Dass die ARD-Intendanten an Struktur und Arbeitsweise ihres Senderverbunds kräftig werkeln müssen, ist nicht erst seit dem RBB-Skandal klar. Die Dringlichkeit und der öffentliche Druck haben in den vergangenen drei Monaten allerdings enorm zugenommen. "Der Scheinwerferkegel ist jetzt auf jedes kleine Detail bei uns gerichtet", wie Tom Buhrow es im Pressegespräch nach der jüngsten ARD-Sitzung formuliert. "Und das wird auch nicht in ein paar Monaten erledigt sein", fügt der WDR-Intendant und amtierende ARD-Vorsitzende wohlweislich hinzu.

Zwei Tage lang haben sowohl die Anstaltsfürsten als auch ihre Gremienvorsitzenden am Dienstag und Mittwoch in Bremen konferiert. Neben dem formellen Beschluss, dass SWR-Intendant Kai Gniffke ab Anfang 2023 – und damit ein Jahr früher als ursprünglich geplant – den ARD-Vorsitz übernimmt (DWDL.de berichtete), wurden vor allem zwei als wesentlich erachtete Arbeitsgruppen aufs Gleis gesetzt: die AG Umschichtung und die AG Digitale föderale ARD. Beide sollen dafür sorgen, dass man mit der Reform von innen heraus zügiger als bisher vorankommt.

"Was lassen wir im linearen Rundfunk sein, um dafür mehr im Digitalen machen zu können?", lautet gemäß Buhrow die Zielsetzung der AG Umschichtung, die von HR-Intendant Florian Hager und BR-Verwaltungsdirektor Albrecht Frenzel geleitet wird. Sie sollen ARD-weit mögliche Programme und Projekte identifizieren, die zugunsten der nonlinearen Zukunftsfähigkeit umgeschichtet werden könnten. Der Kipppunkt sei um 2030 herum zu erwarten, so Buhrow – bis dahin werde die lineare Verbreitung noch eine Rolle spielen. Doch auch vorher schon – insbesondere ab 2024 – müsse die ARD eine "dynamische Entwicklung aktiv managen", da die Budgets schlicht nicht mehr ausreichten, um sowohl im Linearen als auch in der Mediathek hochwertige Programme im gleichen Umfang anzubieten. Eng damit verknüpft ist die Aufgabe der AG Digitale föderale ARD, an deren Spitze Yvette Gerner, die Intendantin von Radio Bremen, sowie ebenfalls HR-Intendant Hager stehen. "Wie können wir im Digitalen moderner, agiler, smarter zusammenarbeiten?", formuliert Gerner die Leitlinie. "Wir wollen effiziente Lösungen finden, bei denen jede Landesrundfunkanstalt ihr spezifisches Know-how gezielt einsetzt – ohne Doppelstrukturen." Als besondere Stärke ihrer eigenen Anstalt sieht die Intendantin, dass Radio Bremen gegenwärtig den ARD-YouTube-Kanal betreut und mit dem "Y-Kollektiv" zudem einen der erfolgreichsten Kanäle zum Funk-Netzwerk beisteuert.

Viel Konkretes zur Aufklärung beim RBB oder den Ungereimtheiten in den NDR-Landesfunkhäusern Hamburg und Schleswig-Holstein stand in Bremen offenbar nicht auf der Tagesordnung. Außer dass NDR-Intendant Joachim Knuth seinen Kollegen laut Buhrow das "gute Gefühl" vermittelt habe, alles werde zügig aufgeklärt, und dass RBB-Programmdirektor Jan Schulte-Kellinghaus in seiner Funktion als geschäftsführender Intendant an allen Beratungen einschließlich des informellen Kamingesprächs teilgenommen habe. Die neue RBB-Interimsintendantin Katrin Vernau hat ihren ersten Arbeitstag in Berlin am heutigen Donnerstag und konnte daher am Dienstag und Mittwoch noch nicht für den Krisensender sprechen. Der Vertrauensentzug der übrigen acht ARD-Intendanten gegenüber der RBB-Geschäftsleitung hat sich laut Buhrow erledigt, da eine transparente Kommunikation aus Berlin in die ARD hinein wiederhergestellt sei.

Ums große Ganze von Aufsicht und Regulierung ging es in Bremen aber natürlich schon. Die Justiziare aller neun ARD-Anstalten haben den Auftrag bekommen, bis zur Intendantentagung im November einheitliche Standards für Compliance-Richtlinien zu entwerfen. Und auch eine striktere, einheitlichere ARD-Governance – insbesondere für die zahlreichen Gemeinschaftseinrichtungen – will man angehen. "Keine ganz triviale Regulierungfrage", so Buhrow, "denn die ARD scheint zwar manchmal wie ein Konzern, ist aber in Wahrheit keiner." Für die Gremienvorsitzendenkonferenz (GVK) formulierte Hans-Albert Stechl, Vorsitzender des SWR-Verwaltungsrats, das Ziel einer "möglichst raschen, kooperativen Reform der ARD-Governance". Um die Aufsichtstätigkeit von Rundfunk- und Verwaltungsräten zu professionalisieren, strebe man gezieltere Fortbildungsprogramme, eine bessere Ausstattung der Gremiengeschäftsstellen sowie mehr Dialog mit den Entsendeorganisationen über Kompetenz und Zeitbudget der jeweiligen Mitglieder an. Und: "Wir müssen künftig mutiger sein, Sachverstand von außen einzuholen", so Stechl.

Buhrow nutzte das Pressegespräch im Kölner Funkhaus einmal mehr, um die gesamte ARD auf ein besser koordiniertes Auftreten einzuschwören. "Unsere Uneinheitlichkeit – obwohl manchmal ein Schatz – macht uns angreifbar", so der Noch-Vorsitzende. Mit seiner schonungslosen Bestandsaufnahme eines quasi perfekten Sturms traf der Funktionär gewordene Journalist ins Schwarze: Schon als junger Reporter beim WDR habe er, Buhrow, häufig die Ehrlichkeit vermisst, dass man sich auf Dauer nicht von allem immer mehr leisten könne. Knapper werdende Ressourcen bei wachsenden Aufgabenfeldern hätten über Jahrzehnte für Arbeitsverdichtung, Frust und Unsicherheit in der Belegschaft gesorgt. Dies stoße jetzt mit einer dringlicher gewordenen gesellschaftlichen Debatte über den Wert der Öffentlich-Rechtlichen zusammen, zusätzlich aufgeheizt durch aktuelle Skandale. "Ehrlichkeit und Priorisierung" seien daher nun das Gebot der Stunde.

Noch ehe man den Eindruck haben konnte, keine Krise sei so schlimm wie die der ARD, rückte der künftige Vorsitzende des Senderverbunds die Perspektive zurecht. Nach seiner Mission für das Vorsitzjahr 2023 gefragt, entgegnete SWR-Chef Gniffke: "In einer Zeit, in der wir nicht wissen, ob die Menschen in drei Monaten noch die Bude warm kriegen, in der die Bauern Dürre und Staub durchpflügen und in der Läden in den Innenstädten zu sind, weil nicht genug Personal da ist, gilt es fundamentale gesellschaftliche Debatten zu führen. Verlassen wir uns dabei auf Algorithmen aus China und Amerika oder bieten wir in Deutschland eine Plattform für diese Debatten? Das ist die Rolle der ARD, die ich als meine Mission sehe."

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