Das Besondere, geradezu Honorige am Sportjournalismus ist, dass er sich meist jenseits der Kamera abspielt. Während die Athleten das Rampenlicht besetzen, bleiben Kommentatoren und Reporterinnen, Moderatoren und Expertinnen mehr oder weniger publikumswirksamer Leibesübungen im Halbschatten der Anonymität, sprechen zwar gelegentlich vor Millionen von Menschen über Wettkämpfe, überlassen die Lorbeeren allerdings den Siegern und gar nicht so selten den Verlierern

Wenn Sportjournalisten doch mal die Bühnenkante betreten, ist es demnach kein Wunder, dass man sie nicht gleich erkennt – zumindest äußerlich. Zum Beispiel Florian Schmidt-Sommerfeld, in seiner Szene ein Star, aber auf dem roten Teppich des Grand Elysee, einem Luxushotel im Herzen Hamburgs, wo alle zwei Jahre der Deutsche Sportjournalistenpreis verliehen wird? „Einmal her gucken, Herr… Herr… hierher“, ruft ein Fotograf vor der Sponsorenwand und scheint ihn nicht zu erkennen, den späteren Sieger der mindestens zweitwichtigsten Kategorie dieser randständigen Veranstaltung einer massenwirksamen Branche.

Macht aber auch nichts. Als der Handballexperte zwei Stunden später im verwitterten Achtziger-Chic vom großen Festsaal die Trophäe des besten Sportmoderators 2021 erhält, hat er zwar Stars wie den USA-affinen Frank Buschmann und die kompetente, aber shitstormgeplagte Claudia Neumann auf Platz 2 und 3 verwiesen. Ein bisschen bekannter als Caspar von Au, Jona Schmitt und Yannic Hannebohn ist Herr… Herr… Herr… Schmiso, wie ihn Eingeweihte nur nennen, aber schon. Kein Wunder: die drei haben im Fachbereich E-Sports gewonnen. Ein Orchideenbeet im Mainstreamgarten, der trotz aller Kamerascheu schon Prachtgewächse sprießen lässt.

So durften prominente Laudatoren aus Sport und Politik von Hamburgs Innensenator Andy Grote bis zur bayerischen Ski-Olympiasiegerin Viktoria Rebensburg unter der Leitung des verblüffend eloquenten Sat.1-Frühstücksfernsehmoderators Matthias Killing auch ein paar A-Stars verkünden, die besonders visuelle Medien groß gemacht haben. Bester Moderator: Jochen Breyer. Beste Moderatorin: Katrin Müller-Hohenstein. Bester Experte: Stefan Kretzschmar. Beste Newcomerin: Andrea Petkovic.

Dazu beste Print-Redaktion („11 Freunde“), beste Online-Redaktion (sportdeutschland.tv), bestes Audio-Format (NDR-Olympiapodcast), beste Sportsendung (Sky Handball-Bundesliga) und der obligatorische Preis fürs Lebenswerk, hier an den „FAZ“-Journalisten Hans-Joachim Leyenberg – allesamt fraglos versiert in ihrem Metier, allesamt online erwählt von 300 Personen jener Sphäre, über die sie alle berichten. Sportlerinnen und Sportler also. Objektiver geht kaum. Bedenklicher allerdings auch nicht.

Denn von 30 Nominierten für Gold, Silber, Bronze waren ganze fünf Frauen. Die erste Person of Colour auf der Bühne des globalisierten Milliardengeschäfts war zum Ende hin der drittplatzierte Patrick Esume für „ran Football“ auf ProSieben und ProSieben Maxx. Und während die weiblichen der 100 Gäste mehrheitlich waghalsige Highheels zum tief geschnittenen Schlauchkleid trugen, war die Kleidung der Herr, Herr, Herren eher sportlich als elegant. So viel zur Emanzipation im Fachbereich Sportberichterstattung, der sich während der Fußball-EM ohnehin mit der Verlogenheit eines allenfalls profitorientiert fortschrittlichen Business auseinandersetzen muss.

Umso erfrischender war es, wie die frühere Boxerin Ramona Kühne als Laudatorin der wichtigen Moderationskategorie die unverdrossene Geschlechterungleichheit im Sportjournalismus anprangerte. Da wurde sogar das haltlose Gestammel ihres Kollegen Henry Maske einigermaßen erträglich, der in Abwesenheit per Video zugeschaltet wurde. Überlebensgroß, wie es sich für einen Weltmeister gebührt, aber eben auch distanziert, wie es die Regeln der Pandemie gebieten. Denn natürlich war die Veranstaltung kein Vergleich zu früher, wo der Nebel prominenter Aerosole nur so waberte. Hier musste die moderierende Tennisspielerin Andrea Petkovic aus dem zweiten Stock zugeschaltet werden, weil sie sich fürs anstehende WTA-Turnier am benachbarten Rothenbaum in Quarantäne befand. Seltsame Veranstaltung, wie gesagt.

Aber eben auch eine wichtige, um der Relevanz des Sportjournalismus gerecht zu werden, der – wie es Senator Grote ausdrückt – „nicht von allen geschätzt wird“, aber eben viele Zuschauer erreicht, die der vermeintlich harte Journalismus aus Wirtschaft, Politik, Kultur „nicht mehr erreichen kann“. Wahre Worte über ein Genre, das ebenso unter- wie über- und damit ständig falsch eingeschätzt wird. Im überholungsbedürftigen Luxushotel durfte sie sich gestern mal für drei Stunden im Licht der eigenen Erhabenheit sonnen.

Das darf sie 2023 wieder. Dann aber – wie es aussieht – mit mehr Gästen, mehr Glamour, mehr Nähe, mehr Prominenz als, sagen wir, Fabian Hambüchen. Oder wie es der siegreiche Jochen Breyer ausdrückt: „Als ich hier vor acht Jahren zum Newcomer des Jahres gewählt wurde, war Reinhold Beckmann der beste Moderator.“ Fußballfans glänzen da die Augen, E-Sportfans zucken mit den Schultern.