochenende war bekannt geworden, dass Julian Reichelt für den Zeitraum der Untersuchung freigestellt worden ist. "Axel Springer hat immer und sehr grundsätzlich zu unterscheiden zwischen Gerüchten, Hinweisen und Beweisen", erklärte der Verlag in einer Stellungnahme. "Wenn aus Gerüchten über andere Personen konkrete Hinweise von Betroffenen selbst werden, beginnt das Unternehmen - wie im aktuellen Fall - sofort mit der Aufklärungsarbeit." 

Springer denkt derweil laut "Zeit" bereits über einen "Neustart" nach, wie es die Wochenzeitung formuliert. "Eine offene, auch schmerzhafte Diskussion über eine bessere Unternehmenskultur soll die Zeitung verändern - ob mit oder ohne Julian Reichelt", heißt es. Längst wird auch schon über mögliche Nachfolger spekuliert. "Die Zeit" nennt Claus Strunz, Gabor Steingart und "Bild am Sonntag"-Chefredakteurin Alexandra Würzbach. Letztere hat vorübergehend die "Bild"-Leitung übernommen - und eine durchaus bemerkenswerte Vergangenheit, wie das "Bildblog" vor vielen Jahren notierte.

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