22 Kandidatinnen und Kandidaten spielen in einem Schloss in den schottischen Highlands um ein Preisgeld von bis 120.000 britischen Pfund. Drei von ihnen werden nach Ankunft als Verräter auserkoren - geheim für die Runde, nicht aber für uns, das TV-Publikum. Über die kommenden Folgen bzw. Tage beginnt ein Wettlauf der Gläubigen gegen die Verräter, denn wenn am Ende auch nur ein „Traitor“ übrig bleibt, gewinnt er oder sie alles. Sonst gewinnen die verbliebenen Gläubigen das erspielte Preisgeld.

Willkommen bei der britischen Umsetzung des Reality-Formats „The Traitors“, das vor Weihnachten in Großbritannien zum Überraschungshit wurde und vom "Guardian" als Mischung aus "The White Lotus" und dem frühen "Big Brother" gefeiert wurde. Hier wird gespielt, verbannt und „ermordet“. Neben einer Challenge, in der gemeinschaftlich das Preisgeld aufgestockt wird, kommt es in jeder Folge am runden Tisch zur Abstimmung: Wer könnte Verräter oder Verräterin sein und soll das Spiel verlassen? Wer wie abstimmt, wird offengelegt - gefolgt von der für die Kandidatinnen und Kandidaten überraschende Enthüllung, ob die verbannte Person nun gut oder böse war - der Schlusspunkt jeder Folge.

Doch jede neue Folge, jeder neue Tag, beginnt mit einer weiteren Überraschung, denn die Verräter können in jeder Folge einen der Gläubigen „ermorden“. Wen es getroffen hat, zeigt sich beim Frühstück, wo eine weitere Person nicht auftauchen wird. Soweit die wichtigsten Regeln eines Spiels, das im inzwischen weiten Feld des Reality-TV zu den eher taktischen Formaten des Genres gehört, die sich in Deutschland bislang oft schwer getan haben. Doch so faszinierend, weil hinterhältig spannend wie „The Traitors“ war lange kein TV-Format mehr. 

VIDEO: Die britische Version - erklärt von Moderatorin Claudia Winkleman

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Nicht ohne Grund wurde das Reality-Format in der Vorweihnachtszeit zum großen Erfolg - und das für die öffentlich-rechtliche BBC. Ein selten gewordenes Phänomen: Die Einschaltquoten steigerten sich im Laufe der Staffel auf am Ende 4,73 Millionen Zuschauer für das große Finale kurz vor Weihnachten. „The Traitors“ entwickelte sich durch Mundpropaganda zum Hype, weil man als Publikum diebische Freude daran entwickelt, dem falschen Spiel der Verräter und der verzweifelten Jagd der Gläubigen auf eben diese zuzuschauen. 

„‚The Traitors‘ sticht heraus, weil es die Zutaten vieler großartigen Reality-TV-Sendungen in sich vereint: Ein fantastischer Cast von Normalos, freche Anlehnungen an andere Reality-Formate, hohe Dramatik, Risiko und damit eine wirklich neue Variante eines beliebten Genres“, sagt der britische Medienjournalist Jesse Whittock, in London ansässiger Redakteur des Branchendienstes Deadline.com. „In UK hat die Produktion dank der Erfahrung von Studio Lambert im Reality-Casting überzeugt“, hebt er hervor. „Es ist keine Überraschung, dass die BBC mit dem Erwerb der US-Version an den Überraschungshit anknüpfen wollte.““

Vor zwei Wochen startete diese US-Version beim Streamingdienst Peacock, vorzüglich moderiert von Alan Cumming (u.a. „The Good Wife“). Doch nicht nur die Veröffentlichung der gesamten Staffel auf einen Schlag, auch konzeptionelle Veränderungen sorgten in den USA für einen weitaus geringeren Hype um das Format als wenige Wochen zuvor in Großbritannien. So setzt die US-Staffel zur Hälfte auf schon bekanntes Reality-TV-Personal, das sich zum Teil sogar kennt. Zwar generiert dies vom Start weg mehr Drama, verschenkt aber ein Stück weit Charme und Spannung der britischen Variante. Doch auf das Spielprinzip ist auch hier Verlass. 

VIDEO: Trailer der US-Version für den Streamingdienst Peacock

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„Die eigentliche psychologische Meisterleistung ist die Tatsache, dass man von Anfang an weiß, wer die Verräter sind“, erklärt mir Manori Ravindran, in London lebende Redakteurin für den Branchendienst „Variety“. „Diese Enthüllung ist anfangs etwas verwirrend, weil man davon ausgeht, dass sie die ganze Spannung aus dem Format nimmt, aber tatsächlich dient sie im Laufe der Serie nur dazu, jede Eliminierung aufzuwerten, da man sehen kann, wie sich die Rädchen in den Köpfen der Verräter auf Schritt und Tritt drehen, während sie verzweifelt versuchen, ihre Tarnung nicht zu verraten. Das macht auch den unvermeidlichen Verrat ihrer Freunde - wenn auch gelegentlich herzzerreißend - noch köstlicher.“

Eigentlich stammt die Grundidee des Formats aus den Niederlanden und lief als „De Verraders“ dort schon im März 2021 bei RTL4. Doch selbst bei der TV-Messe MIPCOM im Herbst 2022 war das Format noch nicht groß im Fokus der Einkäufer, dabei startete es quasi parallel in Australien und war für Großbritannien sowie die USA schon produziert. Doch es brauchte - wie bei so vielen Formaten zuvor - erst den bewiesenen Erfolg in einem hochumkämpften großen TV-Markt wie dem britischen, um sich als valider Hit zu bestätigen. Inzwischen ist die Nachfrage international groß, was Distributor All3Media freut. 

Noch 2023 wird es nach DWDL.de-Informationen auch eine deutsche Adaption des Formats geben. Zugeschlagen hat demnach RTL Deutschland, wobei unklar ist, ob es primär für den Streamingdienst RTL+ oder die lineare Ausstrahlung bei RTL oder Vox geplant ist. Im Sinne der Spannung - und nach den Peacock-Erfahrungen in den USA - wäre eine Veröffentlichung auf einen Schlag jedenfalls nicht zu empfehlen. Beim Cast jedoch scheint man nach DWDL.de-Informationen eher dem US-Ansatz zu folgen und will auch bekannte Reality-Namen antreten lassen. Eine riskante Strategie, denn „The Traitors“ fühlt sich mit seiner Spieldynamik oft eher an wie eine Gameshow, denn eine jener zuletzt omipräsenten Realityshows mit nackter Haut unter strahlender Sonne auf schöner Insel.

Fast möchte man vor dem Hintergrund der schlechten Performance von strategischen Realityshows raten: Positioniert „The Traitors“ fürs deutsche Publikum besser als Gameshow! Die Erwartungshaltung dürfte offener sein als beim durch Kuppel- oder Krawallshows in Deutschland sehr eng definierten Realitygenre. Spannend ist auch die Frage, wer moderieren wird. Alan Cumming verzückt in der US-Version, mehr noch aber Claudia Winkleman in der britischen Fassung. Es gilt diebische Freude und Hinterlist vermitteln zu können. In jedem Fall ein aufregendes Format für 2023 - nicht nur in Deutschland sondern auch darüber hinaus auf dem Formatmarkt.