Als das Drama der Kanzler-Wahl von Friedrich Merz am 6. Mai sich dem Ende neigte und bis zu seiner Vereidigung ein bisschen Pause war im Bundestag, machte die Herrin des Hauses, Julia Klöckner, einen Schlenker zum Set von Phoenix, wo sie von Gerd-Joachim von Fallois erwartet wurde. Das „alte Schlachtross mit viel Erfahrung“ (Selbstbeschreibung) hatte da schon mehr als acht Stunden Live-Reportertätigkeit hinter sich und vier Schokoriegel intus, zeigte aber keinerlei Ermüdung. Auf das Danke der Bundestagspräsidentin für seinen „Dienst für die Zuschauerinnen und Zuschauer“ an solch einem historischen Tag reagierte Fallois blitzschnell:
„Ich hoffe, das bringen Sie an geeigneter Stelle auch an, denn es gibt ja Diskussionen um das Fortbestehen unseres Senders. Wollen wir das Beste hoffen.“
Klöckners Kompetenzen dürften in dieser Hinsicht eigentlich überschaubar sein. Denn den Ball im Spiel „Sender ärgere dich“ hat die Politik, genauer: haben die 14 Ministerpräsidenten und zwei Ministerpräsidentinnen bekanntlich den Intendantinnen und Intendanten von ARD und ZDF zugeschoben. Sie sollen im Zuge der Reform des Rundfunkstaatsvertrags entscheiden, auf welchen ihrer vier Spartenkanäle im Info-Segment sie verzichten. Von ARD alpha, tagesschau24, ZDFinfo und dem Gemeinschaftsprojekt Phoenix sollen nur zwei im linearen Fernsehen übrigbleiben.
Im schlimmsten Fall verschwindet Fallois‘ Sender von der Bildfläche. Oder im Internet.
Die öffentliche Unterstützung der Bundestagspräsidentin muss deshalb Balsam auf der Parlamentskorrespondentenseele gewesen sein. Zwei Wochen später nutzte eine Phoenix-Delegation die Gelegenheit, um Klöckner 130.000 Unterschriften der Online-Petition „Phoenix muss bleiben! – Für eine besser informierte Republik“ zu übergeben.
Gerd-Joachim von Fallois war bei diesem Akt von eher symbolischem Charakter zwar nicht persönlich zugegen. Aber in unserem „Nahaufnahme“-Gespräch macht auch er unmissverständlich klar:
„Phoenix muss bleiben, weil es ein Angebot ist, was es sonst so nicht gibt. Wir geben interessierten Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit, politische Prozesse zu verfolgen und zu verstehen, um eine eigene Willensbildung zu ermöglichen. Es wäre sehr, sehr schade, sowas auszumerzen.“
Das sehen ganz offensichtlich auch die Politiker im Bundestag so. So gehört Julia Klöckner zu den Erstunterzeichnern der Petition. Auch Bundeskanzler Merz hat sich für den Erhalt von Phoenix ausgesprochen. Warum auch nicht? Welcher TV-Sender sonst räumt großzügig Sendefläche frei für politisches Reden?
Diskussion über Einsparungen "völlig einseitig"
Je länger man mit Gerd-Joachim von Fallois redet, desto mehr gerät dieser Mann, der mit seiner Erfahrung und raumfüllenden Präsenz Phoenix schon seit 23 Jahren prägt, in Wallung. Er sagt Dinge, die man hier leider nicht oder nur abgeschwächt zitieren darf. Aus seinem Redefluss, bei dem er sich kaum stoppen lässt, wird erkennbar, wie groß seine Sorge um den Sender ist, aber auch sein Unverständnis.
„Ich verstehe nicht, warum Phoenix in Frage gestellt wird“, sagt Fallois zum Beispiel. Ihm fielen viele andere Dinge ein, „aber nicht Phoenix.“ Überhaupt, diese ganze Diskussion ums öffentlich-rechtliche Sparen läuft seiner Meinung nach „völlig einseitig“ ab. Man mache es sich zu einfach, wenn man sagt: „Wir streichen einen Sender, dann sind alle zufrieden.“ Denn in drei, fünf Jahren stünde man doch wieder an dem Punkt: Wo sparen?
Ja, wo? Fragt man den Phoenix-Korrespondenten, wo er bei diesem nicht wegzudiskutierenden Problem ansetzen würde, bringt ihn allein schon diese Frage auf die Zinne:
„Sie fragen mich nach einer Lösung des Problems? Phoenix ist nicht das Problem. Es ist seit der Gründung 1997 ein in seinem Segment sehr gut funktionierender Sender, der seinen Auftrag konsequent erfüllt und seine Qualität stark gesteigert hat.“ Es sei sogar „der einzige Sender, der wirklich Synergieeffekte zwischen den beiden großen Anstalten schafft, so wie es die Politik von den Intendanten verlangt.“
Phoenix ist nicht das Problem
Gerd-Joachim von Fallois
Man müsse stattdessen viel mehr darüber nachdenken, wie man sinnvolle Synergien schafft und einzigartige Angebote fortentwickelt. „Die Frage ist doch: Wie können wir öffentlich-rechtliches Fernsehen besser machen?“
Was die Übertragung des Kanzler-Krimis betrifft: Phoenix hätte es nach vielfacher Meinung nicht besser machen können, was sich auch in den in der Spitze 9,6 Prozent im Gesamtmarkt widerspiegelt – es war der zweitstärkste Quotentag in der Geschichte des Senders (den ersten Platz hält seit 2005 die Live-Übertragung von Joschka Fischers Auftritt vor dem Visa-Untersuchungsausschuss). Für Gerd-Joachim von Fallois war es wieder mal ein Marathoneinsatz.
Die Leistung der tagesfüllenden Sendung waren ihm zufolge aber nicht die elf Stunden on Air (den Rekord hält mit 12 Stunden die Live-Übertragung der Wahl von Christian Wulff zum Bundespräsidenten im dritten Wahlgang). Sondern: Dass sie nach 90 Minuten das gesamte geplante Programm wegwerfen mussten und bei null wieder anfingen. Er als „alter Radiomann“, geschult u.a. beim Bundeswehrradio in Andernach, läuft in solchen Momenten der Unplanbarkeit zur Hochform auf: „Wenn ich improvisieren muss, macht es am meisten Spaß.“
"Sendung geht vor Hunger"
Fun Fact zwischendurch: Solche banalen Dinge wie Hunger spielen an solchen Ausnahmetagen bei ihm übrigens „überhaupt keine Rolle“. Er macht das schon so lange, dass er weiß: „Sendung geht vor Hunger.“ Mehr als vier Mars-Riegel seien am 6. Mai nicht drin gewesen.
Die Fähigkeit zur Improvisation hat Fallois sich freilich nicht über Nacht angeeignet. Er hat sie nach den vielen Radiojobs während seines Politik-Studiums in Bonn und dem anschließenden NDR-Volontariat auch nicht erst bei Phoenix kultiviert. Sondern beim Privatsender ntv.
Zu ntv kam er 1992 der Liebe wegen, weil er in der Nähe seiner damaligen Freundin bleiben wollte. Es war zugleich ein Schritt ins Ungewisse. Nicht weil er sich in der Dame seines Herzens geirrt hätte – mit Anne von Fallois ist er seit 31 Jahren verheiratet. Nein, seinen Arbeitgeber gab es in der Form in Deutschland zuvor einfach noch nicht.
ntv war der erste Nachrichtensender in Deutschland und wurde nur wenige Wochen vor Burdas Magazin „Focus“ gegründet. Fallois kann sich noch gut an die Bonner Feste erinnern, wo alle sagten: „Ach, ntv und ,Focus‘, Totgeburten, werden niemals fliegen.“ Und was war? ntv war tatsächlich nach einem halben Jahr pleite. Aber Gründungsgeschäftsführer Karl-Ulrich Kuhlo landete einen Coup, indem er Ted Turners US-Sender CNN mit ins Boot holte – und damit ARD und ZDF ausbootete.
Diese führten Anfang der 1990er gleichfalls Gespräche mit den Amerikanern über die gemeinsame Gründung eines deutschen CNN. Doch ein öffentlich-rechtlicher Nachrichtenkanal? Das war schon seinerzeit eine verdammt komplizierte Sache, weil sich private Anbieter bedroht fühlen und notfalls vor Gericht ziehen, und kompliziert ist es geblieben. Die Rufe nach einem Ausbau von Phoenix zu einem „echten Nachrichtensender“ (etwa hier) hat das gleichwohl nicht verstummen lassen.
Dass es bisher nicht dazu gekommen ist, freut die Könige des Streckemachens wohl am meisten. Große, lange Ereignisse zu übertragen: Diese Möglichkeit hätte man bei einem Nachrichtenkanal nicht, erklärt Fallois sehr bestimmt. Er weiß ja sehr gut, wovon er spricht. Als er noch bei ntv war, gab besagter Chef Karl-Ulrich Kuhlo die Parole aus: „Nachrichten im Viervierteltakt“. Dazwischen kam Werbung. Platz für tiefgründigere Analyse: kaum möglich.
Fusion mit Tagesschau24? "Überhaupt nicht intelligent"
Nun hat sich ntv seither weiterentwickelt (wer will schon jede Viertelstunde die gleichen News sehen?) und Fallois versichert, dass er den Sender „sehr gerne guckt, alles prima, die Kollegen machen einen großartigen Job“. Trotzdem glaubt er, dass diese Schnelllebigkeit, jede zehn Minuten irgendwohin anders zu schalten, „nicht überzeugend das Beste sein muss“: „Die Zuschauerinnen und Zuschauer möchten gerne teilhaben, aber nicht durchgehechelt werden. Das war und ist die große Chance von Phoenix.“
Sagt’s und man kann sich schon zusammenreimen, wie seine Antwort ausfiele auf die Frage, welche Chancen er eigentlich tagesschau24 einräumt, dieser „Simulation eines Nachrichtensenders“ von ARD aktuell, wo Nachrichten in Dauerschleife laufen: nämlich keine allzu großen.
Von der schon oft diskutierten Fusion mit den Hamburgern hält Fallois schon mal ganz klar gar nichts. „Uralt“ sei diese Idee und seiner Meinung nach „überhaupt nicht intelligent“. Er bezeichnet sie sogar als „Kopfgeburt von Menschen, die sich nicht hineindenken, warum Phoenix vor 28 Jahren gegründet wurde“.
Für diese Menschen deshalb zur Gedächtnisauffrischung ein kurzer Blick zurück:
Der spätere WDR-Intendant Fritz Pleitgen hatte in seiner Zeit als US-Korrespondent das amerikanische Parlamentsfernsehen C-Span kennen und schätzen gelernt und war der Meinung, auch Deutschland brauche so einen Sender, der live aus den Parlamenten und von politischen Veranstaltungen berichtet. Aus dieser Idee entstand das merkwürdige Konstrukt „Ereignis- und Dokumentationskanal“ und eben kein klassischer Nachrichtensender. Der Claim der ersten Stunde „Machen Sie sich das ganze Bild“ gilt leicht abgewandelt bis heute und setzt einen Kontrapunkt zum „Hier ist was los“-Journalismus. Analyse mit Geltung über das Getümmel vom Tage hinaus: Das ist der Auftrag von Phoenix vom ersten Tag an.
Im Nachhinein kann Fallois nur sagen: „Wie schön, dass es so gekommen ist.“ Die ersten fünf Jahre der TV-Neugeburt nahm er allerdings, wie gesagt, nur aus der Distanz wahr, bei ntv.
Fallois‘ Zeit bei der privatwirtschaftlichen Konkurrenz endete, als man ihm seine Abendsendung „der Tag“ nahm. Er wäre geblieben, wenn man ihm stattdessen die Leitung der Politikredaktion angeboten hätte. Denn in ntv steckte „sehr viel Herzblut“ von ihm: „Es war eine wirklich tolle Erfahrung, diesen Sender mitzugründen, und es verbindet bis heute.“ Die Gründungscrew treffe sich alle zwei Jahre.
Letztlich ging er weg von ntv „in der Sekunde, wo RTL drohte, den Laden zu kaufen“. Im August 2002 stand der Deal. Phoenix war zu dem Zeitpunkt aus Fallois‘ Sicht „noch etwas schlapp im Auftritt“. Aber es war für ihn genau die richtige Stelle, „um den Sender auf Vordermann zu bringen“. „Das haben wir, glaube ich, alle gemeinsam ganz gut geschafft.“ Die Qualität, die sie mittlerweile lieferten, werde anerkannt.
Als Beweis führt er den Preis der Bundespressekonferenz an, den er und sein Kollege und Langstreckenexperte Erhard Scherfer 2018 entgegennahmen. Die Laudatoren sagten damals mehrfach: „Wenn es einen Sender wie Phoenix nicht schon gäbe, müsste man ihn erfinden.“
Und wenn es den Sender Phoenix tatsächlich bald nicht mehr geben sollte? Sorgt sich Fallois auch um die eigene Existenz?
„Ich bin festangestellt, ich bin ein altes Schlachtross mit viel Erfahrung“, antwortet der 1961 in Koblenz geborene Reporter. Für die vielen Kolleginnen und Kollegen, die jeden Tag leidenschaftlich für das Phoenix-Programm arbeiteten, fände er es aber „mehr als bedauerlich“, sollte der Sender aus der Medienlandschaft verschwinden.
Rente nicht in Sicht
Bis zum 1. Januar 2027 muss eine Entscheidung diesbezüglich gefallen sein, welche öffentlich-rechtlichen Programmangebote abgeschafft werden – und ob Phoenix erhalten bleibt. Wenn, ja?
Dann dürfte es sich noch eine Weile hinziehen, bis Gerd-Joachim von Fallois nur noch Strecke macht, wenn er das Grundstück seines Wochenendhäuschens nördlich von Berlin mit dem Rasenmäher traktiert. Er wird dann zwar mit 65 Jahren schon das Pensionsalter erreicht haben. Aber seine Chefinnen (diese hier sind gemeint) können sich ihn angeblich nicht wegdenken.
„Sie sagen klar, dass sie mich weiter brauchen“, sagt Fallois. Michaela Kolster und Eva Lindenau fänden im Gegensatz zu den privaten Sendern, „dass man nicht alle grauen Haare abschießen muss“. Live-Reporter wie er wüssten, worüber sie reden, sie könnten improvisieren und Strecke machen, würden manchmal nur per Augenkontakt Politiker zum Interview heranholen. „So was schafft man nicht nach zwei Jahren im Beruf.“
Zu seinem Glück ist Fallois auch noch bei einem Sender, der seine Parlamentskorrespondenten nicht nach spätestens sieben Jahren austauscht so wie die der ARD im Hauptstadtstudio in der Wilhelmstraße, wo das Phoenix-Team räumlich angedockt ist.
Apropos ARD-Hauptstadtstudio: Der Vize-Leiter, Matthias Deiß, der an jenem historischen 6. Mai im Ersten live ging, stand im Bundestag nur zwei Meter von Fallois entfernt und hielt ebenso Ausschau nach Spontaninterview-Willigen, und zwar nicht nur den üblichen Verdächtigen, die nie einen Bogen um eine Kamera machen so wie etwa Ralf Stegner von der SPD. Und man könnte denken, dass Deiß im Vorteil war als Vertreter des deutlich reichweitenstärkeren Senders. War er laut Fallois aber nicht.
„Der Kollege Deiß hatte auch viele gute Gäste. Aber an so einem besonderen Tag improvisieren alle.“ Bei Phoenix hätten sie überhaupt kein Problem, namhafte Politiker aller Couleur vor die Kamera zu bekommen. Am Tag der Bundestagswahl habe er sogar als einziger im Konrad-Adenauer-Haus Wahlsieger Friedrich Merz ans Mikrofon bekommen. „Der Kollege Deiß hatte ihn nicht.“
Alle kämen bis auf wenige Ausnahmen „sehr gerne zu Phoenix – auch weil sie wissen, dass wir Zeit für die Diskussion, den Austausch von Argumenten haben.“
So möge es auch weiter bleiben.