Juristische Auseinandersetzungen rund um die Berichterstattung in angeblichen MeToo-Fällen sind aktuell allgegenwärtig. Sehr präsent war die Thematik zuletzt bei Rammstein bzw. Till Lindemann, dessen Anwälte gegen die Berichterstattung gleich mehrerer Medien vorgegangen sind - teilweise waren sie dabei erfolgreich, teilweise nicht. Alle Seiten versuchen dabei, die Deutungshoheit über die Entscheidungen der Gerichte zu behalten - und da geht schon einmal schnell etwas durcheinander. Im Fall von Luke Mockridge ist die Sache etwas eindeutiger. 

Der "Spiegel" hatte im September 2021 einen langen Artikel über den Comedian veröffentlicht und darin über die Vergewaltigungsvorwürfe seiner Ex-Freundin Ines Anioli berichtet. Darüber hinaus hatte man mit weiteren Frauen gesprochen, die kein besonders schmeichelhaftes Bild von Mockridge zeichneten. Zusammen mit der Kanzlei Schertz Bergmann ging Mockridge gegen die Berichterstattung vor - und hatte damit viel Erfolg. 

Im Juni beendete das Hanseatische Oberlandesgericht das Verfügungsverfahren, auch Eilverfahren genannt, indem es entschied, dass weite und entscheidende Teile des Artikels verboten bleiben. Über Details der Vorwürfe, die Anioli Mockridge macht, darf das Nachrichtenmagazin schon seit einiger Zeit ebenso nicht mehr berichten wie über zwei angebliche Vorfälle mit anderen Frauen. Es war eine weitreichende Niederlage für den "Spiegel". Aber diese Niederlage war eben auch nur vorläufig. Denn in Hamburg will man es nun wissen und den Fall im Hauptsacheverfahren klären. Das startet am Freitag, den 25. August, vor dem Landgericht Hamburg. 

Dass das Eilverfahren diesen Namen nicht verdient hat, zeigt schon die Tatsache, dass es rund eineinhalb Jahre dauerte. Immer wieder legten beide Seiten Widerspruch gegen Urteile ein, weshalb sich eine finale Entscheidung hinauszögerte. Und nun geht quasi alles noch einmal von vorne los - und das in erweiterter Form. Im Hauptsacheverfahren wird es den Streitparteien nun nämlich möglich sein, eine förmliche Beweisaufnahme durchzuführen. Das heißt: Es werden Zeuginnen und Zeugen benannt, möglicherweise auch Sachverständige hinzugezogen. Das alles gab es im Verfügungsverfahren nicht. Und vielleicht noch wichtiger: Nach einer Entscheidung von Landgericht und Oberlandesgericht könnte man vor dem BGH weiter streiten und in letzter Instanz auch das Bundesverfassungsgericht anrufen. Hier sieht vor allem der "Spiegel" eine Möglichkeit, die Sache doch noch zu gewinnen - und die eigene Berichterstattung so zu legitimieren. 

Unzulässige Verdachtsberichterstattung?

Kommt es tatsächlich zu Urteilen vor dem BGH oder dem Bundesverfassungsgericht, könnte damit Rechtsgeschichte geschrieben werden. Die Gerichte könnten dann Leitplanken setzen für die Rechtmäßigkeit künftiger Verdachtsberichterstattung. Der Ausgang des Verfahrens ist völlig offen. Mockridge und seine Anwälte haben den Vorteil, dass sie im Verfügungsverfahren viele Dinge zu ihren Gunsten durchsetzen konnten. Andererseits: Ganz zu Beginn waren sie noch vor dem Landgericht Köln angetreten, das wohl nicht in ihrem Sinne entschieden hätte, daher wechselten sie nach Hamburg. Diese Praxis wird ganz offen vom "Spiegel" kritisiert, rechtlich verboten ist das aber nicht. 

"Es handelt sich bei der streitgegenständlichen Berichterstattung um eine unzulässige Verdachtsberichterstattung, auch wenn hier gewichtige Rechtspositionen für beide Seiten streiten", hält das Hanseatische OLG in seinem Urteil vom 20. Juni fest, das DWDL.de vorliegt. Nun müssen die Rechtspositionen erneut gegeneinander abgewogen werden. Hier der "Spiegel", der unter anderem argumentiert, schon vor der Berichterstattung habe es eine Debatte rund um Luke Mockridge und dessen Verhalten gegeben. Außerdem sieht man die Kriterien einer zulässigen Verdachtsberichterstattung als erfüllt an, vor allem gebe es ein öffentliches Interesse. Und auf der anderen Seite Luke Mockridge und dessen Anwälte, die sich auf die Privats- bzw. Intimsphäre berufen. 

"Keine klassische Enthüllungsgeschichte"

Der zeitliche Ablauf in der ganzen Sache ist durchaus interessant: Ines Anioli erstellte im Juli 2019 Anzeige gegen Mockridge, da waren die beiden schon mehrere Monate getrennt. Ein Ermittlungsverfahren wurde im Mai 2020 eingestellt, auch eine Beschwerde dagegen blieb erfolglos. Ab Februar 2021 waberten dann Gerüchte durchs Netz. Ines Anioli machte Äußerungen, nannte Mockridge aber nie beim Namen. Sat.1 sah sich im April 2021 genötigt, mit einem Statement zu reagieren und sprach darin von einer "modernen Form der Lynchjustiz", die im Netz stattfinde. Im August äußerte sich Mockridge schließlich in einem langen Instagram-Video zu den Vorwürfen, stritt sie ab und kündigte eine TV-Pause an. Erst danach berichtete der "Spiegel" über die Sache. Auch deshalb sagt "Spiegel"-Anwalt Marc-Oliver Srocke gegenüber DWDL.de, dass die Berichterstattung "keine klassische Enthüllungsgeschichte" gewesen sei. "Der Kern der Vorwürfe von Frau Anioli war schon vor der Berichterstattung bekannt und Gegenstand einer heftigen öffentlichen Meinungsdebatte und auch Luke Mockridge selbst hatte sich in einem langen Instagram-Video zum Sachverhalt geäußert."

Vom OLG heißt es dazu unter anderem: Zum Zeitpunkt des Statements habe sich Mockridge in einer "objektiven und subjektiven Zwangslage" befunden, dennoch habe er damit das öffentliche Interesse an dem Fall erhöht. Das alleine heiße aber nicht, dass der "Spiegel" die anderen Kriterien für eine zulässige Verdachtsberichterstattung links liegen lassen dürfe, so das OLG. Neben dem öffentlichen Interesse sind auch eine ausgewogene Berichterstattung, ein Mindestbestand an Beweistatsachen (ein einfaches Ermittlungsverfahren reicht da laut OLG nicht) sowie die Konfrontation des Betroffenen wichtige Kriterien. Mockridge-Anwalt Simon Bergmann erklärte bereits im Juni, dass das Urteil Anlass für alle Medien sein sollte, "die Vorgaben einer Verdachtsberichterstattung zukünftig sorgfältiger zu prüfen". Der "Spiegel" habe seine "journalistischen Sorgfaltspflichten nachhaltig verletzt", so Bergmann. 

Nun wird es unter anderem die Aufgabe der Gerichte im Hauptsacheverfahren sein zu bewerten, wie ausgewogen die Berichterstattung tatsächlich war. Der "Spiegel"-Artikel warf damals in der Tat kein gutes Licht auf Mockridge, aber schon damals hieß es, beide Seiten würden um Ruf und Karriere kämpfen. "Anioli ist entweder Betroffene oder eine Lügnerin, Mockridge ist entweder das Opfer einer wütenden Ex-Partnerin oder Täter." Auch dass die Staatsanwaltschaft Köln das Ermittlungsverfahren einstellte und erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit Aniolis hatte, wurde erwähnt. 

Andererseits, so kritisiert es das OLG: Nicht erwähnt wurde beispielsweise, dass beide Seiten von einem gegenseitig ruppigen Umgang berichteten. Auch "kleinere Verletzungen wie Kopfstöße und Hämatome" seien "nicht unüblich gewesen", so steht es laut OLG in dem Schreiben der Oberstaatsanwaltschaft, in dem man die Beschwerde von Anioli gegen die Einstellung des Verfahrens zurückweist. "Diese Information findet sich indes im Artikel nicht wieder, wohl aber die Mitteilung, dass der Antragsteller in der fraglichen Nacht ‘offenbar so grob’ gewesen sei, dass Frau Anioli Schmerzen und blaue Flecken gehabt habe". Nun wird ganz konkret zu klären sein: Welche Fakten hätte der "Spiegel" benennen müssen, welche nicht? Hätten die Leser von der Situation eventuell ein anderes Bild gehabt, hätte der "Spiegel" weitere Informationen, die vorlagen, in den Text geschrieben? Die Schreiben der Staatsanwaltschaften würden jedenfalls "in keiner Weise für die Richtigkeit der von Frau Anioli erhobenen Vorwürfe" sprechen, sondern "entlasten vielmehr eher den Antragsteller", so das OLG.

Wie lang muss die Frist für Betroffene sein? 

Geklärt wird in den kommenden Wochen und Monaten wohl auch, was an zwei Tagen in Hannover und Düsseldorf in den Jahren 2019 und 2014 passiert ist - und wie der "Spiegel" da zu seinen Erkenntnissen kam. Die entsprechenden Passagen sind nach den bislang erfolgten Urteilen gänzlich aus dem Text gestrichen worden. Wie das OLG in seinem Urteil ausführt, weiche die Berichterstattung des "Spiegels" bei dem angeblichen Vorfall in Hannover von den Recherchen und der eidesstattlichen Versicherung der zuständigen Journalistin ab. Bei dem angeblichen Vorfall in Düsseldorf fehle es "an einer hinreichenden Konfrontation des Antragstellers mit dem Rechercheergebnis". Das OLG wirft dem "Spiegel" in beiden Fällen den Mangel einer sorgfältigen Recherche vor. Ein anderer Fall in Köln, den Mockridges Anwälte ebenfalls verbieten lassen wollten, befindet sich nach wie vor im Text. 

Auch zur Frist zur Stellungnahme, die Journalistinnen und Journalisten ihren Recherche-Objekten immer wieder einräumen, hält das OLG in seinem Urteil Interessantes fest, das, wenn es so im Hauptsacheverfahren bestätigt werden würde, Grundsätze neu setzen könnte. So heißt es etwa, Mockridge sei nicht genügend Gelegenheit gegeben, um Stellung zu den Vorwürfen zu nehmen. Für die Dauer der Frist gebe es keine starren Werte, vielmehr bemesse sich diese an den "Umständen des jeweiligen Einzelfalls". Das OLG führt aus: "Hierbei können unter anderem ein etwaiger bestehender Aktualitätsdruck oder eine Eilbedürftigkeit der Veröffentlichung und etwaige frühere Stellungnahmen des Betroffenen ebenso zu berücksichtigen sein, wie die schwere des erhobenen Vorwurfs, der Umfang und die Komplexität der Rechercheanfrage und der erforderliche Zeitaufwand zu deren gründlicher Beantwortung". Außerdem stellt das OLG einen Bezug her zwischen der eingeräumten Frist und der Dauer der zuvor erfolgten Recherche. 

Und wenn das Urteil des Hanseatischen OLG auch im Hauptsacheverfahren bestätigt wird, könnte das dazu führen, dass Betroffene einer solchen Recherche künftig nicht nur Stunden und Tage Zeit haben um zu antworten, sondern Wochen. Je nach dem wie genau der jeweilige Fall gelagert ist. "Der Spiegel" hatte seine Anfrage an Luke Mockridge am 20. September abends verschickt und in der Nacht ergänzt. Die Frist lautete: Antwort bis zum 22. September um 11 Uhr, die Rede war von "produktionstechnischen Gründen". Nach einigem Hin und Her wurde die Frist noch bis zum 23. September um 15 Uhr verlängert. Dies alles habe "nicht den Anforderungen an die Wahrung der journalistischen Sorgfalt" genügt, urteilte das OLG. 

Endgültiges Urteil dauert wohl noch Jahre

Auch hier hofft der "Spiegel", dass die Entscheidung im Hauptsacheverfahren gekippt wird und die Gerichte anders entscheiden. "Es ergibt keinen Sinn, die Fristsetzung von der Dauer der Recherche abhängig zu machen. Das ist völlig weltfremd", sagt "Spiegel"-Anwalt Marc-Oliver Srocke im Gespräch mit DWDL.de. Und tatsächlich ist es schwer festzuhalten, wie lange eine Recherche läuft. Journalistinnen und Journalisten sitzen selten an nur einer Geschichte. An manchen Storys wird Monate, wenn nicht gar Jahre gearbeitet. 

Gleichzeitig betont Srocke, dass der "Spiegel" "immer" ein Interesse daran habe, die Standpunkte der anderen Seite zu erfahren. Und Srocke macht auch keinen Hehl daraus, dass er sich auf ein langes Verfahren einstellt. "Wir sind bereit dazu, die Sache mindestens bis zum BGH auszufechten." Gut möglich, dass das Hauptsacheverfahren die eineinhalb Jahre, die das Verfügungsverfahren gedauert hat, noch deutlich überschreiten wird. Danach dürfte dann aber Klarheit herrschen. Einerseits in Sachen "Spiegel"-Berichterstattung rund um Luke Mockridge. Und eventuell auch in Bezug auf weitere Recherchen in solchen Fällen.