Bedeutet Ruhestand nicht Entspannung pur mit langem Ausschlafen und Bummeln in den Tag? Sollte sich der letzte Lebensabschnitt nicht wie ein nie endender Urlaub anfühlen? Ja, haben Rentnerinnen und Rentner nicht ein Recht auf Faulsein im Liegestuhl? Pffff, für diese Art von Ruhestand hat Trish Osmond schlicht keine Zeit. Wann immer in Spots, Shows und Sketchen der Typ putzige Großmutter gesucht wird, steht die 81 Jahre alte Dame parat.

So war es zuletzt an einem Freitagabend im Oktober, als die ARD die Halbzeit des Länderspiels Deutschland-Luxemburg mit einer bewusst inszenierten „Programmstörung“ bespielte:

Eine traurig und stumm im Ohrensessel sitzende Oma war da zu sehen, während im Background Carolin Kebekus und Peter Maffay zur Tabaluga-Ballade über Einsamkeit sangen. Es ist ein so gar nicht lustiges Thema, bei dem „Germany’s funniest Granny“ (so nennt sich Trish Osmond auf TikTok) mitreden kann, dazu später mehr.

Trish Osmond / Was tun gegen Einsamkeit? © ARD/Screenshot

Solche eher flüchtigen TV-Auftritte bleiben jedenfalls irgendwie haften und festigen Trish Osmonds Ruf als Komparsenikone. Ihre Filmografie reicht locker für mehrere Leben. Köln, Berlin, München, London, Lissabon: Die Lady mit dem graumelierten Haar ist viel unterwegs. Dabei betreibt sie die Schauspielerei erst seit Rentenantritt professionell und das auch noch fern ab von ihrer englischen Heimat, wo sie im vorletzten Kriegsjahr geboren wurde.

That’s rather strange. How come?

Trish Osmonds nassforsche Selbstanalyse per Video-Schalte aus ihrer Senioren-WG in Mönchengladbach geht so: „Wer einmal mit mir gearbeitet oder mich gesehen hat, kann mich nicht vergessen.“ In der deutschen Filmbranche sei sie, „die verrückte alte Engländerin“, die Einzige mit dem „komischen Namen“ Trish. Das ist abgeleitet von Patricia und offenbar dauerhaft einprägsam. Caster wüssten bei ihr sofort: Die kann das. Die ist zuverlässig. Die macht, was wir wollen. Die nehmen wir.

Von Annette Frier bis Benedict Cumberbatch

Wer diese crazy Trish nicht (mehr) auf dem Schirm hat – hier eine unvollzählige Auffrischungshilfe in chronologischer Reihenfolge seit 2013, dem Beginn ihrer Karriere vor der Kamera:

Für TV-Anwältin Annette Frier läuft sie in „Danni Lowinski“ mehrmals durch die Kölner Einkaufspassage. In der Neuauflage von „Deal or no Deal“ ist sie Wayne Carpendales am deutschen Pop-Kanon scheiternde Kandidatin. Sie geht bei Sat.1 „Auf Streife“ und blödelt in „Zimmer frei!“ im WDR. Im Film „Aspach“ flüstert sie als Dorfschlampe viel jüngeren Männern Unanständiges ins Ohr. Im Hape-Kerkeling-Biopic „Der Junge muss an die frische Luft“ schaut sie aus dem Fenster. In der ZDF-„heute-show“ synchronisiert sie regelmäßig die Queen mit stiff upper lip. Als Her Majesty gibt sie Daniel Donskoy in einer really funny MAZ zum Deutschen Filmpreis die Order, Angela Merkel zu erpressen, damit sie die Briten wieder in die EU hineinlässt. Im Weihnachtsfilm „Ein Junge namens Weihnacht“ ist sie die Alte mit der Gans unterm Arm, im Horrorfilm „Beatrice“ die Alte vom Hot-Dog-Stand, die mit den Würstchen Leute umbringt . . .

Trish Osmond © Carmen Körner
Enough? Nee, Werbung macht Trish auch, für Discounter, Möbelhäuser, Baumaschinen, Limonade. Nur bei Mitteln gegen Blähungen sagt sie strictly no: „Die Frauen, die das machen, werden nie wieder etwas anderes machen können. Die tun mir so leid. Ich hoffe, sie sind gut bezahlt worden.“

Diese klare Karriereentscheidung zahlt sich aus. Sonst hätte Hollywood wohl kaum schon ein paar Mal bei der Best Agerin angeklopft. So ging im April ein Wunsch auf ihrer Bucket List in Erfüllung: einmal mit Benedict Cumberbatch drehen! In der Verfilmung von Jo Nesbøs Thriller „Blood on Snow“ hat sie sogar eine kleine Szene nur mit dem Star allein. Für den Plausch im Fischgeschäft eignete sich die 1944 auf der Isle of Wight geborene Südengländerin mit einem Voice Coach den Akzent aus Nordengland an. Mit ein bisschen Übung könne sie das mit jedem anderen Akzent, sagt sie.

Unser Gespräch führen wir übrigens auf Deutsch. Trish Osmond neigt zwar nicht zur ausufernden Plauderei, spricht es aber fließend, mit charmantem britischem Akzent. Probleme hatte sie mit der angeblich so schweren, harten Sprache nie. Ihrer Mutter will sie im Alter von vier Jahren gesagt haben: „Wenn ich groß bin, werde ich in Deutschland leben.“ Es sollte eine selbsterfüllende Prophezeiung sein.

Rheinwasser in den Adern

Deutschunterricht hatte der Teenager Trish ab dem 12. Lebensjahr auf einem der feinsten Mädchengymnasien Englands. Mit 15 reiste sie das erste Mal auf den Kontinent und empfand die zwei Wochen Göttingen „wie eine andere Welt“. Mit 17 wollte sie sogar die Schule abbrechen, um in Deutschland zu bleiben. Nach einem halben Jahr musste sie zurück. Warum? „Ach, das ist eine andere Geschichte“, lächelt sie die Frage weg. Bis zu ihrem 45. Lebensjahr ergab sich jedenfalls nie wieder die Gelegenheit, Deutsch zu sprechen, erst als sie 1989 aus dem Flieger stieg, um als Zivilistin der British Army britische Soldaten in Krankenhäusern am Niederrhein zu betreuen. Jede gelernte Vokabel war ihr noch präsent.

Wer ihr zuhört und sie sieht, merkt: Trish Osmond ist britisch durch und durch. Sie erfüllt sogar das Klischee der Rosenzüchterin. Trotzdem nahm sie die deutsche Staatsbürgerschaft an, wegen Brexit. Ein Zurück auf die Insel gibt es für sie nicht mehr, „nein, nein, nie wieder“, auch wenn sie immer mal wieder ihre Füße im Meer vor Cornwall baden muss. Was sie an Deutschland so liebt? Tja, das sei für sie schwierig zu beantworten: „Hier ist alles unter Kontrolle, sauber und sicher.“ Jedes Mal, wenn sie über die Brücke nach – Kölner, bitte weghören – Düsseldorf fahre, fühle sie sich, „als ob das Rheinwasser durch meine Adern fließt“. Sie gehöre hierher. Sie könne es nicht anders erklären.

Noch intensiver ist nur noch Trish Osmonds Liebe zur Schauspielerei.

Ihre Kindheit back in England sei „nicht die schönste“ gewesen, erzählt die alte Dame, „außer auf der Bühne“. Der Vater spielte Laien-Theater und nahm die kleine Trish immer mit. Die erste Sprechrolle hatte sie mit zweieinhalb: Sie war ein Teddybär und sagte den Satz: „Mein Name ist Twopence.“ Sie nahm Ballettunterricht und ließ ihre Stimme trainieren. Sie sang in Musicals und spielte Shakespeare. Mit 21 fand sie sich dann verheiratet mit dem leider falschen Mann und zwei Kindern. Schluss war es mit Theater für sehr lange Zeit. Sie musste Geld verdienen. Erst mit Ehemann Nr. 3, einem Waliser, mit dem sie nach Deutschland zog, konnte sie an ihre wahre Leidenschaft wieder anknüpfen.

In ihrer Wahlheimat schloss sich Trish Osmond einer Laientheatergruppe an. Die Hexe in „The Wizard of Oz“ war ihre Lieblingsrolle. Auf Festivals der European Anglophone Theatrical Societies in Bad Homburg und Hamburg wurde sie sogar zweimal als beste Schauspielerin ausgezeichnet. 2013, sie war gerade in Rente, löste sich das Laientheater in Mönchengladbach auf. Was also tun? Die rastlose Rentnerin googelte: „Wie wird man in Deutschland Komparse?“

Die Liebe zur Schauspielerei, die Angst vor dem Schnitt

Auf komparse.de ergatterte sie ihren ersten TV-Job: In der Doku-Soap „mieten, kaufen, wohnen“ mimte sie eine betuchte Seniorin mit Kaufabsicht bei TV-Makler Oliver Mösch. Und dann ging es ab. Es kamen Jobs rein mit und ohne Text, und immer verbunden mit dem Bangen: Was bleibt auf dem Cutting-Floor? Ihre Szene in „Jojo Rabbit“ zum Beispiel: leider nicht mehr drin. Geblieben ist ihr die Erinnerung an einen schönen Kaffeeplausch mit Regisseur Taika Waititi am Set in Prag. Oder wie sie Mario Barth und Jürgen Vogel in der RTL-Gameshow „Du musst dich entscheiden“ im Judo niederringt (sie besitzt den Blauen Gürtel!): nie ausgestrahlt wegen vorzeitiger Absetzung der Show.

Trish Osmond © Carmen Körner
Solche Rückschläge gehören im Schauspielerleben dazu. Trish Osmond lässt sich davon nicht abhalten. Bei Francisco Medina, fernsehbekannt aus der RTL-Soap „Alles was zählt“, besuchte sie Workshops, um ihr Spiel zu verbessern und auch sich selbst besser kennenzulernen. Zu ihrer Professionalisierung gehört, dass sie sich seit 2019 von Empire Agency vertreten lässt.

Ihre Agentur spricht seither bei der Rollenauswahl mit. Das hatte zur Folge, dass Trish Osmond beim Anruf der „heute-show“-Redaktion „Trish, hast du morgen Zeit“ nicht mehr wie in den Jahren zuvor mit „Na klar“ antwortet. „Die zahlen nicht genug“, erklärt sie lachend. 100 Euro Gage ohne Text bzw. 120 Euro mit Text (so wie hier angeboten) sind eben alles andere als königlich, wenn man davon auch noch was abgeben muss.

Trish Osmond betont allerdings, dass es ihr nicht nur um Geld geht: „Wenn ich eine wirklich tolle Rolle angeboten bekomme, die ich unbedingt spielen möchte, dann reichen mir 100 Euro und ein Stück Pizza.“ Sie mache auch Studentenfilme für lau, „das ist okay“. Was sie strikt ablehnt: Sie macht nichts, wo sie ins Wasser gehen oder Fahrradfahren muss. Vor Nacktszenen habe sie dagegen gar keine Berührungsängste. Hello, in „Siberia“ habe sie mit Willem Dafoe nackt gespoont! „Okay, er war angezogen“, ergänzt Trish Osmond lachend, „Willem war so nett.“

By the way, was hält sie von deutschem Fernsehen? Kurz gesagt: It’s really not her cup of tea. Trish Osmond schaut lieber englisches. Das sei „viel breiter aufgestellt“, nicht so viele Krimis, außerdem sei der Humor interessanter, tiefergehend: „Deutscher Humor ist so offensichtlich. ,Ha ha ha, lustig, alle lachen mit‘ – das ist nicht mein Humor.“ Wirklich lachen kann sie nur bei „Rosamunde Pilcher“. Das habe mit dem echten Leben in Cornwall so gar nichts zu tun.

Die Unlust an deutschen Krimis hält sie freilich nicht davon ab, in deutschen Krimis mitzumachen. Mehrmals spielte sie schon im ARD-„Tatort“. Zuletzt saß sie in der Saarbrücken-Folge „Der Fluch des Geldes“ in einem Wagen, der von einer jungen, berauschten Clique von der Straße abgedrängt wird. Nach wenigen Sätzen Text stirbt sie, trotz beherzter Mund-zu-Mund-Beatmung durch den von Vladimir Burlakov gespielten Hauptkommissar. Von den weichen Lippen vom „lieben Vladimir“ schwärmt sie noch heute, „das war schön“.

Alt sein kann man nicht lernen

Ginge es nach ihr, würde sie noch mehr spielen, spielen, spielen. Sehr gerne auch im englischen Fernsehen. Ihre Agentur bewirbt sich ständig für sie jenseits des Ärmelkanals. Das Problem sind aber die Kosten. Wer zahlt schon einer Komparsin vom europäischen Festland Anreise und Hotel? In Deutschland sieht sich Trish Osmond wiederum mit einem anderen, gravierenderen Problem konfrontiert: Sie fühlt sich aufgrund ihres Alters diskriminiert.

Oft spiele eine junge Person eine alte mit grauer Perücke und ein paar Streifen im Gesicht, stellt die Schauspielerin verärgert fest. Um eine alte Person spielen zu können, müsse man aber alt sein: „Wir bewegen uns anders, wir atmen anders. Das kann man nicht lernen, wenn man erst 40 ist.“ Zu ihrem Glück sehen das Leute wie Carolin Kebekus ebenso.

Mit der TV-Comedienne hat Trish Osmond schon oft zusammengearbeitet. Bei „Pussy Terror TV“ hatten sie einen gemeinsamen Sketch, in dem sie von der Kebekus alias Society-Lady Veronika Rodcke im Altersheim mit Apfelmus gefüttert wird. Das Zeug hatte Trish Osmond in den Augen, im BH, überall. „Das war so lustig, wir haben so gelacht.“ Als sie sich ein paar Monate später wiedertrafen, entdeckte Trish die Apfelmus-Szene auf dem Handy der Spielpartnerin: „Carolin Kebekus‘ Bildschirmschoner zu sein, ist eine Ehre!“

Deshalb zuckte sie auch keine Minute, als sich die Gelegenheit ergab, wieder mit der „lieben Carolin“ zusammenarbeiten. Hinzu kam, dass besagter Halbzeitpausenspot, auf Social Media mit dem Hashtag #meldedichmalwieder beworben, für sie kein Job wie jeder andere war. Der Inhalt habe sie „richtig ins Herz getroffen“, sagt Trish Osmond, „beim Thema Einsamkeit kann ich mitreden.“

Trish Osmond © WDR/MySpass/Screenshot

Sie habe zwar ihre Kinder, Enkel und Urenkel alle bei sich, „aber nur geografisch gesehen“. Es freue sie, wenn der Spot viele Reaktionen bei den Menschen hervorgerufen habe und den einen und die andere animiert habe, zum Hörer zu greifen. „Schade, dass er nichts bei meiner Familie bewirkt hat.“ Und dann erzählt die alte Dame von einem ihrer Söhne, der studierter Komponist ist. Er habe ihr einmal gesagt: „Mutter, ich hätte nie gedacht, dass du einmal berühmter sein wirst als ich.“ Seitdem hätten sie kaum mehr gesprochen. „Das tut weh.“

Oh no!!

Was ihr gegen Trübsal hilft? Frei nach Descartes: „Ich spiele, also bin ich.“ Die Queen, die immer ein Teil auch von Trish Osmonds Leben war, gab sich ja auch nicht im hohen Alter dem Müßiggang hin, nicht wahr? Wann immer die rüstige Seniorin in Mönchengladbach den Fernseher einschaltet, überkommt sie der Gedanke: „Warum bin ich nicht dabei? Das kann ich auch. Ich könnte es sogar besser. Warum fragt ihr mich nicht?“

Gefragt haben glücklicherweise im Sommer Anke Engelke und Matthias Brandt. Der gemeinsame Sketch wird an Silvester ausgestrahlt. Es ist der vierte Film in der "Kurzschluss"-Reihe des WDR. Das wird ein Knaller. Augen auf für Trish Osmond!