Vor ziemlich genau zwei Jahren hat der bis heute anhaltende russische Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen. Viele Menschen wurden seither getötet, noch mehr sind geflüchtet. In den Medien ist der Krieg täglich präsent, noch bis Ende Februar veranstaltet das ZDF einen Programmschwerpunkt zu den zwei Jahren Krieg. In mehreren Formaten setzt man sich mit den Ereignissen in der Ukraine auseinander. Passend dazu startet mit "In Her Car" nun auch eine Serie in der ZDF-Mediathek und bei ZDFneo, die in der Ukraine entwickelt und produziert wurde und in der es auch ganz wesentlich um den Krieg geht - aber nicht nur. 

Inhaltlich steht die Therapeutin Lydia, gespielt von Anastasia Karpenko, im Mittelpunkt der Geschichte. Nach dem Ausbruch des Kriegs beschließt sie, Menschen in der Ukraine zu helfen. Sie bietet Mitfahrmöglichkeiten in ihrem Auto an, damit die Menschen zu ihren Liebsten oder in Sicherheit gelangen können. Auf der Reise berichten ihr die Fahrgäste von persönlichen Schicksalsschlägen und Ängsten, aber auch von Träumen und Hoffnungen für eine bessere Zukunft. Jede Episode erzählt die Geschichte eines anderen Fahrgasts mit einem individuellen Blick auf die aktuelle Lage. Dabei geht es aber längst nicht nur um die Sorgen, die der Krieg mit sich bringt, sondern auch um Themen wie Homophobie, Betrug, Überforderung und Familienstreitigkeiten. Die Figur Lydia und ihre Geschichte sind rein fiktiv, die Geschichten der verschiedenen Fahrgäste aber durchaus von der Realität inspiriert. 

Angesichts der Umstände in der Ukraine ist die Serie äußerst schnell umgesetzt worden. Bereits im Sommer 2022, nur wenige Monate nach Kriegsausbruch, stellte Eugen Tunick, ukrainischer Filmemacher und Mastermind der Serie, die Idee zur Produktion bei einem Wettbewerb in Berlin vor, bei dem die beiden Gaumont-Produzenten Andreas F. Bareiss und Rainer Marquass in der Jury saßen. Gewonnen hat "In Her Car" den Wettbewerb letztlich nicht, aber alle Jury-Mitglieder rissen sich um Tunick und dessen Idee, erzählt Bareiss im Gespräch mit DWDL.de. Den Zuschlag bekommen hat schließlich Gaumont, die Produktionsfirma konnte mutmaßlich auch mit Standorten in mehreren Ländern und guten Verbindungen zu potenziellen Abnehmern punkten. 

Andreas F. Bareiss © Gaumont Andreas F. Bareiss
"Am Anfang war das ganze Projekt eine Blackbox. Wir haben uns gefragt: Kann man so etwas überhaupt herstellen und wenn ja, was kostet das?", sagt Andreas F. Bareiss von Gaumont und Produzent der Serie. "Es soll eine ukrainische Serie aus der Ukraine sein, gleichzeitig wollten wir aber auch westliche Sehgewohnheiten berücksichtigen. Den ukrainischen Filmemachern und uns war es wichtig, mit der Serie vor allem auch die Zuschauer:innen außerhalb der Ukraine zu erreichen und auf die Auswirkungen dieses Kriegs aufmerksam zu machen." Als Bareiss erstmals bei Sendern und Streamern mit der Serie vorstellig wurde, ist das Interesse groß gewesen. "Danach folgte aber meist schnell Zurückhaltung", sagt der Produzent.

Wie sicher kann ein Dreh in der Ukraine sein? 

Mit Starlight Media hatte man zwar auch einen großen und erfahrenen Partner aus der Ukraine mit im Boot, der auch selbst finanzielle Mittel für die Produktion aufbrachte, vielen möglichen Abnehmern war das Projekt aber aus mehreren Gründen zu heikel. Zum einen waren da sicherheitstechnische Überlegungen: Kann man eine solche Produktion in der Ukraine überhaupt sicher für alle Beteiligten durchführen? Schließlich herrscht in dem Land Krieg. "Darauf sind wir immer eingegangen und haben erklärt, was wir vorhaben", sagt Andreas F. Bareiss im Gespräch mit DWDL.de.

Was er damit meint: Gedreht wurde entweder an oder in der Nähe von bombensicheren Orten sowie in der Nähe von Krankenhäusern und Schutzräumen. Außerdem sei das Team bei Außendrehs so klein wie möglich gehalten worden. Und auch wenn man die Dreharbeiten immer mal wieder kurzzeitig wegen Luftalarmen aussetzen musste: Größere Zwischenfälle gab es keine. "Wir haben die Drehorte immer so ausgewählt, dass es sicherheitstechnisch vertretbar war. Sicherheit war immer oberste Priorität."

In Her Car © ZDF/Roman Lisovsky Ein großer Teil der Handlung spielt im Auto.

Gedreht wurde an Original-Locations, der Großteil davon in Kiew und Umgebung. "Im Vergleich zu anderen Regionen der Ukraine war es dort zum Zeitpunkt der Dreharbeiten relativ sicher", sagt Bareiss. Aber eben nicht 100 prozentig sicher, wie ein täglicher Blick in die Nachrichten zeigt. Auch in Kiew kommt es trotz der vorhandenen Raketenabwehr immer wieder zu Toten und Verletzten durch russische Angriffe. Wichtig ist dem Team die Tatsache gewesen, dass in Kiew und Umgebung bei potenziellen russischen Angriffen gewarnt wird - und so genug Zeit bleibt, um Schutzräume aufzusuchen. Aber: "Es ist und bleibt Krieg. Das darf man sich nicht schönreden", sagt Bareiss. 

Die sicherheitstechnischen Fragen waren aber nicht die einzigen Bedenken. Vor allem große Streamingdienste hatten auch noch andere Befürchtungen. "Zwischen den Zeilen schwangen weitere Bedenken mit, die ich auch nachvollziehen kann. Mit bestimmten Projekten bezieht man ein Stück weit Position und es ist unklar, wie sich gewisse Dinge geopolitisch entwickeln", sagt Andreas F. Bareiss. Auch wenn einige große US-Streamingdienste in Russland längst nicht mehr aktiv sind, gab es also ganz offensichtlich die Befürchtung, mit dem Projekt Stellung zu beziehen - und sich damit möglicherweise künftige Geschäfte zu verbauen. "Große Streamer sind generell zurückhaltend, sobald Projekte zu politisch sind. Das haben auch wir gespürt. Und natürlich wurde uns die Frage gestellt, ob die Zuschauer ein fiktionales Programm über den Krieg sehen wollen, wenn bereits täglich in den Nachrichten darüber berichtet wird", sagt Gaumont-Produzent Bareiss gegenüber DWDL.de. 

"Große Streamer sind generell zurückhaltend, sobald Projekte zu politisch sind. Das haben auch wir gespürt."
Andreas F. Bareiss, Gaumont


Insofern überrascht es nicht, auf welchen Sendern "In Her Car" letztendlich zu sehen sein wird. In Deutschland eben bei ZDFneo und in der Mediathek. Darüber hinaus sind auch noch klassische TV-Sender aus Frankreich (France Télévisions), Dänemark (DR), Island (RUV), Schweden (SVT), Finnland (YLE), Norwegen (NRK) und der Schweiz (SRF) mit dabei - es sind also alles ausnahmslos öffentlich-rechtliche Sender. Sie alle planen eine zeitgleiche Veröffentlichung der Serie zum zweiten Jahrestag der russischen Invasion. Zuletzt wurde "In Her Car" auch noch in zahlreiche andere Länder und bis nach Japan verkauft (DWDL.de berichtete). Produziert wurden 10 Folgen, von denen nun erst einmal 5 ausgestrahlt werden. Weil die Synchronisation nicht so schnell möglich war, hat man die Ausstrahlung in zwei Blöcke aufgeteilt. 

Ein wichtiges Projekt für die ganze Ukraine

Nicht nur für Gaumont, das die Serie ganz wesentlich in Entwicklung und Postproduktion mitgestaltet hat, ist "In Her Car" ein wichtiges Projekt, mit dem man über Europa hinaus eine Duftmarke setzen will. Auch für die ukrainische Starlight Media und Showrunner Eugen Tunick ist das Projekt in seiner Wichtigkeit kaum zu überschätzen. Einerseits nach außen, aber auch nach innen: In einem Land, das längst auf Kriegswirtschaft umgestellt hat, ist die Serie ein Stück weit Normalität. "Starlight Media ist ein privates Medien-Unternehmen, mit mehreren Sendern, vielen Projekten und Filmproduktionen, und lebt auch von Werbeeinnahmen. Diese sind, wie man sich vorstellen kann, mit Beginn des Krieges drastisch zurückgegangen", sagt Andreas F. Bareiss gegenüber DWDL.de. 

Was in Deutschland und anderen Teilen der westlichen Welt mit Werbebuchungen passiert, wenn die Wirtschaft mal ein bisschen stottert, wissen alle: Sie werden schnell gestrichen. Mit spürbaren Folgen für die Unternehmen, die auf Werbeeinnahmen angewiesen sind. In Deutschland war das im zurückliegenden Jahr zu beobachten. "In der Ukraine herrscht Krieg", sagt Bareiss. Im Vergleich dazu dürfte die Werbekrise in Deutschland ein laues Lüftchen sein. 

"In Her Car" steht ab sofort in der ZDF-Mediathek zum Abruf bereit. Die lineare Ausstrahlung erfolgt am 27. Februar bei ZDFneo ab 23:05 Uhr.