In einem Gastbeitrag für die Wochenzeitung "Die Zeit" der ARD-Vorsitzende und WDR-Intendant Tom Buhrow den Deutschen eine übermäßige Gereiztheit attestiert. "Mehr und mehr Themenbereiche werden moralisch aufgeladen. Antworten, die von den eigenen Wertmaßstäben abweichen, werden nicht mehr interessiert oder wenigstens schulterzuckend aufgenommen - sie sind Anlass für Zurechtweisungen", der Umgang miteinander sei inzwischen "hochempfindlich", sodass eine kontroverse Diskussion kaum mehr möglich scheine.

Medien bekämen dieses angespannte Klima besondes zu spüren, Journalistinnen und Journalisten seien massiven Anfeindungen ausgesetzt. Einen Grund dafür sieht er in den "Echokammern", die durch die Algorithmen der sozialen Netzwerke verstärkt würden. Kritik äußert er in diesem Zusammenhang auch an Medien wie "Bild", ohne diese beim Namen zu nennen: "Einige Medien flankieren diese gesellschaftliche Polarisierung publizistisch. Das mag aus ökonomischen Gründen kurzfristig Sinn machen, weil es viele Klicks bringt, aber es ist ein Spiel mit dem Feuer. Es untergräbt das Vertrauen in alle Medien und schlimmstenfalls auch in die Institutionen der freiheitlichen Gesellschaft."

Die ARD müsse aus seiner Sicht darauf reagieren, indem sie mehr Meinungen eine Plattform biete. Dies sei auch eine Erkenntnis aus dem "Zukunftsdialog", in dem Bürgerinnen und Bürger der ARD die Meinung sagen und Vorschläge machen konnten und wo das Thema "Meinungsvielfalt" zu den meistgenannten gehörte. Buhrow: "Wir dürfen uns den beschränkten Echokammern, den Meinungsmilieus im Land, rechten oder linken, niemals anschließen. Wir wollen mit unseren Recherchen Menschen befähigen, nicht belehren. Dafür müssen wir uns bei allen Themen immer wieder hinterfragen, unvoreingenommen sein." Wichtig sei, "in alle Richtungen" divers zu sein und sich bewusst zu machen, dass die Lebenswirklichkeit sutdierter Redakteurinnen und Redakteure aus Großstädten nicht der alleinige Maßstab sein könne.

Vor allem müsse die ARD stärker zu einer "Plattform für gute Streitkultur" werden. "Die Gesellschaft braucht mehr kontroverse, unbequeme Meinungen und robuste und freie Kommunikationsräume. Gerade die ARD und der öffentlich-rechtliche Rundfunk insgesamt können diese Räume anbieten." Grundvoraussetzung sei, dass alle Beteiligten an einem respektvollen Austausch interessiert seien. Buhrow weiter: "Wir wollen dabei nicht die überempfindlichen und oft auch sehr elitären Sensoren übernehmen, die in den Echokammern gehegt und gepflegt werden. Diese verengen den Diskurs und steigern die Gereiztheit im Land."

Handlungsbedarf hat der ARD-Vorsitzende auch mit Blick auf die Mediatheken ausgemacht. Um zu verhindern, dass die Leute hier immer nur auf Inhalte stoßen, die ihrem eigenen Standpunkt entsprechen, müssten die Empfehlungsalgorithmen so justiert werden, dass sie nicht nur "more of the same" empfehlen, sondern Vorschläge machten, die den eigenen Horizont erweitern und andere Perspektiven einnehmen würden. "Wie es uns das Bundesverfassungsgericht ins Stammbuch geschrieben hat, können wir so helfen, von der Beschimpfungskultur wieder zu mehr Diskussionskultur zu kommen."

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