Es ist ein Wochenende der stillen Aufregung in der europäischen Medienlandschaft, bei dem die ProSiebenSat.1 Media SE in Unterföhring nicht nur sprichwörtlich gar nicht weiß, wie ihr geschieht - und die ganze Branche rätselt gleich mit, wie nah MFE, der Medienkonzern in den Händen von Familie Berlusconi, vor einer Übernahme des deutschen TV-Konzerns steht. MFE (Abkürzung für MediaForEurope) firmierte bis Ende 2021 unter dem bekannteren Namen Mediaset. Auslöser ist die Anmeldung einer „faktisch alleinigen Kontrolle“ bei der österreichischen Bundeswettbewerbsbehörde.

Die österreichische Tageszeitung „Der Standard“ berichtete am Freitag online zuerst darüber, kannte auch das Aktenzeichen bzw. Geschäftszahl unter dem der Antrag am 13. Dezember bei der Behörde eingereicht wurde. Die betroffenen Unternehmen haben demnach bis zum 10. Januar Zeit, Stellungnahmen oder Widerspruch einzureichen. Wenige Stunden zuvor hatte auch der deutsche Branchendienst „New Business“ davon berichtet, dass „bei den Kartellbehörden von einer angestrebten alleinigen Kontrolle über das Unternehmen die Rede“ ist. Eine schwammige Formulierung, die erst Stunden später aktualisiert und konkretisiert wurde: Auch hier ging es um die österreichische Behörde.

Übernahme würde keine Veränderung der Medienkonzentration bedeuten

Warum Österreich? Die ProSiebenSat.1 Media SE betreibt über die Sendergruppe ProSiebenSat.1Puls4 dort die Fernsehsender ATV, ATV2, Puls 4 und Puls24 sowie Werbefenster ihrer deutschen Sender. Über eine Anmeldung der Übernahme in der Schweiz und insbesondere Deutschland ist bislang noch nichts bekannt, wobei ohnehin unklar ist, welche Absicht MFE mit der Anmeldung bei den Wettbewerbsbehörden verfolgt. In keinem der Kernmärkte von ProSiebenSat.1 Media SE ist MFE bislang aktiv, so dass es aus Sicht der Wettbewerbskonzentration in keinem der Märkte zu einer Veränderung der Situation kommen würde.

Ein Brancheninsider spricht daher von einem „Säbelrasseln“, wie man es von MFE auch schon aus der Vergangenheit gewohnt sei. Die teilweise hyperventilierenden Schlagzeilen über ein Medienbeben in Europa dürften MFE gefallen. Das grundsätzliche Interesse an einer Übernahme der ProSiebenSat.1 Media SE ist schon lange bekannt und einer der Gründe, warum der bisherige P7S1-Vorstandsvorsitzende Rainer Beaujean von Bord gegangen ist. Er hatte sich öffentlich kritisch gegen die Ambitionen von MFE positioniert, die damit zur feindlichen Übernahme wurden.

Bert Habets © ProSiebenSat.1/Martin Kroll Bert Habets
Beaujeans Ablehnung wurde zwar von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern durchaus begrüßt, nicht jedoch im Aufsichtsrat. Es manövrierte den TV-Konzern in Unterföhring in eine Konfrontation der Unternehmensführung mit dem Hauptaktionär - und das in ohnehin schon herausfordernden Zeiten. Nach Beaujeans Ausscheiden übernahm Bert Habets zum 1. November die Führung in Unterföhring - und positionierte sich gesprächsbereit: Bei einem Pressegespräch am 23. November erklärte Habets: Wenn MFE das Gespräch suchen werde, sei er offen dafür. An diesem Wochenende will sich die ProSiebenSat.1 Media SE allerdings nicht zu den Vorgängen äußern.

Möglicher Fahrplan für die Übernahme

Wie nah steht MFE nun aber vor einer Übernahme? Geht es nach der höchst spekulativen Berichterstattung der Mediengruppe Österreich, dann habe MFE über Treuhänder seine Anteile an der ProSiebenSat.1 Media SE heimlich verdoppelt ohne dass dies aufgefallen sei. Die Revolution stehe unmittelbar bevor. Doch das sehen die meisten befragten Beobachter an diesem Wochenende kritisch, halten es für ein „Märchen abseits der Funktionsweise des Finanzmarkts“. Ohnehin wäre die nächste Stufe nicht erst beim Besitz von 50 Prozent der Stimmrechte erfolgt.

Die magische Grenze sind 30 Prozent der Stimmrechte. Aktuell hält MFE selbst 22,7 Prozent der Stimmrechte. Inklusive Optionen kommt die Berlusconi-Holding auf 29,0 Prozent, die bei Abstimmungen effektiv auf 29,9 Prozent steigen, weil der Konzern selbst mit seinen Anteilen nicht stimmberechtigt ist. Hat MFE mehr als 30 Prozent der Stimmrechte erreicht, muss es ein Übernahmeangebot für alle anderen Aktionäre abgeben. Ob die finanziellen Mittel für eine Übernahme gegeben sind, darüber gehen die Auffassungen bei Brancheninsidern auseinander.

Möglich wäre auch, dass es zu einem Lowball Offer kommt - also einem absichtlich unterdurchschnittlich attraktiven Angebot, das dementsprechend nur wenige Aktionäre annehmen. Damit würde MFE der formalen Verpflichtung eines Übernahmeangebots gerecht werden, könnte aber nach einem Scheitern dann weiterhin in kleineren Schritten zukaufen, wie bisher auch. Zudem sind weitere Übernahmeangebote zu späteren Zeitpunkten jederzeit möglich. Auch ohne Kontrollmehrheit würde MFE damit die ProSiebenSat.1 Media SE vor sich her treiben.

Was hat MFE überhaupt vor mit ProSiebenSat.1?

Pier Silvio Berlusconi © Imago / Matteo Gribaudi Pier Silvio Berlusconi
Viel hängt davon ab, wann sich MFE unter der Führung von CEO Pier Silvio Berlusconi, dem Sohn des ehemaligen Ministerpräsidenten, einmal zur genauen Strategie seiner Ambitionen in Deutschland erklären wird. Das blieb bislang aus. Möglich, dass der Widerstand in Unterföhring im nächsten Jahr auch auf Wunsch des Aufsichtsrats zu bröckeln beginnt: Vier Positionen dürften 2023 neu besetzt werden und MFE seinen bereits erzielten Einfluss bei der Besetzung gelten machen. Denkbar, dass auf diesem Weg mehr Dialog erwünscht wird.

Klar ist: Bei MFE meint man es ernst mit dem Einstieg in den deutschen Markt. Vor wenigen Monaten eröffnete man mit der profilierten TV-Managerin Katharina Behrends auch ein Büro in München, um vor Ort vertreten zu sein. Schließlich ist eine ausländische Übernahme, noch dazu eine die mit dem Namen Berlusconi verbunden ist, allem voran ein Politikum, wie auch die Aufregung an diesem Wochenende zeigt. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder hatte sich zuletzt öffentlich gegen eine MFE-Übernahme von ProSiebenSat.1 ausgesprochen.

MFE (MediaForEurope) wurde 1978 unter dem Namen Mediaset von Silvio Berlusconi als Tochtergesellschaft seiner Holding Fininvest gegründet, die heute noch Hauptaktionär ist. Neben seinem Sohn Pier als CEO, ist sein langjähriger Vertrauter Fedele Confalonieri Vorstandsvorsitzender. Der Unternehmensgründer hält sich schon länger zurück. Mit der Umbenennung Ende 2021 in MFE ging auch ein Umzug der Gesellschaft einher: Rechtssitz des Unternehmens ist jetzt Amsterdam, der Verwaltungssitz bleibt unverändert in der Nähe von Mailand. Neben den italienischen Aktivitäten ist man auch in Spanien aktiv, hält dort knapp 56 Prozent an Mediaset Espana. 2023 dürfte sich entscheiden, wie umfangreich MFE auch in Deutschland Fuß fassen wird.