Werbung im Fernsehen © Pixabay/DWDL
So ziemlich alle großen Medienkonzerne, die aktuell ihre neuesten Geschäftszahlen vorlegen, verzeichnen Rückgänge bei der klassischen TV-Werbung. Das trifft die Konzerne besonders hart, denn nach wie vor sind damit hohe Margen zu holen. Hohe Investitionen in neue Digitalprojekte speisen sich vor allem auch durch das Geld, das zuvor im vermeintlich klassischen, linearen TV-Bereich eingenommen wurde. Sprich: Die Umsätze, die mit TV-Werbung gemacht werden, sind hoch - sie stehen aber zunehmend unter großem Druck.

Besonders auffällig ist, wie sehr ausgerechnet der deutsche TV-Werbemarkt leidet. Als die RTL Group vor einigen Tagen ihre Geschäftszahlen für das erste Quartal 2023 veröffentlichte, schätzte man einen Rückgang des deutschen Netto-TV-Werbemarkts um 17 bis 18 Prozent, während das Minus in Frankreich mit rund neun Prozent nur halb so hoch war. In dem für RTL nach wie vor wichtigen niederländischen Markt beträgt das Minus derweil nicht einmal zwei Prozent. Und dem jüngst mit einiger Verzögerung vorgelegten ProSiebenSat.1-Geschäftsbericht für das Jahr 2023 ist zu entnehmen, dass die Brutto-Werbeumsätze in Österreich und der Schweiz nur im niedrigen einstellige Prozentbereich gefallen sind, in Deutschland betrug das Minus dagegen mehr als zwölf Prozent. 

Frank Vogel © Ad Alliance Frank Vogel
Doch was ist der Grund dafür, dass der deutsche TV-Werbemarkt noch einmal deutlich schwächer unterwegs ist als der anderer europäischer Länder? Schließlich leiden international viele Vermarkter aufgrund der Unsicherheiten, die infolge des Kriegs in der Ukraine und der daraus resultierenden Inflation entstanden sind. Diese Unsicherheiten hätten "auf dem auch psychologisch sensiblen Werbemarkt starke Spuren" hinterlassen, sagt Frank Vogel, Geschäftsführer der Ad Alliance, im Gespräch mit DWDL.de. Die Werbekunden würden daher eher zurückhaltend agieren. "Bei vielen unserer Kunden stehen die Margen stark unter Druck, dazu kommen die Konflikte einiger großer Markenartikler mit Handelsketten, die nicht förderlich für den beherzten Einsatz von Werbebudgets sind", so Vogel.

Der Mittelstand leidet besonders stark

Was Frank Vogel damit meint: Viele Supermarkt-Ketten und Discounter liegen mit großen Herstellern von Markenprodukten aktuell im Streit, weil die oft aus Übersee stammenden Unternehmen im Zuge der insgesamt gestiegenen Kosten Preiserhöhungen durchdrücken wollen, die einigen deutschen Supermärkten zu hoch erscheinen. Der US-Konzern Mars beliefert daher Edeka schon seit Monaten nicht mehr. Der Geschäftsführer der Ad Alliance hat aber noch einen anderen Grund ausgemacht, weshalb Deutschland gerade besonders unter Druck steht bei den TV-Werbeeinnahmen. So sei Deutschland nun mal ein Mittelstandsland, sagt Frank Vogel gegenüber DWDL.de. "Und genau diese Kunden leiden am stärksten unter den aktuellen Themen. Hier merken wir die anhaltende Zurückhaltung ganz besonders."

Thomas Wagner © Seven.One/Florian Bachmeier Thomas Wagner
Auch Thomas Wagner, Geschäftsführer und Chief Sales Officer Seven.One Entertainment Group, spricht von einer Situation aufgrund des Kriegs in der Ukraine, die "herausfordernd" sei. Wagner: "Es stimmt natürlich, dass alle europäischen Märkte von ähnlichen Auswirkungen des Ukraine-Krieges betroffen sind. Die Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft waren jedoch aufgrund ihrer industriellen Ausrichtung und der bislang besonders großen Abhängigkeit von russischen Energielieferungen noch besonders stark." Das habe sich entsprechend auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung ausgewirkt, daher sei die Kaufzurückhaltung der deutschen Verbraucherinnen und Verbraucher noch sehr hoch. "Die Werbetreibenden haben das in ihrer Kampagnenplanung entsprechend antizipiert."

Und selbst bei Sky, also einem Unternehmen, das aufgrund seiner Struktur längst nicht so sehr an den Einnahmen der TV-Werbung hängt wie andere Sendergruppen, spürt man die aktuelle Situation sehr deutlich. Sky-Media-Geschäftsführer Ralf Hape führt gegenüber DWDL.de die geografische Nähe Deutschlands zur Ukraine als Grund an, weshalb der hiesige TV-Markt stärker leide als beispielsweise der britische. "Insgesamt spürt man bei Verbrauchern sowie bei Unternehmen eine massive Unsicherheit, die letztlich zu einer Stagnation der Konsumentenausgaben im ersten Quartal beitragen hat", so Hape. 

Ralf Hape © Sky Ralf Hape
Ein weiterer Punkt laut Hape ist die Tatsache, dass viele produzierende Unternehmen nach wie vor mit unterbrochenen Lieferketten zu kämpfen hätten. "Sie können ihre Produkte nicht ausliefern, also müssen sie sie auch nicht bewerben." Außerdem würden Marketing- und Media-Spendings ohnehin zu den Positionen gehören, die sich in wirtschaftlich angespannten Zeiten schnell auf Einsparlisten wiederfinden würden. "Neben der gesamtwirtschaftlichen Situation befeuert darüber hinaus die Reichweitenentwicklung des linearen Fernsehens den Trend – im Vergleich zu anderen europäischen Ländern verzeichnet Deutschland hier stärkere Rückgänge. Das führt auch zu Preiserhöhungen, für manche Werbungtreibenden wird TV schlichtweg zu teuer, also sieht man sich nach Alternativen um", sagt Sky-Media-Chef Hape. 

Auch sinkende TV-Reichweiten spielen eine Rolle

Das Argument der generell sinkenden TV-Reichweiten führen indirekt auch die werbungtreibenden Unternehmen selbst ins Feld, wenn sie über ihre Zurückhaltung bei den TV-Werbespendings sprechen. Die Organisation Werbungtreibende im Markenverband (OWM) spricht auf DWDL.de-Anfrage von einer "zurückhaltenden Planung aufgrund der allgemein schwierigen konjunkturellen Entwicklung und damit verbunden dem hohen Kostendruck in den Unternehmen". Die Tendenz, dass klassische Medien stärker darunter leiden als digitale Kanäle, könne man definitiv bei den Mitgliedern des Verbands beobachten. "Ein Grund dafür ist sicherlich die stetig steigende Bedeutung der digitalen Kanäle vs. klassischer Medien."

Für den weiteren Verlauf des Jahres sind die meisten von DWDL.de befragten Vermarkter optimistisch. "Es zeichnet sich ab, dass bisher zurückgehaltene Werbeausgaben zum Einsatz kommen werden", sagt Ad Alliance-Geschäftsführer Frank Vogel. Indikator dafür seien jüngere Gattungen wie Podcasts und Addressable TV, die trotz allem stark wachsen. "Die Kombination aus TV und Streaming ist stark nachgefragt, so dass Gesamtumsätze mit audiovisuellen Medienangeboten insgesamt steigen werden. Davon werden wir profitieren, denn die Konzentration von Markenartiklern wird auf reichweitenstarken Angebote liegen, deren Stärke in der Massenkommunikation und ebenso in der Adressierung liegt", so Vogel. 

Und auch Seven.One Media-Chef Thomas Wagner geht von einer Erholung bei den Werbeerlösen im zweiten Halbjahr aus. "Denn aus vergangenen Krisen wissen wir: Als frühzyklisches Unternehmen werden wir mit die Ersten sein, die gestärkt aus der Krise hervorgehen." Wenn sich das Konsumklima aufhelle, würden die Werbetreibenden mit ihren Marken und Produkten in den Köpfen der Verbraucherinnen und Verbrauchen sein wollen – "hier sind wir mit unseren reichweitenstarken Umfeldern, innovativen Werbelösungen und kreativen Ansätzen der ideale Partner in und durch die aktuellen Zeiten". Wagner geht außerdem davon aus, dass das Thema AVoD in diesem Jahr weiter an Fahrt aufnehmen wird - und damit ein Bereich, auf den die Seven.One Entertainment Group mit Joyn aktuell verstärkt setzt. 

Erholung realistisch, aber längst nicht sicher

Ralf Hape von Sky Media rechnet derweil damit, dass die durch den Krieg in der Ukraine aufgetretenen Auswirkungen auf den Werbemarkt spätestens im dritten Quartal abgeklungen sein werden. Es gebe zudem weitere Indikatoren für eine "verhalten positive Stimmung", sagt er. "So ist die Inflationsrate erneut zurückgegangen – zwar immer noch auf hohem Niveau, aber immerhin." Er neige dazu, das Glas immer halb voll zu sehen und nicht halb leer, so Hape. "Insofern: Es geht in kleinen Schritten bergauf. Außerdem wissen wir durch viele Gespräche mit Werbungtreibenden, dass Budgets momentan zum Teil nur eingefroren und nicht komplett gestrichen sind. Alle in der Branche hoffen auf eine Erholung im zweiten Halbjahr und alle glauben auch daran." Wie stark die erhoffte Erholung dann tatsächlich ausfalle, bleibe jedoch abzuwarten.

Stephan Karrer © RTLzwei/Magdalena Possert Stephan Karrer
Doch es gibt durchaus Marktteilnehmer, die weniger energisch in das Optimismus-Füllhorn blasen. "Ein Anstieg der TV-Werbeausgaben im Verlauf des zweiten Halbjahres ist realistisch, aber hängt von vielen Variablen ab, die Stand heute noch unsicher sind", sagt etwa Stephan Karrer, Geschäftsführer von RTLzwei-Vermarkter El Cartel Media. Zumal die optimistischen Prognosen ja auch darauf basieren, dass es keinen nächsten großen Schock für die Wirtschaft gibt. Und dass man sich da überhaupt nicht sicher sein kann, hat das letzte Jahr eindrucksvoll bewiesen.

"Die Werbekunden buchen derzeit branchenweit sehr zurückhaltend", sagt Karrer, der betont, genau das aber auch in der eigenen Jahresprognose berücksichtigt zu haben - daher liegt man bei El Cartel nach eigenen Angaben noch im Plan in Sachen TV-Werbeeinnahmen. Unterschiede zu anderen Märkten in Europa könnten sich möglicherweise mit unterschiedlichen Bewertungen des Konsumklimas angesichts der Inflation erklären lassen, so Karrer. Klar ist: In der kommenden Berichtssaison wird sich wohl schon gut ablesen lassen, wohin die Reise geht. Und ob die deutschen Unternehmen endlich zurückkehren ins Werbemedium TV.