Es kommt nicht alle Tage vor, dass der Chef eines Fernsehsenders eine improvisierte Show, während sie gerade live im Fernsehen läuft, per Anruf im Studio zur Fortsetzung einkauft. Aber genau so ist's passiert, als Joko und Klaas an ihrem ProSieben-Programmtag vor drei Wochen (hier im Schnelldurchlauf bei DWDL) bei "Ein sehr gutes Quiz (mit hoher Gewinnsumme)" kurz vor dem 100.000-Euro-Finale standen und ProSieben-Boss Hannes Hiller per Telefon reingereicht wurde ("Hallo, guten Tach"), um vorzuschlagen: "Ich glaub, wir sollten mehr davon machen."

Zu Beginn des Abends hatte Klaas noch gescherzt: "Wir haben uns das erst vorgestern ausgedacht, wir haben das noch nie geprobt und jetzt ist es live im Fernsehen!"

Und selbstverständlich könnte man vortrefflich darüber streiten, ob es eine gute Idee ist, etwas fortzusetzen, das als einmaliger Gag mit verdienter Gewinnerin ganz wunderbar funktioniert hat. Und ob es sich lohnt, dafür die vielen kleinen und mittleren Schwachpunkte glattzubügeln, über die das Publikum deswegen hinwegzusehen bereit war.

Aber das klären Unterföhring und Berlin demnächst sicher unter sich.

dpa meldet: eine Show um 20.15 Uhr!

Für die öffentliche Wahrnehmung spielte das nachher ohnehin keine Rolle. Und so kam es, dass dpa wenige Tage nach der Ausstrahlung eine grundseriöse Nachricht verbreitete, in der es hieß: "Die von Joko und Klaas an ihrem 24-Stunden-Programmtag gezeigte neue Quizshow soll nach derzeitigen Planungen wahrscheinlich noch in diesem Jahr als Sendung im ProSieben-Programm laufen", hochoffizielle Senderbestätigung inklusive: "zur besten Sendezeit ab 20.15 Uhr".

Dabei ist all das eigentlich bloß die Fortsetzung eines bereits eingeübten Procederes. Denn ProSieben im Speziellen und das Fernsehen im Allgemeinen pflegt schon seit längerem eine Leidenschaft dafür, schnell und klein auf Sendung geschickte Ideen nachher nochmal in ganz großem Rahmen auszukoppeln. Mit unterschiedlichem Erfolg allerdings.

Bis 2019 gab es dafür sogar eine institutionalisierte Programmfläche: In "Die beste Show der Welt" traten Joko und Klaas regelmäßig mit Mini-Shows gegeneinander an, um am Ende einen Studiopublikumssieger küren zu lassen. Das war erfolgreich, aber übermäßig aufwändig und endete deshalb schneller als man es sich gewünscht hätte; es war aber auch eine Gelegenheit für den Sender, die Formatentwicklung quasi live on air zu erledigen.

Und jetzt noch mal in XXL

2018 fand mit "Win your Song" eines der "Beste Show"-Konzepte ihren Weg ins ProSieben-Spätprogramm: als eigenständige Gameshow mit Musikschwerpunkt, in der Gäste die Ausstattung, um ihre eigenen Songs zu performen, in mehreren Spielrunden erst noch gewinnen mussten. Trotz gut gelaunter Joko-Moderation kam die Show über vier Episoden nicht hinaus.

Zuvor war bereits "Beginner gegen Gewinner" ausgekoppelt worden: ein Wettbewerb zwischen Laiensportler:innen und Profis, die in einer Primetime-Samstagabendshow gegeneinander in unterschiedlichen Disziplinen antraten. Aber eben auch nur fünf Mal, danach war (vermutlich auch wegen überschaubarer Quoten) Schluss.

Beide Shows waren keineswegs schlecht gemacht; aber sie konnten die Zuschauer:innen nicht so mitreißen, wie es sich Sender und Produktionsfirma vermutlich gewünscht hätten.

Zumal man sich in Unterföhring noch gut daran erinnern wird, wie das einst zu Stefan-Raab-Zeiten war, als bei "TV total" mehr als ausreichend Zeit blieb, fixe Ideen auszuprobieren und weiterzudrehen – um sie irgendwann noch mal in XXL zu veranstalten: den "Bundesvision Song Contest" und die ARD-Kooperation "Unser Song für Oslo" als Konsequenz aus "SSDSGPS" ("Stefan sucht den Super-Grand-Prix-Star"), die "Wok-WM" als Konsequenz aus einem "Wetten dass..?"-Wetteinsatz, "Blamieren oder kassieren" als Konsequenz aus – nun ja: der Notwendigkeit, Sendestrecke zu füllen.

Für Sie erfolgreich ausprobiert

"Blamieren oder kassieren" wurde bekanntlich nicht nur als eigenständiges Format ausgekoppelt, sondern wechselte sogar den Sender – und verschwindet nun (vorerst) komplett aus dem Programm. Während "Lass dich überwachen" – die Show, die Jan Böhmermann endgültig ZDF-hauptabendprogrammtauglich machte und ursprünglich aus der "Neo Magazin"-Rubrik "Prism is a Dancer" hervorgegangen war, noch in diesem Jahr fortgesetzt wird.

Auch angesichts solcher Überraschungserfolge hat das deutsche Fernsehen das Auskoppeln nie aufgegeben. In Ermangelung eigener Late-Night-Shows, deren Redaktionen permanent kreativ werden müssen, um für vier Tage die Woche genügend Programm zu haben, schaut man halt ins Ausland.

RTL+ versuchte es im vergangenen Jahr mit "That's my Jam", der "schnellsten, lustigsten und crazyiesten Musikgameshow der Welt", wie einer der beiden Gastgeber – Tom Kaulitz – befand. Zwei Promi-Teams treten gegeinaneinder an, indem sie Songtitel erfühlen, remixte Songs als neuen Titel zusammensetzen oder Songs wie "Durch den Monsun" in der Klassik- und Polka-Varainte singen, während sie sich von einer sprechenden Jukebox herumkommandieren lassen.

Aufgeblasen zur Primetime-Tauglichkeit

Das Prinzip basiert auf dem amerikanischen Original, das Jimmy Fallon aus ähnlichen Elementen seiner "Tonight Show" kombinierte – und angesichts großer Namen aus dem Musikbusiness eine andere Fallhöhe hatte ("Big Stars. Hit Songs. Game On!"). Bei RTL konnte die deutsche Adaption im linearen Programm trotz viel guter Laune nicht überzeugen, die verbliebenen Episoden bekommen Ende des Monats immerhin eine zweite Chance bei Vox.

Jüngste Late-Night-Auskoppelung war zuletzt "Wer isses?" bei ProSieben: ein Quiz, bei dem Zweier-Promi-Teams Eigenschaften, Hobbys und Erlebnisse ganz gewöhnlicher Leute im Studio ausschließlich anhand von Äußerlichkeiten erraten mussten. Erfunden hat's James Corden einst als Rubrik "The Line-Up" für seine "Late Late Show" (die er inzwischen nicht mehr moderiert), der französische Sender TF1 setzte die Idee als eigenständige Show "Visual Suspects" um. Und selbst wenn die deutsche Variante Potenzial zeigte: Quotenspektakel war "Wer isses?" eher nicht.

Weswegen sich die Frage aufdrängt: Wie groß muss eine Idee sein, um im Jahr 2024 daraus eine abendfüllende Show machen zu können?

Oder, anders: Ist es vielleicht gar kein so guter Ausgangspunkt, kurze Rubriken aus Late-Night-Shows und improvisierte Konzepte, die sonst allenfalls zehn, fünfzehn Minuten tragen müssen, so lange aufzublasen, bis man sie dadurch Primetime-tauglich kriegt?

Die Variation trägt den Abend

Eigentlich ist die Antwort darauf ganz einfach, zumindest im Fall Joko und Klaas: Deren Produktionsfirma Florida Entertainment ist – ganz objektiv betrachtet – mit ihren Konzepten immer dann am erfolgreichsten, wenn es ihr gelingt, viele kleine irre Gedankenblitze zu einer Show zusammenzubauen.

So lebt Jokos Erfolgsquiz "Wer stiehlt mir die Show?" ganz entscheidend vom stetigen Wechsel der Spiele: Beginn und Finale sind gesetzt, und manche Ideen funktionieren so gut, dass sie in der nächsten Staffel wieder auftauchen. Das Entscheidende ist aber, dass nicht ein Spielprinzip den ganzen Abend tragen muss. Und so toll das ist, dass "Da hab ich doch Prompter die Antwort vergessen" dank lustiger Texte, Settings und Verkleidungen als Final-Vorentscheid immer wieder neu und frisch daherkommt: In einer Sechzig-Minuten-Variante würde man das eher nicht sehen wollen.

Das bedeutet keinesfalls, dass "Ein sehr gutes Quiz (mit hoher Gewinnsumme)" in der Fortsetzung nicht trotzdem funktionieren und spannend anzusehen sein kann. Sondern nur, dass die dahinter stehenden Kreativen ihre Arbeit oft noch viel besser beherrschen, wenn sie dafür einen gewissen Variationsrahmen zur Verfügung haben.

Einmal Scheitern für den nächsten Hit

Wobei man vielleicht eine entscheidende Einschränkung machen muss: Bei "Beginner gegen Gewinner" kann ich mir förmlich vorstellen, wie sich die Verantwortlichen nachher zusammengesetzt haben, um zu überlegen, was man anders machen müsste, um Joko in einer großen ProSieben-Show zu etablieren, die so einzigartig ist, dass sich davon viele, viele Staffeln herstellen lassen: Ein weniger wettkampforientiertes Spielprinzip? In weicherem, wärmerem Studiodesign? Mal ohne die übliche Gewinnsumme, aber trotzdem mit hohem Einsatz? Und vielleicht nicht gleich wieder am Samstag, sondern zum Ausprobieren am weniger umkämpften Dienstag?

Gut möglich, dass das Scheitern von "Beginner gegen Gewinner" essenzielle Voraussetzung für den Anstoß war, "Wer stiehlt mir die Show?" zu entwickeln.

Falls dem so ist, muss man die Sender natürlich unbedingt dazu auffordern, weiter Miniideen und Rubriken auszukoppeln, was das Zeug hält. Weil die Fehler, die sich damit machen lassen, dringend gebraucht werden, um daran vorbei den nächsten großen Hit zu konzipieren.

Und damit: zurück nach Köln.

Vox zeigt die verbliebenen Folgen von "That's my Jam" ab 28. Mai dienstags im Anschluss an "Sing meinen Song".