Eine kuriosere Situation kann man sich kaum vorstellen. Ein Großteil der RTL-Delegation bei den diesjährigen International Emmys, bestehend aus Produzentinnen und Geschäftspartnern, wartet vergangenen Donnerstag am Frankfurter Flughafen auf das Boarding des Lufthansa-Flugs nach New York, da kommt am Vormittag die DWDL-Eilmeldung: Henning Tewes, Chief Content Officer bei RTL Deutschland verlässt das Unternehmen. Insgesamt nebensächlich, aber für die Delegation natürlich nicht. Er war zusammen mit RTL-Kollege Oliver Schablitzki Gastgeber der Reise.

Würde Tewes nach dem überraschenden Ausscheiden bei RTL Deutschland jetzt noch nach New York reisen? Die Antwort darauf gab es einen Tag später. Er hatte ohnehin eine spätere Anreise geplant - und trat sie auch an. Beim Opening Cocktail der International Emmy Awards am Freitagabend fehlte Henning Tewes zwar noch, doch ab Samstag war er Teil des deutschen Wanderzirkus', der an den vier Tagen um das iEmmy-Wochenende von einem Networking-Event zum nächsten zog.

Mehr als 50 Vertreter der deutschen TV-Branche waren in diesem Jahr in New York, egal ob nun NRW-Delegation, auf RTL-Einladung, als Teil der ZDF-Reisegruppe oder natürlich Constantin/Prime Video dank der "LOL"-Nominierung. Und natürlich gab es bei vielen der Anwesenden Fragezeichen angesichts der überraschenden Personalie in Köln-Deutz nur wenige Tage zuvor.

Für Henning Tewes wurde es eine Abschiedstournee durch New York. Schon beim NRW-Dinner am Samstagabend war spürbar, was sich am Sonntagmittag beim RTL-Brunch in auch seiner Ansprache bestätigte: Tewes geht erhobenen Hauptes. Angesichts zuletzt recht stabiler Reichweiten und ohne erkennbaren Auslöser für einen Rauswurf zum jetzigen Zeitpunkt, lässt sich seine Personalie nur als strategischer Move des Bertelsmann-RTL-Regenten Thomas Rabe einordnen. Und Strategien ändern sich - das war Kernaussage von Tewes' Rede vor den geladenen Gästen beim RTL-Brunch.

Macht er sich damit einen schlanken Fuß? Denkt man an RTL Deutschland, ProSiebenSat.1 Media SE, ARD, ZDF, Prime Video, aber auch Warner Bros. Discover, Netflix und zuletzt Disney, dann haben all diese Firmen eins gemeinsam: Einen Personal- oder Strategiewechsel in den vergangenen zwölf Monaten, der eher selten geordnet (wie beim ZDF) und viel häufiger mit Kehrtwenden versehen war. Egal ob Hollywood oder deutsche Marktteilnehmer: Auf einen globalen Markt in Bewegung suchen inzwischen alle gleichermaßen nach den passenden Antworten, erstaunlich oft nach dem kostspieligen Trial-and-Error-Prinzip.

Ein Geheimnis bleibt, wo genau die Differenzen zwischen Bertelsmann-CEO, RTL Group-CEO und RTL Deutschland-Chef Thomas Rabe und Henning Tewes lagen, die zur Trennung führten. Einige Produzentinnen und Produzenten haben in den vergangenen Monaten erklärt, nie ganz warm geworden zu sein mit Tewes und seinem Weggefährten Frank Trösken (dessen Schicksal bei RTL auch noch zu klären ist) und auch manche Kehrtwende beim OnAir-Personal bleibt ein Rätsel. Aber nichts davon war gerade akut.

Kurz nach der Trennung in New York vier Tage lang noch eine Abschiedsrunde zu drehen, ist auf jeden Fall das Gegenteil von Wegducken. So kann der bisherige Chief Content Officer ohne Gesichtsverlust ins Flugzeug steigen. Wo er beruflich landen wird, ist unklar.