True Crime ist sicherlich eines der Genres der Stunde, das auch der Streamingdienst TVNow für sich entdeckt. Für die neueste Produktion "Der Todespfleger - Die Morde des Niels Högel" sieht sich RTL Deutschland nun aber harscher Kritik gegenüber. Die Reihe möchte der Frage nachgehen, wie es zu der Vielzahl an Morden kommen konnte - schuldig gesprochen wurde er des 85-fachen Mordes, wie viele Opfer es tatsächlich gab, ist aber unklar. Man wolle "vielen Angehörigen seiner Opfer ein Gesicht geben" und deren Geschichte erzählen - als ein Highlight preist man aber an, dass Högel auch selbst zu Wort kommt. Die Rede ist von einem "packenden Telefoninterview aus der JVA Oldenburg".

Das allerdings geht unter anderem der Oldenburger Polizei entschieden zu weit. Polizeipräsident Johann Kühme sagte gegenüber der "Neuen Osnabrücker Zeitung": "Es ist ein Schlag ins Gesicht der Opferangehörigen, ihn öffentlich sprechen zu lassen. Sein Motiv war die Geltungssucht, und jetzt darf er sich schon wieder als wichtig empfinden. Er ist im Fernsehen, es wird sogar mit ihm geworben. Das unterstützen wir als Polizei auf keinen Fall." Ursprünglich sollten auch Beiträge der Polizei in der Doku enthalten sein, die man dann aber entfernen ließ, als klar war, dass auch Högel zu Wort kommt. Man sei schon häufiger von Produktionsfirmen angefragt worden und habe einen solchen Passus stets in den Vertrag schreiben lassen.

Als besonders problematisch empfinde man, dass damit auch noch geworben werde. "Das ist ein Werbefaktor, und den finde ich sehr fragwürdig und problematisch", so der Polizeipräsident. "So nach dem Motto: Hier erfahren Sie, welche Sorgen er hatte und was seine Gründe waren. Wann hat man schon mal die Gelegenheit, einen echten Mörder zu hören?" Ein solches Marketing verbiete sich bei einer solchen Mordserie, zumal die tatsächliche die bewiesene Opferzahl mutmaßlich noch deutlich übertreffe. Glaubwürdig sei Högel ohnehin nicht, so Kühme: "Bislang hat Niels Högel überwiegend die Unwahrheit gesagt - und immer nur das eingeräumt, was wir ihm nachweisen konnten."

Nicht nur seitens der Polizei kommt Kritik: Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, sagte, RTL überschreite "alle ethischen Grenzen", wenn damit geworben werde, eienn vielfachen Patientenmörder zu interviewen. Es sei "nicht hinnehmbar, dass so ein Mann auf diese Weise medial in den Mittelpunkt gestellt wird", so Brysch gegenüber dem epd. Auch Karsten Krogmann, Sprecher des Opferhilfevereins Weißer Ring, äußert sich in der "NOZ" ähnlich. "Högel ist nicht nur ein verurteilter Serienmörder, er ist auch ein gutachterlich diagnostizierter Lügner. Er hat der Polizei, den Richtern und vor allem den Angehörigen seiner Opfer immer wieder ins Gesicht gelogen. Mit jemandem wie Högel spricht man nicht, jedes weitere Wort von ihm ist ein Schlag ins Gesicht der Angehörigen der vielen Toten."

Gegenüber der "FAZ" sagte Krogmann, der auch in der Doku zu sehen ist, überdies, dass er sich im Vorfeld habe zusichern lassen, das Högel nicht zu Wort komme. Zwar sei später um sein Einverständnis gebeten worden, Ausschnitte eines älteren Interviews verwenden zu dürfen, von einem neuen Interview sei aber keine Rede gewesen. Ähnlich äußerte sich auch der ebenfalls für die Doku interviewten Matthias Corssen in der "Süddeutschen Zeitung". Auch er sei erst im Nachhinein über das Interview mit Högel informiert worden, obwohl er im Vorfeld gesagt habe, er beteilige sich nicht, wenn Högel selbst zu Wort komme.

RTL Deutschland behauptet unterdessen, alle Interviewpartner seien vorab über die O-Töne Högels informiert worden. In einem Statement heißt es: "Der sensible Umgang mit dem Empfinden der Opfer hatte bei der Erstellung der Doku für uns immer höchste Priorität. Deshalb haben wir alle unsere Interviewpartner vorab darüber informiert, dass auch ein O-Ton-Interview mit Niels Högel Bestandteil der Sendung sein wird und ihr Einverständnis dafür erhalten. Unsere besonders betroffenen Interviewpartner haben große Ausschnitte der Dokumentation mit den Interview-O-Tönen von Niels Högel vorab gesehen. Den Wunsch einzelner Interviewpartner, nicht in einer Sendung zu Wort zu kommen, in der sich auch Niels Högel äußert, haben wir selbstverständlich respektiert. Dass Niels Högel sich auch in unserer Sendung zu seinen Taten äußert, halten wir aus Gründen der journalistischen Ausgewogenheit für geboten. Zu der uns sehr wichtigen Frage, in welchem Umfang und in welcher Weise dieses Interview mit Niels Högel in unserer Sendung eingebunden wird, haben wir uns laufend von Matthias Rath, Professor für Philosophie und Medienwissenschaft an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg, beraten lassen. Alle Aussagen von Niels Högel werden in der Sendung durch den Psychiater, Gerichtsgutachter und Experten für Serientötungen, Reinhard Haller, eingeordnet. Die Frage, ob man Niels Högel zu Wort kommen lassen darf, haben wir außerdem auch in Folge 4 der Doku aktiv thematisiert."