Wiebke Schodder aus München wird in wenigen Wochen zum ersten Mal Mutter. Mit diesem Satz könnte die Geschichte schon zu Ende sein, aber damit fängt sie erst an. Denn diese Frau von 40 Jahren leitet seit Oktober 2016 den Sender sixx aus dem ProSiebenSat.1-Konzernkosmos. Sie ist in der gut zehnjährigen sixx-Historie nicht nur die am längsten amtierende Chefin, sondern eine der wenigen Senderchefinnen überhaupt in der deutschen TV-Landschaft. Oder richtiger: Sie war es. Denn mit dem heutigen Samstag gibt die TV-Managerin ihren obersten Leitungsposten bei sixx auf. Aus freien Stücken und in vollem Bewusstsein, dass sie mit ihrer persönlichen Entscheidung nicht nur auf Verständnis stößt. Aber sie will es so.

Die vergangenen fünfzehn Jahre hat sie nonstop gearbeitet, davon fast zwölf im Unternehmen in Unterföhring, und das auch „immer wirklich sehr gerne“. Doch jetzt kommt etwas in ihr Leben, wo sie innehält und sich fragt: Willst du genauso weitermachen? Oder willst du was verändern?

Schodder links © Florian Bachmeier
Die Veränderung in Wiebke Schodders Leben ist auf den ersten Blick nicht zu sehen – erst als sie sich kurz erhebt und lachend „das sind keine Fake News“ ihren prallen Bauch im Profil herzeigt. Den Wäscheständer mit der Babywäsche hat sie noch schnell vor dem Interview aus der Sichtachse des Kameraauges weggestellt. Die Vorbereitungen auf den großen Tag sind also in vollem Gange. In wenigen Wochen werden sie und ihre Frau zu viert sein. Die gemeinsame inzwischen dreijährige Tochter hat ihre Partnerin damals zur Welt gebracht. Diesmal ist Schodder dran mit dem physischen Teil der Familienerweiterung.

„Das Baby ist ein willkommener Anlass für eine Zäsur“, erklärt die werdende Mutter und strahlt, wie ihr „Double“ Rebecca Immanuel nicht schöner strahlen könnte – Schodders Ähnlichkeit mit der Schauspielerin, die in der zweiten „The Masked Singer“-Staffel mitsang, ist wirklich frappierend. Bei aller sichtbaren Vorfreude auf das, was kommt, möchte Schodder aber gleich vorneweg nicht falsch verstanden werden: „Der Plan ist nicht, mit der beruflichen Karriere aufzuhören.“ Es sei auch keinesfalls so, dass sie bei sixx nicht hätte weitermachen können. Für die Verknüpfung von Muttersein und Chefinsein sei der kleine Sender, der Programm speziell für Frauen macht, sogar sehr geeignet. „Aber auch ohne Baby war es an der Zeit, dass sixx und ich uns in die Augen schauen und fragen: Wie lange bleiben wir noch zusammen?“

Ein paar Tage zuvor konnte Schodder ihrem geliebten sixx ein letztes Mal und ganz real in die Augen schauen. Unten auf der Straße vor ihrer Haustür reihte sich, in gebührendem Corona-Abstand, das Team auf, mit dem sie teilweise schon zusammengearbeitet hat, als sie bei ProSiebenSat.1 noch in der Rolle Vice President Factual war und sixx mit Eigenproduktionen auf den Weg zum 360-Grad-Markenuniversum brachte. Grob gesagt steht sixx heute als Plattform da, wo Enie van de Meiklokjes Kuchen backt und Sexpertin Paula Lambert kommt, und zwar 24/7 und total crossmedial. Ob es zum lockdowngemäß milde zelebrierten Ausstand vor der eigenen Tür einen Enie-Kuchen für Schodder gab? Auf jeden Fall ein Abschiedsgeschenk mit einem Zitat von Michelle Obama: „Success isn‘t about how much money you make, it‘s about the difference you make in people‘s lives.“ Wenn Schodder davon erzählt, steht ihr die Rührung in den Augen.

Sie hat in ihrem Team offenbar etwas bewegt, so wie auch das kleine sixx bei seinen Zuschauerinnen und Userinnen etwas bewegen will: Es will dazu ermutigen, Vielfalt zu leben. Nach Schodders Definition bedeutet Vielfalt: Morgens im Jogginganzug, abends Highheels, ohne dass gelästert wird, morgens lässt sie sich gehen und abends brezelt sie sich auf. Die Frauen sollen sich entlastet fühlen: Du musst nicht perfekt sein. Wir sind es auch nicht und leben „perfectly imperfect“. Bei aller Ernsthaftigkeit, die der Sender manchmal auch an den Tag legt, wenn er zum Beispiel Programm zum Weltbrustkrebstag macht, sieht Schodder die zentrale Senderaufgabe im Entertainment, in der Verbreitung eines „Prosecco-Gefühls“: Lehnt euch zurück, gönnt euch. Ihr dürft das. Ist total okay. Und es ist uns egal, was ihr dabei anhabt. Diese Leichtigkeit, die bei sixx immer mitschwingen soll, hält Schodder für „enorm wichtig in einer Zeit, in der auf Frauen so viele Erwartungen einprasseln und Debatten über Gender und Emanzipation oftmals mit so viel Schwere geführt werden“.

Schodder rechts © Florian Bachmeier
Die von ihrer „Senderin“ (wie sich der Free-TV-Kanal für Frauen auch nennt) propagierte Freiheit zur Selbstbestimmung scheint in Schodders Fall allerdings da aufzuhören, wo sie das Emanzipationsideal anderer Frauen erschüttert. Als weibliche Superpower wurde die sixx-Senderchefin gefeiert, als Vorbild für den gelungenen Aufstieg in die Führungsetage. Auf Panels erfüllte sie, die einst als freie Journalistin nach Unterföhring kam, um unter anderem für Kabel-Eins-Auswanderer in ein neues Leben zu führen, ihre Empowerment-Funktion in Perfektion. Nun sagt Schodder, dass ihre Entscheidung zum Rückzug in die Elternzeit ohne Wiederkehr auf den sixx-Chefinnensessel „unglaublich polarisiert“ habe. Es kamen Leute auf sie zu, und zwar ausschließlich Frauen, die ihr sagten: Das kannst du nicht machen. Damit sendest du das falsche Signal. „Aber warum soll es das ,falsche Signal‘ sein“, fragt die Gescholtene zurück, „warum ist es nicht das richtige? Ich erkläre der Emanzipation doch nicht den Bankrott, wenn ich eine Pause einlege. Für mich ist es ein Zeichen von Selbstvertrauen und der Überzeugung, dass Karriere auch mit einem Kind weiter geht.“ Und überhaupt: Jede Frau dürfe doch selbst für sich entscheiden, wie es am besten für sie passt. Da halte sie es mit dem Frauenbild, für das sixx steht: Keine Frau ist nur eine Frau.

Wäre Schodder ein Mann, könnte sie sich vor Beifall kaum retten. Treten Top-Manager für die Familie aus der ersten Reihe ab, was sehr, sehr selten vorkommt, wird das in Schlagzeilen gefeiert wie zuletzt über Rubin Ritter. Ritter war bis Jahresende einer von drei Co-Chefs des Versandhändlers Zalando. Weil er in diesen Tagen, ebenso wie Schodder, Nachwuchs bekommt, drückt auch er den Pausenknopf mit der bemerkenswerten Begründung, dass er in den kommenden Jahren seiner Frau den Vortritt lassen will. Sie soll im Beruf weiterkommen, während er wickelt. Soziologen haben für dieses Phänomen auf höchster Managementebene den Begriff „Downshifting“ erfunden. Dahinter steckt der Gedanke, dass zu einer Karriere nicht mehr zwingend nur der Weg nach oben in der Hierarchie im Unternehmen gehört, sondern manchmal auch der freiwillige Schritt zurück, ein beruflicher Wechsel oder eben eine Auszeit.

Ein erstes kurzes Downshifting (das nicht annähernd finanziell so üppig gepolstert gewesen sein dürfte wie bei Ritters) probte Schodder, als sie kaum sixx-Chefin war. Ihre Frau, ebenfalls bei Pro Sieben Sat.1 unter Vertrag (inzwischen als Director Marketing bei Seven.One Entertainment), wurde schwanger, und Schodder machte quasi den Rubin Ritter, indem sie sich die Elternzeit mit ihrer Partnerin teilte. Das rechnet Schodder ihrem Arbeitgeber noch heute hoch an. „Sehr familienfreundlich“ gehe es in Unterföhring zu, mit flexiblen Arbeitszeiten und Betriebskindergarten. „Aber über allem steht eine Grundtoleranz und Offenheit, die es gar nicht infrage stellt, sondern selbstverständlich ermöglicht, Beruf und Kinder zu vereinen.“ Dieses Möglichmachende schätze sie sehr. „Man muss es halt nur aussprechen, die Wünsche, auch die Unsicherheit.“

Wiebke Schodder © Getty/Isa Foltin Als Events machbar waren: Schodder beim VPRT-Sommerfest 2017

Diesmal will Schodder länger pausieren, bis zum Herbst. Und wieder zog sie ihre Vorgesetzten, vor allem Vorstandsmitglied Wolfgang Link, vorab ins Vertrauen. Gemeinsam berieten sie, gemeinsam beschlossen sie: „Wir nutzen die Gelegenheit, sixx und mir neue Impulse zu geben“, formuliert es Schodder. Sie wolle sich bei ProSiebenSat.1 „weiterentwickeln“ und freue sich „über die Möglichkeit, das ab Herbst zu tun“. Mit anderen Worten: Es gibt da ein Commitment. Und bei Schodder keine Sorge vor dem Karriereknick, die vielen Frauen post-natal zu schaffen macht.

Es knickt halt doch oft etwas ein, sobald man ein Kind in die Welt setzt. Entweder man trifft nicht auf solch verständnisvolle Vorgesetzte, wie sie Schodder offenbar hat. Oder frau sucht neue Orientierung, Förderung und Austausch. Nicht umsonst poppen immer mehr Business-Netzwerke wie „Frau Wertvoll“ auf (gegründet von einer zweifachen Mutter und Ex-Redaktionsleiterin der Kölner TV-Produktion Meworks), die sich gezielt an arbeitende Mütter ab 40 richten. Doch Schodder ist guter Hoffnung, in doppeltem Sinn: „Frau kann Kinder kriegen und trotzdem weiter Karriere machen.“ Sie glaubt, ein Kind „kann sogar der Karriere einen Boost verschaffen, weil es neuen Mut entfacht, um bewusst den nächsten Schritt zu gehen“. Andererseits ist sie zu der Überzeugung gelangt, dass Vereinbarkeit von Beruf und Familie eben auch bedeuten kann, dass man das eine mal eine Zeitlang lässt, um das andere ganz tun zu können. „Ich bin grundsätzlich nicht der Typ für halbe Sachen. Halb Familie, halb sixx – dieser Kompromiss ist nicht mein Ding. Sowohl sixx als auch mein Baby brauchen in den nächsten Monaten die volle Aufmerksamkeit.“

Schodders Vor-Vorgängerin bei sixx, Eun-Kyung Park, wählte einen anderen Weg nach der privaten Familienvergrößerung. Nach dem zweiten Kind, das sie in der sixx-Phase bekam, nahm sie nur eine sehr kurze Auszeit. Quasi nahtlos schloss sich die nächste Beförderung bei ProSiebenSat.1 an und kurz darauf die nächste und die nächste, bis Park den Schoß der Konzernfamilie in Richtung Disney verließ. Wechsel und Weiterkommen, so kann das Spiel gehen, jedenfalls bei ProSiebenSat.1.

Wer für Wiebke Schodder bei sixx eingewechselt wird? Die Tinte im Vertrag der auserwählten Person ist noch nicht trocken. Nur so viel steht fest: Die Nachfolge wird intern gelöst, es wird eine Frau. Was sonst. Die ausgeschiedene Senderchefin freut sich derweil darauf, sich mal ein halbes Jahr mit keinem Trello-Board, keinen Teams-Calls und Outlook-Einladungen befassen zu müssen. „Aber wer weiß, wie ich in ein paar Wochen denke“, sagt sie, „vielleicht hacke ich mich in einen Call ein, wenn ich meine Kollegen sehr vermisse.“ Vielleicht läuft es aber auch ganz anders, so wie bei Schodders direkten Vorgängerin bei sixx. Als Christina Kuby 2016 schwanger wurde und in Elternzeit ging, war der Plan zurückzukehren. Nun ja. Das Leben dreht Pirouetten. Mittlerweile ist Kuby dreifache Mutter und, was man so weiß, voll auf mit dieser Rolle beschäftigt, nur mit keiner bei ProSiebenSat.1.

Man wisse ja nie, wie eine Geburt einen verändert, gibt sich Schodder nachdenklich. Was sie nicht infrage stelle: „dass es trotzdem gut und richtig ist, das sixx-Kapitel nach mehr als vier Jahren abzuschließen“. Und dann schiebt sie zur Verabschiedung noch diesen einen denkwürdigen Satz hinterher: „Messen Sie mich an meinem Anspruch, dass ich nicht für immer weggehe!“ Machen wir. Aber jetzt erstmal ab in den Kreißsaal.