Eigentlich soll der Beirat von ProSiebenSat.1, dessen Vorsitzender Edmund Stoiber ist, den Medienkonzern in gesellschafts- und medienpolitischen sowie ethischen Fragen beraten. Das ist auch der Grund, weshalb man in den letzten 10 Jahren nicht wirklich oft etwas von diesem Gremium gehört hat - nun wagt sich der Beirat aber mit einem "Weckruf" an die Öffentlichkeit. Der Brandbrief richtet sich in erster Linie an die Medienpolitikerinnen und Medienpolitiker im Land. 

In dem Schreiben betonen die Mitglieder des Beirats die Wichtigkeit des dualen Rundfunksystems bestehend aus Öffentlich-Rechtlichen und privaten Rundfunkanbietern, dieses habe sich als tragendes und unverzichtbarer Fundament der Demokratie erwiesen. Doch genau dieses System sieht man nun "in ernster Gefahr". Grundlage der Medienvielfalt sei nämlich nicht nur der hohe Standard des Journalismus, sondern auch die Tatsache, dass journalistische Inhalte nachhaltig finanziert werden, können, so der Beirat. 

Der aktuelle wirtschaftliche Abschwung würde daher vor allem unabhängige private Medien "besonders hart" treffen. "Darüber hinaus droht die Politik mit neuen Werbeverboten, deren Sinnhaftigkeit umstritten ist, wie zum Beispiel im Lebensmittelbereich. Solche Verbote gefährden die Refinanzierung des privaten Rundfunks und bedrohen damit im Ergebnis unsere Vielfalt." Bundesernährungsminister Cem Özdemir will Werbung für ungesunde Lebensmittel, die sich an Kinder richtet, bekanntlich verbieten, schwächte seinen ursprünglichen Vorschlag zuletzt aber schon ab (DWDL.de berichtete). 

Kritik an Öffentlich-Rechtlichen

Der ProSiebenSat.1-Beirat verweist darauf, dass so ziemlich alle Medienunternehmen harte Sparkurse fahren würden - und erklärt, hinter dem eingeschlagenen Kurs von Konzernboss Bert Habets zu stehen. Der hatte zuletzt ein Sparprogramm angekündigt, 400 Stellen sollen im Zuge dessen wegfallen (DWDL.de berichtete). Big Tech Unternehmen würden das System zusätzlich unter Druck setzen, private Medienunternehmen müssten sich diesen auch ökonomisch erwehren, die öffentlich-rechtlichen dagegen nur journalistisch, heißt es in dem Schreiben weiter. 

Aber auch die Öffentlich-Rechtlichen werden vom Beirat scharf kritisiert: Zu viel Unterhaltung, zu teure Sportrechte und umfassende Aktivitäten im Internet werden etwa als Beispiele genannt. All das würde den Kernauftrag von ARD und ZDF "erheblich übersteigen". Wenn die Politik nun das duale Rundfunksystem erhalten wolle, müsse man beide Säulen gleichermaßen stabilisieren - und da müssten eben auch die Anliegen der Privaten stärker als bislang zur Geltung kommen. 

Beirat will mehr Zusammenarbeit

Wirklich viele konkrete Vorschläge macht der Beirat von ProSiebenSat.1 allerdings nicht. Die Rede ist davon zu diskutieren, "wo und wie sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk öffnen kann". Hier verweist man auf das Angebot von Bert Habets, im Rahmen von Joyn zu kooperieren.  Solche Zusammenarbeitsmodelle seien auch in anderen Bereichen wie etwa dem Content-Einkauf oder bei Ko-Produktionen denkbar. 

In Richtung des von den Bundesländern eingesetzten Zukunftsrat für die Öffentlich-Rechtlichen heißt es vom ProSiebenSat.1-Beirat jedenfalls, dieser solle bei seinen Beratungen Kooperationen einerseits und Beschränkungen andererseits mit einbeziehen. "Der Blick darf nicht nur auf die Probleme und Herausforderungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ausgerichtet sein. Wir brauchen auch künftig ein austariertes Gleichgewicht im dualen System".

Hier der komplette Brief des ProSiebenSat.1-Beirats im Wortlaut:

"Weckruf" für eine Ausbalancierung des Dualen Systems

Unsere Gesellschaft braucht eine breite Medienlandschaft mit Qualitätsanspruch. Das gesamte demokratische Meinungsspektrum soll sich in ihr wiederfinden. Diesen demokratischen Pluralismus-Anspruch konnte und kann das gebührenfinanzierte, öffentlich-rechtliche System allein nicht einlösen. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber das 2-Säulen- Modell im Rundfunk etabliert ("duales System"). Das bewährte System ist in ernster Gefahr. Vor diesem Hintergrund hat der Beirat von ProSiebenSat.1 diesen Weckruf formuliert.

Unsere Gesellschaft und ihr bröckelnder Zusammenhalt erfordern mehr denn je einen qualitativ hochwertigen Journalismus, der in unruhigen Zeiten Orientierung gibt und eine solide recherchierte Faktenbasis garantiert. Er setzt auch einen glaubwürdigen Gegenpol zur unkontrollierten Social Media Welt. Kein einzelnes Medium kann die gesamte Breite des gesellschaftlichen Meinungsspektrums abdecken, auch nicht der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Auch aus diesem Grund wurde im Sinne einer pluralen Medienlandschaft und im breiten politischen Konsens vor über 40 Jahren das duale System geschaffen – aus öffentlich-rechtlichem Rundfunk und den unabhängigen privaten Medien. Dieses duale System hat sich seitdem als ein tragendes und unverzichtbares Fundament für unsere Demokratie erwiesen.

Ein elementarer Bestandteil unseres ausbalancierten Systems ist nun jedoch ernsthaft gefährdet. Denn unsere Medienvielfalt hat ihre Grundlage nicht nur im hohen Standard des Journalismus, den wir in Deutschland bieten. Unerlässliche Bedingung für diese Vielfalt ist es, dass journalistische Inhalte nachhaltig finanziert werden können. Hier ist die Refinanzierung durch Werbeeinnahmen für private Medien schon immer Existenzgrundlage. Das macht sie unabhängig von staatlichen Zuwendungen.

Von daher trifft der aktuelle wirtschaftliche Abschwung vor allem die unabhängigen privaten Medien besonders hart. Denn Unternehmen kürzen angesichts der konjunkturellen Abkühlung in der Regel sehr schnell und umfassend ihre Werbeetats, um kurzfristig schnell Kosten zu sparen. 

Darüber hinaus droht die Politik mit neuen Werbeverboten, deren Sinnhaftigkeit umstritten ist, wie zum Beispiel im Lebensmittelbereich. Solche Verbote gefährden die Refinanzierung des privaten Rundfunks und bedrohen damit im Ergebnis unsere Vielfalt.

Während die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten in Zeiten von Inflation und Rezessionsgefahr bei der KEF einen erhöhten Finanzierungsbedarf anmelden, hat der private Rundfunk diese Möglichkeit nicht. Und genau das führt nun zu einer schwierigen Lage des eingeschwungenen dualen Systems. Das findet aktuell seinen Ausdruck in den gravierenden Einsparungen praktisch aller großen unabhängigen Medienhäuser. Auch ProSiebenSat.1 hat entsprechend harte Maßnahmen eingeleitet. Der Beirat von ProSiebenSat.1 steht geschlossen hinter den Entscheidungen des Vorstands und der Strategie, mit der das Medienhaus adäquat auf die aktuelle Situation reagiert und dennoch seinem journalistischen Auftrag weiterhin vollumfänglich gerecht wird.

Selbstverständlich stellen sich die privaten Rundfunkunternehmen der wirtschaftlichen Herausforderung – sie müssen es, denn letztlich sind sie Wirtschaftsunternehmen, die sich zudem in einem Wettbewerb befinden. Allerdings verschärfen neue Herausforderungen die Lage, denn die Big Tech Unternehmen setzen das duale System zusätzlich unter Druck. Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gilt das allerdings nur journalistisch; für den privaten Rundfunk darüber hinaus auch in ökonomischer Hinsicht.

Die Rezession, der Wettbewerb mit den internationalen Digitalunternehmen und veränderte Zuschauergewohnheiten – all das führt zu einer neuen Schieflage im dualen System, eben weil die unabhängigen Medienhäuser dem immer stärker werdenden ökonomischen Druck standhalten müssen. Eine Medienpolitik, die eine plurale Medienlandschaft und Meinungsvielfalt aufrechterhalten will, muss dieser Entwicklung schnell und mit der gebotenen Ernsthaftigkeit entgegenwirken.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht mit den privaten Sendern in vielen Bereichen in einem ungleichen Wettbewerb. Dabei hat sich das Gewicht eindeutig zulasten der privaten Sender verschoben, auch wenn viele Themen nicht neu sind: Ein Überangebot an Unterhaltungsprogrammen, "Mondpreise", die die Sendeanstalten für Sportrechte zahlen und deren umfassende Aktivitäten im Internet. All das übersteigt erheblich den Kernauftrag der öffentlich-rechtlichen Anstalten. Doch anstatt das Werbevolumen in Grenzen zu halten, verstärken die Öffentlichen ihre Aktivitäten im Werbemarkt bis hin zu Forderungen, Werbung auch in ihren Mediatheken schalten zu dürfen.

Für eine lange Zeit konnten die privaten Medienunternehmen durch die medienpolitisch gewünschte Konstellation wirksam und erfolgreich ein Geschäftsmodell praktizieren, das Unterhaltung und unabhängigen Journalismus durch Werbung nachhaltig refinanziert. Das ist in Gefahr.

Wenn die Politik das bewährte duale System erhalten möchte, muss sie beide Säulen gleichermaßen stabilisieren und ihren Wert sowie ihren Beitrag für das soziale Miteinander und die Meinungsvielfalt in Deutschland anerkennen. Dafür ist es zwingend notwendig, dass auch die Anliegen des privaten Rundfunks bei der Neujustierung des dualen Systems angemessen zur Geltung kommen, sonst ist am Ende das gesamte Gebäude des dualen Systems einsturzgefährdet. Das kann niemand wollen.

Fakt ist: Die veränderten Rahmenbedingungen erfordern eine neue Balance zwischen öffentlich-rechtlichen Anstalten und den privaten Medienhäusern. In diesem Kontext muss auch diskutiert werden, wo und wie sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk öffnen kann.

Der Vorstandsvorsitzende von ProSiebenSat.1 Bert Habets hat dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk konkrete Kooperationsangebote unterbreitet, z.B. im Hinblick auf die Plattform JOYN. Solche Zusammenarbeitsmodelle sind auch in anderen Bereichen denkbar (wie etwa Content-Einkauf oder Ko-Produktionen).

Unser gemeinsames Ziel muss es jedenfalls sein, gemeinsam die lebendige Vielfalt zu garantieren, die unsere Demokratie als kontinuierliches Lebenselixier benötigt. Der Beirat von ProSiebenSat.1 fordert den Zukunftsrat der Länder daher ausdrücklich auf, bei seinen Beratungen diese Aspekte – Kooperationen einerseits und Beschränkungen andererseits – mit einzubeziehen. Der Blick darf nicht nur auf die Probleme und Herausforderungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ausgerichtet sein. Wir brauchen auch künftig ein austariertes Gleichgewicht im dualen System! ProSiebenSat.1 und der Beirat stehen für einen Austausch mit den Mitgliedern des Zukunftsrats jederzeit zur Verfügung.