Am Donnerstag lief die allerletzte Ausgabe von „Scobel“, dem Wissenschaftstalk auf 3sat. Den Abschiedsworten des Gastgebers war zu entnehmen, dass er nach 17 Jahren nicht unbedingt freiwillig aufhört. Aber mit 66 Jahren ist das öffentlich-rechtliche Pensionsalter nun mal erreicht, da kann man nichts machen – außer sich etwas für die Finissage zu wünschen. Das laut Gert Scobel „nicht zufällig“ gewählte Wunschthema der Sendung war: „Wissenschaft in der Vertrauenskrise.“

Man übertreibt nicht, wenn man festhält, dass es ein Lebensthema für ihn geworden ist.

Seit 2008, ach was, eigentlich schon davor beim „Scobel“-Vorgänger „Delta“ bemühte sich Gert Scobel, Vertrauen und Verständnis für die Forschung und die Forschenden aufzubauen. Gemeinsam mit seinen Gästen machte er die verschlungenen Pfade von Philosophie, Biotechnologie, Psychologie, Genetik, Neurowissenschaft und weiteren Disziplinen für wissbegierige Zuschauer begehbar, ab 2019 auch auf YouTube.

„Scobel“ war dabei nie eine Sendung, bei der man das Hirn ausschalten konnte, im Gegenteil. Die FAZ bezeichnete sie einmal sehr treffend als „die Intensivstation unter den Wissenschaftssendungen“, nicht ohne anzumerken, dass sie „im Grunde eine Zumutung“ sei. Vier Leuten beim Denken und Aussprechen ihrer Gedanken zuzuschauen: „Der Wahnsinn, dass es so was noch gibt!“

Nun, es wird diesen „Wahnsinn“ noch weitergeben, nur eben ohne Gert Scobel, den (sorry, Günther Jauch) hellsten Kopf unter den Fernsehmoderatoren. Das ergab zumindest vor Jahren ein von den klugen Frankfurter Zeitungsmachern entwickelter „Intelligenz-Check“. Wie beim nicht minder klugen DWDL.de exklusiv gemeldet, werden die Medizinethikerin Alena Buyx und die Journalistin Stephanie Rohde „Scobel“ fortführen, in ähnlicher Form, aber unter dem Namen „Nano Talk“.

Gert Scobel © ZDF/Ben Knabe
Die Frage ist: Kann man so einen Gesprächskreis dem Publikum, das ja schon bei „Scobel“ nie in Massen zuströmte, überhaupt noch zumuten? In diesen Zeiten, wo alles, auch die Nachrichten, niederschwellig und leicht konsumierbar sein muss?

Man muss! Mehr denn je!

So lässt sich in etwa die lange Antwort von Gert Scobel zusammenschnurren, als man ihn am Abend vor seinem Aufbruch in die Ferien erreicht. Es ist die letzte Möglichkeit, um mit „Mr. 3sat“ – so hat ihn seine Senderchefin Natalie Müller-Elmau getauft – unkompliziert zu kommunizieren, bevor er sich ins französische Nirgendwo ohne Internet und mit nur miserablem Mobilfunkempfang verabschiedet.

Besagte letzte Sendung ist da schon längst im Kasten. Wer sich wundert, dass in der Runde Alena Buyx munter mitdiskutierte über die „intensiven Erschütterungen“ der Wissenschaft im Verlauf der Pandemie, aber Gert Scobel die ehemalige Vorsitzende des Deutschen Ethikrats mit keinem Wort als seine Nachfolgerin benannte: Der Talk fand vor Monaten statt, zwischen Bundestagswahl und Umbau des Wissenschaftsministeriums im Kabinett Merz und noch vor der Universitätskrise in den USA.

Bis vor drei Jahren lief „Scobel“ stets live, was im Talk-Gewerbe eher ungewöhnlich und wohl der recht frühen Sendezeit um 21 Uhr zuzuschreiben ist. Dass ausgerechnet das Finale mit besonders großem Vorlauf aufgezeichnet wurde, findet Gert Scobel unglücklich. Trotzdem hat der „hochaktuelle Inhalt“ für den Namensgeber der Sendung nichts an Brisanz verloren: „Was wir jetzt sehen, ist im Grunde genommen nur ein öffentlich werden einer Entwicklung, die vor einigen Jahren begann: nämlich die massive Diskreditierung von Wissenschaft.“

Mit Blick auf die USA, wo er Anfang der 1980er seinen Master in Philosophie und Theologie machte, sagt Scobel, dass nicht nur Donald Trump die Wissenschaft „wenn nicht vernichten, so doch stark bremsen“ wolle: „Das will auch die AfD.“ Der neuen Bundesregierung aus CDU und SPD unterstellt er zwar keine „anti-wissenschaftliche Agenda“, bemängelt aber, dass „nicht angemessen“ reformiert werde, was dringend nötig sei. Der Lehrermangel an den Schulen, die prekären Arbeitsverhältnisse an den Universitäten und Hochschulen, die Forschungsgelder, die jetzt systematisch gestrichen würden: „Das ist ein Desaster auch hier bei uns Deutschland. Unsere Bildung ist in einem miserablen Zustand.“

Und unser Bildungsfernsehen ihm zufolge ebenso. Aber dazu später mehr.

Je länger man Gert Scobel also zuhört, merkt man ihm an, wie sehr ihn diese Entwicklungen besorgen und er sich auch persönlich angegriffen fühlt. Er ist ja nicht nur einfach Fernsehmoderator und Wissenschaftsjournalist. Er ist selbst Wissenschaftler, mit Professorentitel sogar (von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg). Und wer weiß, hätte es das Schicksal anders mit ihm gemeint, dann hätte er nicht in Deutschland die Fernsehlaufbahn eingeschlagen, sondern dozierte dort, wo es unseren Ex-Vizekanzler (nach diesem Medienbericht) hinzieht, in Berkley, California.

An der US-Elite-Universität setzte Scobel sein bei den Frankfurter Jesuiten begonnenes Studium (mit Berufsziel Priester!) Anfang der 1980er fort. Der interfakultäre Austausch, nicht zuletzt der damals noch hippieske kalifornische Vibe nahmen ihn so sehr gefangen, dass er am liebsten für immer geblieben wäre. Doch der Vater lag schwerkrank in Aachen im Krankenhaus, er musste zurück. In den Jahren darauf versuchte er mehrmals sein Glück bei der Greencard-Lotterie, ohne Erfolg.

Inzwischen – das nur am Rande – ist Gert Scobels American Dream endgültig geplatzt. Die USA sind für ihn zwar „immer noch ein großartiges Land“, aber „sehr problematisch“ geworden. All die Fentanyl-Geister, die er bei einer Reise 2023 auf den Straßen von San Francisco sah, schockierten ihn nachhaltig, sodass er nicht vorhat, in nächster Zeit wieder dorthin zu reisen.

Eine Erinnerung an die schöne Studentenzeit in Kalifornien glitzert aber noch heute in seinem linken Ohrläppchen. Er ließ es sich stechen, weil er es damals cool fand und nicht um ein Statement zu setzen. In Deutschland erst lernte er, wie man den Brilli lesen kann: Dass er schwul ist. Was er nicht ist. Mit der Bestseller-Autorin Susanne Fröhlich („Moppel-Ich“), die er im Volontariat beim Hessischen Rundfunk kennenlernte, hat er jedenfalls zwei Söhne, mit einer zweiten Susanne ist er liiert.

Der Ohrschmuck in Kombination mit der von ihm dauerhaft getragenen Aids-Schleife wurde für Scobel zum Problem, als er 2001 als Anchorman beim ARD-„Morgenmagazin“ anfing. Es gab wüste Publikumsbeschimpfungen. Der WDR wehrte alles ab, was er dem Sender noch heute zugutehält.

Die News-Episode im ARD-Hauptprogramm war 2003 vorbei. Beim Nischensender 3sat gab es bald noch mehr zu tun als nur die Moderation der täglichen „Kulturzeit“, die die Gegensätze Feuilleton und Fernsehen vereinte und deren prägendes Gesicht Scobel von Anfang an war. 1998 hatte er parallel das Wissenschaftsmagazin „nano“ mitgegründet. 2004 war dann die Premiere von „delta“ (über Immanuel Kants Urteilskraft), das die Grundidee vom späteren Format „Scobel“ durchexerzierte: ein Thema aus Sicht verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen in Filmen und Gesprächen diskutieren.

Unterschiedliche Perspektiven an einem Tisch

Gleich die erste „Scobel“-Sendung am 17. April 2008 flog ihm um die Ohren. Es ging um Kindesmissbrauch. Im Vorfeld gab es juristische Drohungen aus dem Umkreis pädophiler Netzwerke. Die Kritiker, auch die im eigenen Haus, warfen ihm „Bild“-Zeitungsschmuddel vor. Heute dürften sie schlauer urteilen. Denn mit dem Thema war der Wissenschaftstalker und Redaktionsleiter seiner Zeit voraus, wie so oft. Künstliche Intelligenz etwa, die Scobels WDR-Kollege Ranga Yogeshwar jahrelang vergeblich im Talk-Fernsehen unterzubringen versuchte, wurde bei ihm auf 3sat schon früh von allen Seiten besprochen.

„Ich bin sehr dankbar, dass ich die Chance hatte, Themen umzusetzen, die auf den ersten Blick total nerdig waren, aber auf den zweiten top aktuell“, sagt Gert Scobel. Er zeigt sich auch „wirklich froh“, dass sie es über all die Jahre beibehalten hätten, seine Gäste „nicht gegeneinander zu hetzen“, wie das in den meisten Polit-Talkshows der Fall sei, sondern miteinander über ein Thema nachzudenken: „Ein Biologe denkt anders als eine Physikerin oder ein Philosoph. ,Scobel‘ hat solche unterschiedlichen Perspektiven an einen Tisch gebracht, um das Gemeinsame zu suchen.“

Und das sehr zivilisiert. Wie neulich zum Beispiel bei „Markus Lanz“ das Thema Meinungsfreiheit diskutiert wurde, unterscheidet sich doch sehr zur „Scobel“-Ausgabe „Verrohter Diskurs“. Gert Scobel würde aber nicht so weit gehen, seinen Talk als bewusste Anti-These zu bezeichnen. Den anderen Sendungen wirft er gleichwohl vor, unsere verdammt komplexe und schwierige Wirklichkeit von vornherein zu vereinfachen oder sogar zu leugnen. Er dagegen habe immer dazu beitragen wollen, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer die nicht aufzulösende Komplexität der Zusammenhänge wahrnehmen und besser verstehen. Ja, dass sie schlauer werden als vorher.

Ob ihm das immer gelungen ist, bezweifelt Gert Scobel selber und gibt zu, dass manche Sendung „an der Kante dessen war, was man im Fernsehen machen kann“, weil das Thema dann doch zu schwer war oder viele Zuschauer schlicht nicht interessierte. An seiner Devise lässt er indes nicht rütteln: „Leichte Überforderung ist besser als permanente Unterforderung.“ Und er untermauert sie sogleich wissenschaftlich mit der Theorie der Flow-Erfahrung von Mihaly Csikszentmihaly: In den Zustand dieses Glücksgefühls komme man nicht, wenn man sich systematisch unterfordere.

„Scobel“ oszillierte zwischen Unter- und Überforderung und stieß zum Erstaunen des Moderators gerade bei nicht-akademischen, migrantischen Kreisen auf großes Interesse, um sich zu bilden. Dass die Filmsprache über die Jahre (mit Zutun der Kölner Produktionsfirma Gruppe5) frischer wurde dank jüngerer Autoren und weniger Zugriff auf abgestandenes Archivmaterial, dürfte seinen Teil dazu beigetragen haben.

 

"Wissenschaft wird von den Verantwortlichen nach wie vor medial nicht ernstgenommen."

 

Nichtsdestotrotz könnte es mit dem Flow bald vorbei sein. Denn bekanntlich bangt 3sat um sein Nischendasein. Deshalb muss man den klugen Kopf von 3sat unbedingt auch diese Frage stellen:

Ist es klug, 3sat abzuschaffen, Herr Scobel?

„Lassen Sie uns lieber über das reden, was mit dem Sender abgeschafft werden würde“, antwortet er, nämlich „die kritische, komplexere Befassung mit Kultur, Gesellschaft, Wissen und Wissenschaft“. Klug wäre, das Gegenteil davon zu machen:

„Wenn ich es ernst damit meine, dass Deutschland eine Wissensgesellschaft ist, deren Hauptressource die Verarbeitung und Produktion von Wissen ist, dann machen wir mit der Abschaffung von 3sat einen gigantischen Fehler.“ Denn mit guten Wissenschaftssendungen könne man bei jungen Leuten Neugier wecken und etwas bewegen. Er selber sei großgeworden mit Hoimar von Ditfurth und Heinz Haber. Deren Fernsehsendungen hätten in ihm ein Interesse an wissenschaftlichen Fragen getriggert, ohne dass er jemals vorhatte, selber ins Fernsehen zu gehen.

Natürlich weiß Scobel aber auch, dass bei 3sat insgesamt nur sehr wenige Eigenproduktionen und sehr viele fremdproduzierte Wiederholungen laufen und der Sender damit weit entfernt davon ist, ein Kultur- und Wissenschaftsvollprogramm zu sein, das zweifellos erhalten werden muss.

Andererseits: Wenn es 3sat nicht mehr gäbe, würden die anderen Fernsehsender dann mehr Wissenschaft oder Kultur bringen?

Gert Scobel © ZDF/Ben Knabe
Mr. 3sat hat da große Zweifel – auch wenn ARD und ZDF darauf kontern würden, dass sie gerade in den letzten Jahren sehr wohl eine Menge Wissenschaft machen. Doch für Scobel sind die meisten Sendungen weit davon entfernt, die tatsächliche Komplexität der Sachverhalte und echte Wissenschaft zu vermitteln. In den Nachrichten etwa komme Wissenschaft nur vor, wenn jemand gestorben ist, den Nobelpreis bekommen hat oder wenn Spatenstich für ein neues Forschungszentrum ist. Und so bleibt er bei seiner eigenen Analyse: „Wissenschaft wird von den Verantwortlichen nach wie vor medial nicht ernstgenommen.“

Warum das so ist? Scobel erklärt es damit, dass argumentiert werde: Das vergrault die Zuschauer, das ist viel zu kompliziert. „Klar, wenn ich das Fernsehpublikum jahrelang unter der Messlatte durchlaufen lasse, gewöhnt es sich irgendwann daran.“

Das soll aber nicht heißen, dass man eine Sendung wie „Scobel“ heute niemandem mehr zumuten kann. „Das Gegenteil ist der Fall“, sagt Scobel sehr bestimmt, „und es ist Zeit, das in größerem Umfang zu testen.“ Auch seinem YouTube-Kanal habe niemand – bis auf seine 3sat-Chefin – Erfolg zugetraut. Mehr als 5.000 Abonnenten im ersten Jahr würde er, der alte, weiße Mann in dem jungen Medium nicht reißen können, sagte man ihm beim ZDF. Tatsächlich schaffte er die schon nach anderthalb Wochen.

Gert Scobel ist sich also sicher: „Es gibt eine Nachfrage. Und: Man kann mit Wissenschaft sogar junge Leute erreichen.“

Apropos, was will er selbst eigentlich noch so erreichen? Dass er sich nur noch dem Savoir Vivre hingibt, Bücher liest, meditiert und Klavier spielt, kann man sich bei Gert Scobel nicht vorstellen. In der Tat denkt er nicht daran, mit der Vermittlung von Wissenschaft aufzuhören.

Seinen vom ZDF Ende 2024 eingestellten YouTube-Kanal (auch das war, wie er betont, nicht seine Idee) will er auf eigene Faust fortführen, gemeinsam mit Friedrich Küppersbusch als erfahrenen Produzenten an seiner Seite. Das Geld kommt von der Stiftung Okeanos von Dieter Paulmann und von der Udo-Keller-Stiftung Forum Humanum (die übrigens auch das von Scobel redaktionell mitgestaltete Internationale Festival der Philosophie phil.Cologne unterstützt). Anfang September soll es losgehen.

Wenig davor, am 18. August, haben Scobels Nachfolgerinnen bei 3sat Premiere. Über das neue Konzept des Talks kann und will er sich nicht äußern, auch weil er an der Neuaufstellung nicht beteiligt war. Was er aber weiß – er hat Alena Buyx und Stephanie Rohde schließlich vorgeschlagen: „Beide sind herausragende Köpfe, die auf unterschiedliche Weise der Sendung jeweils einen neuen Drive und einen neuen Stil geben. Und das ist auch richtig und gut so.“

Jetzt muss es nur noch mit 3sat richtig und gut werden.