Seit Jahren bemüht sich die ARD darum, ihr Angebot zugunsten neuer Formate zu verändern, mit denen verstärkt ein jüngeres Publikum erreicht werden soll, dem man viel zu lange keine allzu große Priorität beigemessen hat. Insbesondere beim Südwestrundfunk (SWR) versteht man sich als Treiber innerhalb des Senderverbunds. Daran ließen Intendant Kai Gniffke, Programmdirektor Clemens Bratzler und weitere Vertreterinnen und Vertreter des Senders am Mittwoch bei der digitalen Jahrespressekonferenz des SWR keinen Zweifel. 

Dass sich die Nachfragen der Journalistinnen und Journalisten im Anschluss dann aber doch zu einem großen Teil um vorwiegend fürs Lineare produzierte Formate wie die "Beatrice Egli Show" und den "Schlagerspaß mit Andy Borg" - beides unzweifelhaft schöne Erfolge in der alten Fernsehwelt -, aber auch den bis Ende 2026 verlängerten Serien-Dauerbrenner "Die Fallers" drehten, ist vermutlich sinnbildlich dafür, wie lange es braucht, bis der innerhalb der ARD angestoßene Shift, der aktuell eher einem Spagat gleicht, in der breiten Öffentlichkeit wirklich angekommen ist. 

Tatsächlich wären viele Formate, die der SWR jetzt vorstellte, noch vor wenigen Jahren im ARD-Kosmos eher nicht denkbar gewesen. Da ist etwa die für die Mediathek hergestellte Serie "30 Tage Lust", die von einem Paar der Generation Y handelt, das seine Beziehung für neue Sex-Erfahrungen öffnet, dabei aber feststellen muss, wie fraglich die schon lange bestehende Beziehung eigentlich ist. Ausgestrahlt werden soll die Produktion, ebenso wie die Serie "Bad Influencer", in der in die Welt von Social-Media-Stars eingetaucht wird, voraussichtlich im Herbst.

Für Ende dieses oder Anfang nächsten Jahres wiederum hat der SWR eine sechsteilige Sketchcomedy mit dem Arbeitstitel "Smeilingen - Don't worry, be happy!" in Aussicht gestellt, in der ein idyllischen Städtchen in der deutschen Provinz zum Schauplatz des Lachens und Schmunzelns wird. "Deutschlands bekannteste Comedians" sowie Schauspielerinnen und Schauspieler sollen nach Angaben des Senders die schrägen Einwohner darstellen - um wen es sich dabei handelt, ist bislang aber nicht bekannt. Schneller kommt indes die zweite Staffel der Comedyserie "Almania" von und mit Phil Laude auf den Bildschirm, hier soll die Ausstrahlung im April erfolgen (DWDL.de berichtete).

Vor dem Hintergrund neuer Produktionen für die Mediathek wirkt es ein wenig, als rücke der klassische 90-Minüter in den Hintergrund. Doch Programmdirektor Clemens Bratzler betonte, dass man auch weiterhin auf aufwendige, gut ausgestattete Filme setzen werde. Dazu zählt 2024 allen voran "Ein Mann seiner Klasse", die Verfilmung des autobiografischen Romans von Christian Baron, in dem es um dessen Jugend im Kaiserslautern der 1990er Jahre und seine Erfahrung von Ungleichheit ind er Gesellschaft geht. Der Film soll im Herbst ausgestrahlt und durch eine begleitende Dokumentation ergänzt werden.

Ein Mann seiner Klasse © SWR/Saxonia Media/Daniel Dornhöfer Christian (Camille Loup Moltzen) und sein Vater Ottes (Leonard Kunz) im Spielfilm "Ein Mann seiner Klasse".

Auch im Doku-Bereich will der SWR verstärkt jüngere Themen in den Fokus nehmen, darunter die Dokusoap "Tattoo Liebe", die schon im April in der Mediathek Geschichten hinter Tattoos aus drei Studios im Südwesten erzählt, sowie die für den Oktober geplante Doku "Crunch - Die dunkle Seite der Gaming-Industrie". Ende April startet zudem die dritte Staffel der Polizei-Doku "Nachtstreife". Im Juni wiederum will sich eine Dokumentation dem parteilosen Freiburger Oberbürgermeister Martin Horn widmen, der mit seinen 33 Jahren zugleich der jüngste Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt ist. Ein Jahr lang begleitete ihn ein SWR-Team auf seinem Weg, die Kommunalpolitik zwischen Rathaus und Social Media neu zu denken. 

Es wird aber auch historisch: Anlässlich des 75. Jubiläums des Grundgesetzes setzt der SWR derweil erneut auf Sandra Maischberger und den ARD-Rechtsexperten Frank Bräutigam, die am 13. Mai im Ersten in ihrem Film "In guter Verfassung" (AT) der Frage nachgehen, wie gut das Grundgesetz eigentlich noch funktioniert. Dabei kommen auch Prominente wie Jan Josef Liefers, Gerhart Baum und Altbundespräsident Joachim Gauck zu Wort. Für das vierte Quartal hat der SWR daneben eine Fortsetzung der dokumentarischen Dramaserien "14 - Tagebücher des Ersten Weltkriegs" und "Krieg der Träume 1918 bis 1939" in Aussicht gestellt. Unter dem Arbeitstitel "Die Spaltung der Welt" sollen die realen Schicksale von sechs Menschen aus Deutschland, Israel, Frankreich, der Sowjetunion und den USA erzählt und dadurch Kriegs- und Nachkriegszeit "zu einer neuen transnationalen Erzählung" verbunden werden, wie es heißt.

Gleich zwei Dokumentationen wird der SWR außerdem am 15. April für die Primetime im Ersten beisteuern. Zusammen mit dem HR und Wettermoderator Sven Plöger will man der "Macht des El Niño" nachgehen. "Wie extrem wird das Wetter, Sven Plöger?" lautet der Titel des Films, an den sich "Das geheime Wissen der Tiere" anschließt, eine Doku, die zeigt, wie Tiere auf Umweltveränderungen reagieren und wie dieses Wissen auch die Menschen schützen kann.

"Orientierung und Heimat"

Angekündigt hat der SWR darüber hinaus eine umfassende Datenrecherche, die unter der Überschrift "Notfall Rettung" steht und sich mit der Frage beschäftigt, warum die Überlebenschancen bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand in Deutschland in manchen Regionen bei 20 Prozent, in anderen aber nur bei zwei Prozent liegen. Für das Projekt hat sich das Redaktionsteam durch monatelange investigative Recherche in Zusammenarbeit mit dem SWR Data Lab eine Datengrundlage erarbeitet, deren Ergebnisse voraussichtlich Mitte Juli in einem Online-Angebot, einer Dokumentation und einem SWR Themenabend aufbereitet werden sollen.

Und dann will der SWR auch noch den Dialog mit seinem Publikum verstärken - auch hier nicht zuletzt mit den Jüngeren. So sollen Schülerinnen und Schüler in sogenannten "Newscamps" lernen, wie sie Falschmeldungen von gesicherten Informationen unterscheiden und wie Nachrichtenredaktionen im SWR arbeiten. Zudem soll die Instagram-Community von SWR Kultur durch das Projekt "My Hidden History" zu "Geschichts-Influencern" werden. 

"Wir geben den Menschen in unruhigen Zeiten Orientierung und Heimat in einer komplexen, globalisierten Welt", sagte SWR-Intendant Kai Gniffke und erklärte, der SWR leiste mit seinen Nachrichten, Dokumentationen und Reportagen "einen wichtigen Beitrag zu Demokratie und gesellschaftlichem Zusammenhalt". Die Herausforderungen sind freilich größer geworden - auch hinsichtlich der Frage, über welche Ausspielwege man das Publikum in Zukunft eigentlich erreichen will. Es geht eben doch um mehr als den "Schlagerspaß" und die "Beatrice Egli Show".