In der auch hier bei DWDL.de besprochenen, fabelhaft selbstironischen Serie „Call My Agent Berlin“ ist als Einstiegsszene zu bestaunen, wie dem sich selbst spielenden Moritz Bleibtreu die Sicherungen durchbrennen, als er in der Talkshow des sich ebenso selbst spielenden Johannes B. Kerner über seinen neuen Film sprechen soll. Das nennt man Marketing, eigentlich normal business für Schauspieler. Aber für Bleibtreus kapriziöses Alter Ego ist es „eine der blödesten Sachen“, die er in seinem Beruf machen müsse: sich mit Journalisten zusammenzusetzen, die seine Filme noch nicht mal gesehen hätten. Er habe „einfach keinen Bock mehr auf diese künstliche Scheiße“.

Sollte nur ein Funken Realität in dieser Fiktion stecken, dann ist Torsten Koch wirklich nicht zu beneiden.

Als Chief Marketing Officer der Münchner Constantin Film gehört es zu seinen Aufgaben, die eigenen Stars respektive diejenigen, die es werden sollen, mit der Presse zusammenzubringen. Die Welt muss doch vom neuen Film, der neuen Serie, der neuen Show aus dem Constantin-Kosmos erfahren.

Nur was, wenn die Stars Probleme machen, so wie Moritz Bleibtreu in besagter (übrigens nicht von der Constantin Film produzierten) Serie? Wie wichtig sind die klassischen Medien in der PR-Strategie? Erzeugen Influencer, Booktoker, Creator mit Reels nicht deutlich mehr Buzz? Gibt es ein Schema F, nach dem der Marketingchef der Constantin Film vorgeht?

Überhaupt: Was hält den 54-Jährigen schon so ungewöhnlich lange in dieser Firma, in der er nächstes Jahr am 1. April genau 30 Jahre Jubiläum haben wird?

Torsten Koch © Mathias Botor
Damit Torsten Koch ein bisschen Marketing mal in eigener Sache betreiben kann, muss erst eine Terminkollision überwunden werden. Sönke Wortmanns Zug nach Berlin hat sich verspätet (Boah, Bahn!), damit auch die DCP-Abnahme seines Films „Die Ältern“ für den Verleih, bei der der CMO der Constantin Film dabei sein muss. No problem, wir vertagen unser Gespräch auf den Dienstagnachmittag dieser Woche.

¡Hola!, meldet sich Koch nun aus Palma de Mallorca. Am Morgen ist er im 17. Bundesland der Deutschen gelandet, wo die Dreharbeiten für die Constantin-Komödie „Der perfekte Urlaub“ begonnen haben. Mit ihr setzt Bora Dagtekin die Erfolgsgeschichte „Das perfekte Geheimnis“ aus dem Jahr 2019 fort. Leider zeigt sich Mallorca wettermäßig gar nicht von seiner perfekten Seite.

Zum Beweis schwenkt Torsten Koch sein Smartphone zum Fenster hinaus. Dramatischer Himmel. Regen in Bindfäden. Zwangspause für die Crew. Gelegenheit, um in Ruhe in seine Vita abzutauchen.

Leitung Marketing, Leitung Presse, Director Marketing & Publicity, ab 2008 Geschäftsführer für Verleih, Marketing & Publicity, seit 2024 Chief Marketing Officer: Kochs Bezeichnungen wechselten über die Jahre, sein Verantwortungsbereich wuchs. Er selbst glaubt allerdings nicht, dass man sich über den Titel auf der Visitenkarte definiert, sondern über das Auftreten und Verhalten: „Ich denke, bei mir weiß nach fast 30 Jahren jeder, dass ich bei der Constantin Film bin.“ Aber hallo!

Jeder und jede in der Filmbranche muss Torsten Koch einfach kennen. Er ist „der heimliche Dirigent jeder Constantin-Premiere“ – eine Zuschreibung, die ihm gefällt. Er inszeniert all die Events um die Filme und sorgt am Roten Teppich dafür, dass alle bitte die Interviews geben, die sie geben sollen. Für den perfekten fotogenen Auftritt geht er schon mal hin zur Schauspielerin, zum Regisseur, um Frisur und Klamotte zu richten. So wie vorigen Sonntag, als die Constantin Film gemeinsam mit Paramount im Zoopalast Berlin die Teenie-Bestseller-Verfilmung „All das Ungesagte zwischen uns – Regretting You“ in einem Special Screening aufführte, ganz up to date auch im Beisein von zahlreichen Booktokern und Creators.

Seine Arbeit beginnt indes schon weit vor dem Schaulaufen. Noch während der Dreharbeiten wirft Torsten Koch die PR-Maschine an. Schickt Pressefotografen und das eigene Social-Media-Team ans Set. Führt sogar, wie vorigen Freitag, höchstpersönlich Kinobetreiber nach Frontenhausen in der niederbayerischen Pampa, die eine der begehrten Komparsenrollen in der Verfilmung des zehnten Eberhofer-Krimis, „Steckerlfischfiasko“, ergattert haben. Nach der letzten Klappe geht’s dann so richtig los mit der Vermarktung. Plakatshootings, Kurzvideos, Interviews. Wobei der meiste Social-Media-Content erst nahe am Kinostart entsteht, damit man noch auf Trends reagieren kann (aktuell etwa auf das Polaroid-Foto-Phänomen auf TikTok). Für die „Steckerlfischfiasko“-Truppe bedeutet das: Oiso, vaflixt eigspannt im Herbst 2026.

"Vertrauen über viele Jahre erarbeitet"

Aber, mei, machen die Stars denn das alles so problemlos mit?

Er habe bei der Constantin Film schon mit „vielen wunderbaren Filmemacher*innen und Schauspielenden zusammenarbeiten und einige Stars auch ein Stück begleiten dürfen“, antwortet Koch. Das sei in seinem Job „natürlich hilfreich“. Denn wenn er sage „Ich bräuchte noch ein Foto“ oder „Würdest du bitte ein Interview oder einen O-Ton für XY machen“, dann werde das „meistens auch gemacht, weil ich mir das Vertrauen über die vielen Jahre erarbeitet habe“.

Das Wörtchen „meistens“ lässt Interpretationsspielraum zu. In die Gerüchteküche lässt sich Koch freilich nicht hineinschauen. Man müsse heutzutage halt viel machen, damit man im Überfluss an Informationsangeboten auffällt. „Schauspielende, Filmemacher*innen wollen schließlich, dass ihr Film oder ihre Serie gesehen werden. Dafür muss man Werbung machen. Es ist einfach Bestandteil des Berufs" (Host mi, Moritz Bleibtreu?).

Torsten Koch © Torsten Koch

Und dann zitiert er seinen ehemaligen Boss: „,Rappeln gehört zum Geschäft‘, hat Bernd gesagt. Das gilt heute umso mehr.“

Dieser Bernd mit Nachnamen Eichinger war es, der Torsten Koch überhaupt erst in die Filmbranche brachte, nach einer schicksalhaften Begegnung im Hotel.

1988 kaufte Bernd Eichinger in Köln ein Grundstück, um einen der schönsten und größten Filmtempel Deutschlands errichten zu lassen. Wenn er in der Stadt war, um den Baufortschritt zu inspizieren, stieg er häufig im Maritim ab, auf der obersten Etage in Zimmer 704 mit dem schönen Domblick. Dort ließ sich Torsten Koch, dessen Vater Baumaschinen verkaufte und die Mutter im Pflegedienst arbeitete, gerade zum Hotelkaufmann ausbilden.Schon im Dezember 1991 (Boah, ging Bauen damals zügig!) war glamouröse Eröffnung des Cinedom. Das Buffet bestellte der Constantin-Film-Boss im Maritim. Und keine fünf Jahre später übergab er dem engagierten Hotelmitarbeiter von einst den Schlüssel gleich fürs ganze Kino.

Mit nur 25 Jahren wurde Torsten Koch Betriebsleiter der Cinedom Constantin Kinobetriebe GmbH. Zur Geschichte gehört dazu, dass er nicht sofort zugegriffen hat. Denn inzwischen lebte und liebte der gebürtige Kölner in München. Tagsüber büffelte er für das Management-Trainee-Programm bei einem Dienstleister für Berufsbekleidung und Miettextilien. Bis spätnachts jobbte er im Kino am Isartor, dessen Theaterleiter er 1993 wurde. Im Jahr drauf, bei der Premiere von „Der bewegte Mann“ im Maxx, kreuzten sich wieder die Wege mit Bernd Eichinger und dieser fragte: „Was machst du denn hier? Warum bist du nicht in meinem Kino in Köln, das ist doch deine Heimatstadt?“

München verlassen, echt jetzt? Ein gutes Jahr später hatten ihn der „Bernd“ und Verleihchef Thomas Peter Friedl dann doch überredet. Die Aussicht, den Heimatverein wieder vor Ort im Müngersdorfer Stadion anfeuern zu können – wer kann da schon nein sagen? Die Cinedom-Episode mit erinnerungswürdig-exorbitanten Premieren (wie das Klingonen-Abenteuer „Star Trek: Der erste Kontakt“, über das das „RTL-Nachtjournal“ berichtete) endete für Torsten Koch allerdings schon nach drei Jahren. 1999 ging die Constantin Film an die Börse. Eichinger wechselte in den Vorstand und nahm Friedl mit. Für die Vakanz in Verleih und Marketing erkoren sie: Torsten Koch.

Also zog dieser wieder an die Isar zurück und lernte den neuen Job intensiv by doing. Ein Learning: „Jede Produktion ist anders. Mit jedem neuen Film, jeder neuen Serie und jeder neuen Show schlagen wir bei der Constantin Film ein neues Kapitel auf, für das wir das Drumherum neu denken müssen. Da läuft nichts automatisiert ab. Das macht meine Arbeit hier auch nach so vielen Jahren spannend.“ Auch die enge, kreative Zusammenarbeit mit den anderen „Constantinern“ mache ihm viel Freude und motiviere ihn jeden Tag.

Unter den ersten Filmen, die Torsten Koch im Verleih begleitete, war das Dödel-Drama „American Pie“ und dessen deutsches Pendant „Harte Jungs“ mit Axel Stein. Mit Bully Herbigs All-Time-Knaller „Der Schuh des Manitu“ 2001 bekam die Constantin Film ordentlich Aufwind und Torsten Koch viel zu tun. Nur einmal, 2008, war er kurz vor dem Absprung. Er hatte ein Angebot für die Geschäftsführung des deutschen Büros eines US-Majors. Eichinger bekam davon Wind. „Du gehst nicht“, bestimmte er, „die Constantin ist eine Familie, und die verlässt man nicht.“ Fürs Bleiben wurde Koch mit der Verleihgeschäftsführung belohnt. Eichingers Team-Gedanken halte auch der aktuelle Vorstandsvorsitzende, Oliver Berben, hoch, lobt Koch.

Eichingers Geist ist immer noch da

Als der Patriarch 2011 überraschend starb, war das natürlich für alle in der Constantin-Familie ein Schock. Das Unternehmen war zum Glück auf mehreren Füßen gut aufgestellt. Mit der Constantin Entertainment kam der Bereich Fernsehen dazu. Seit 2017 gibt es das Vorstandsressort TV, Entertainment und Digitale Medien. Alle Plattformen werden bedient und geliebt – auch wenn die größte Liebe Torsten Koch zufolge nach wie vor dem Kino gilt: „Jemand hat mal bei uns gesagt: ,Die schönste Art des Crowdfundings für die Constantin ist ein voller Kinosaal.‘ Stimmt! Die Magie des Kinos kann man nicht zuhause nachstellen.“

Das Porträt des Kinomagiers Bernd Eichinger, das ihn mit dem Ehrenpreis des Deutschen Filmpreis zeigt und bei der Trauerfeier von Pater Kern in der Kirche St. Michael in München gesegnet wurde, hängt im Treppenhaus der Constantin Film. „Es ist immer ein schöner Anblick, wenn man zur Arbeit kommt oder das Büro wieder verlässt“, sagt Koch. Überhaupt: „Der Geist von Bernd ist immer noch da.“ Sie sprächen in der Firma oft über ihn und erinnerten sich an frühere Zeiten, auch wie riskant manche Unternehmungen gewesen seien. „Aber das Risiko muss man manchmal eingehen, sonst entsteht nichts Großes, nichts Neues.“

Mit Geld lässt sich bekanntlich Risiko abfedern. Gilt die Rechnung: Je mehr Marketing-Budget, desto mehr Erfolg an der Kinokasse, beim Streaming oder der TV-Einschaltquote? Da muss Torsten Koch lachen: „Leider nicht, sonst würden wir sie immer wieder anwenden.“ Sie hätten Kinofilme mit großen Werbeetats gehabt, „die leider nicht so funktionierten, weil sich die Zuschauer*innen leider verweigerten oder weil das Thema einfach nicht relevant war.“ Welche das waren? Koch nennt lieber „ein positives Beispiel“, bei dem der Erfolg nicht erwartbar war: „Pumuckl“, Kochs Held aus Kindertagen.

 

"Marketing ist wie ein Blumenstrauß. Man muss immer verschiedene Blumen reinstecken."

 

2023 brachte die Constantin Film die ersten drei Folgen der von der Neue Super produzierten RTL-Serie ins Kino „mit sehr geringem Werbebudget“. Mehr als 500.000 Besucher, obwohl der Kobold schon wenig später als Serie bei RTL lief – „das war schon ein tolles Ergebnis“ und ermutigte zum eigenständigen Kinofilm „Pumuckl und das große Missverständnis“ (Start: 30.10.). Im Vergleich zu den Kinobesuchern von „Das Kanu des Manitu“ ist das freilich bescheiden.

Torsten Koch © Mathias Botor
Als Bully Herbig die Fortsetzung vom „Schuh des Manitu“ ankündigte, prasselten sofort „wahnsinnig viele Presseanfragen“ auf Torsten Kochs Team ein. Mit Bully einigte man sich auf ein „eigentlich sehr untypisches Kinofilm-Herausbringungskonzept“, das sich in dem Bully-Satz manifestiert: „Jetzt lasst mich den Film doch erst mal drehen, dann schauen wir ihn uns gemeinsam an, und dann reden wir drüber.“ Bei der Filmpresse kam das gar nicht gut an, bis zur Premiere keinen einzigen Fitzel Information zu bekommen, geschweige denn vorab den Film.

Aber es hat trotzdem funktioniert. 4,6 Millionen „Kanu“-Besucher, Stand heute. Darunter ziemlich gesichert: die Generation TikTok. Seit Juni nutzt die Constantin Film als erstes deutsches Produktionsunternehmen das TikTok-Werbe-Feature „Spotlight“. Die Daten zeigten, dass Memes von „Der Schuh des Manitu“ bei den Jüngeren voll im Trend sind. Entsprechend richteten sie das Marketing nicht nur auf die Nostalgiker aus, und zwar mit möglichst kurzen, lustigen und ungewöhnlichen Spots, bei denen man für das Cinemascope-Feeling das Handy sogar umdrehen muss. All das nur, damit die junge Zielgruppe „nicht sofort wegswipet, sondern dranbleibt – und im besten Fall ins Kino geht.

Preislich attraktiv dürfte das TikTok-Tool auch sein, schließlich kostet die Verknüpfung mit User Generated Content weniger als teure Influencer, oder? Torsten Koch formuliert’s blumig: „Marketing ist wie ein Blumenstrauß. Man muss immer verschiedene Blumen reinstecken. Spotlight ist eine davon.“

Und was ist, last but not least, mit der Blume Talkshow?

Zu Torsten Kochs Bedauern gibt es immer weniger Formate, wo Kino thematisch stattfinden kann. Die klassischen TV-Talkshows findet er deshalb nach wie vor wichtig, weil man dort ausführlicher besprechen könne, warum ein Film ist, wie er ist, oder was besonders an dem Film, an der Rolle ist und warum man ins Kino gehen soll.

Irgendwann möchte der Marketingexperte mal einen Podcast machen, in dem er mit spannenden Filmleuten über alles redet, außer über das, was sie gerade als Film eigentlich promoten wollen. Am Schluss würde er dann so was sagen wie: „Mensch, Sebastian, jetzt haben wir über so viele Sachen gesprochen, aber gar nicht über deinen neuen Film. Wie heißt der denn? Ah, ,Steckerlfischfiasko‘. Na, vielleicht reden wir das nächste Mal drüber. Bis dann!“

So ein Podcast wäre auf jeden Fall ein sehr untypisches Kinofilm-Herausbringungskonzept.