Exakt heute vor einem Jahr, am 20. Februar 2020, als die Katastrophe in Wuhan noch so was von weit weg war, weilte Herbert Leopold Kloiber zum Berlinale-Auftakt in der Hauptstadt, um geschäftliche Gespräche zu führen, nur er kam kaum dazu. Pausenlos klingelte das Telefon. Denn an jenem Februartag ging die Meldung um den Medienglobus, dass Kloiber eine eigene Film- und Fernsehproduktionsfirma gegründet hat, die Night Train Media in München. Das Ballyhoo wäre vermutlich eine Nummer kleiner ausgefallen, hätte es sich bei dem Firmengründer nicht um den vormaligen Geschäftsführer der Tele München Gruppe gehandelt. Diese wiederum war im Jahr zuvor, am 21. Februar 2019, von dem gleichnamigen Filmhändler verkauft worden, der zur hierzulande seltenen Spezies „Medien-Mogul“ zählt und mit seiner Verkaufsaktion gewaltig die Pauke schlug. Die Herbert Kloibers also, Sohn und Vater, im Schicksalsmonat Februar vereint.

Dass sich beide für sein Leben so wichtige Entscheidungen in dem Monat ereigneten, dem per Übersetzung aus dem Lateinischen reinigende Kraft nachgesagt wird, sei ihm gar nicht aufgefallen, lacht Kloiber jr. im Videogespräch. Er sitzt am Schreibtisch seines Büros mit 1a-Blick auf die Münchner Oper. Wie man sich diese Aussicht vorzustellen hat, zeigt eine Schwarzweißaufnahme auf der Website der Night Train Media. Kloiber höchstselbst fotografierte vom Fenster aus, weil ja auch Bilder zur digitalen Visitenkarte gehören. Die Architektur der Homepage ist Marke Eigenbau ebenso wie das Firmenlogo mit der lichtspuckenden Lock, dem ein Designer aus New Jersey finalen Schliff verpasste. Auch die Registrierung der Marke „Night Train Media“ beim Europäischen Patentamt nahm Kloiber in die Hand. Alles Dinge, von denen er zuvor keine Ahnung hatte und die Ausdruck sind seines starken Willens und klaren Fokus: Ich mache jetzt mein eigenes Ding von Grund auf.

Herbert Kloiber jr. © Sveinn Baldvinsson
Dieses „Ding“ eilt, nomen est omen, in Nachtzuggeschwindigkeit durch Europa, ach was die ganze Welt. Serien und Filme zur Abendunterhaltung will die Night Train Media entwickeln und produzieren, „mit denen wir die Zuschauer auf eine Reise mitnehmen, die ins Ungewisse führt“, erklärt Kloiber die kreative wie nostalgisch anmutende Namensfindung seiner Unternehmung. Kinderprogramm, reine Auftragsproduktionen oder allzu Nischiges wie Horror stehen nicht in seinem Fokus. Idealerweise sollen es Stoffe sein, die auf einer bestehenden „Intellectual Property“ aufsetzen, also auf einem Bestseller, einem starken Regisseur oder einer bekannten Schauspielerin. „Wir entwickeln nicht ins Blaue hinein“, sagt Kloiber und zählt Beispiele auf.

So entsteht gemeinsam mit der amerikanischen Blackbox Media die Serien-Adaption des Bestsellers „The Ex Wife“ von Jess Ryder. Und just in die Finanzierungsphase geht im Pakt mit der schwedischen NENT-Gruppe die SciFi-Serie „Veil“, bei der Craig Van Sickle mit im Boot sitzt, Kreativkopf hinter „24“ mit Kiefer Sutherland, also einer wegweisenden Top-Serie zu Beginn des Jahrtausends, als der Begriff „binge watching“ noch nicht geläufig war. Ob er denn nicht befürchtet, dass die Serienhypeblase irgendwann platzen könnte? Ach, das sei eine theoretische Angst, sagt Kloiber. Zwar gebe es eine gewisse „Angebotsübersättigung“ auf Konsumentenseite, aber noch werde „der Kuchen immer größer“. Fünf Jahre gehe das sicher noch so weiter. Und falls nicht: Die Night Train Media sei so flexibel, dass sie neue Trends schnell aufnehmen könne. Schon jetzt sei man auch in den Segmenten Factual, Dokumentation und Film ganz bewusst aktiv. Geografisch hat Kloiber seinen Aktionsradius ebenso weit gefasst: „Wir kaufen keine Rechte nur für den deutschsprachigen Markt.“

Bei der Tele München war genau das sein „tägliches Brot- und Buttergeschäft“: in den deutschen Markt zu verkaufen. Davon nimmt der junge Kloiber nun bewusst Abstand. Er wolle sich nicht allein von Deutschland abhängig machen, sagt er. „Lokale Partner sind zwar nach wie vor sehr wichtig, aber die Dynamik und das Wachstum für qualitative Inhalte aller Art sind so viel globaler geworden.“

Und sicher spielt auch das eine Rolle: Kloiber jr. sucht die bewusste Abgrenzung von Kloiber sen.

Als der Filius im Oktober 2012 das Kommando bei der Tele München übernahm, ließ der Gesellschafterpatriarch mitteilen, es gebe „keinen besseren Zeitpunkt und schöneren Moment in der 42-jährigen Firmengeschichte, nunmehr die wohlgerüstete nächste Generation auf die Brücke zu rufen“. Dirk Schweitzer, der damalige TMG-Geschäftsführer, hatte sich plötzlich aus persönlichen Gründen zurück nach Köln verabschiedet. Kloiber jr., bis dato in New York, London, Paris und Peking unterwegs, stand eigentlich mit Google, Amazon und Netflix im Austausch zur beruflichen Weiterentwicklung, sagte dann aber doch in München zu. Vorgezeichnet war dieser Weg in den beruflichen Familienschoß gleichwohl nicht, auch wenn der Vater den Sohn bereits im Babyalter durch die Gänge seines Büros vis-à-vis des Frauendoms krabbeln ließ. Später nahm der Alte den Jungen regelmäßig mit auf Geschäftsreisen und Messen. Spaßtermine waren dabei wie das Super Bowl Finale 1999 in Miami, an das sich Kloiber jr. lebhaft erinnert.

Er studierte zu dem Zeitpunkt in Boston Finanzwesen, die Denver Broncos spielten gegen die Atlanta Falcons, und mit am Tisch im Zelt vor dem Stadion saßen Rupert Murdoch, die Fox-Manager Mark Kaner und Peter Chernin sowie ein deutscher TV-Senderchef, der damals noch lange Haare trug und mit dem Kloiber jr. beim Pre-Game-Konzert der Black Crowns begeistert abrockte. „Wir hatten einen sympathischen Eindruck voneinander“, sagt er über seine erste Begegnung mit Fred Kogel, seinerzeit Sat.1.-Chef und 20 Jahre später CEO bei Leonine. In diesem Film- und Fernsehriesen der Finanzinvestoren KKR ging vor zwei Jahren die Tele München Gruppe auf. Kloiber sen. setzte sich aufs Altenteil in Fuschl, Kloiber jr. blieb auf der Brücke, aber nur ein halbes Jahr – um für Kontinuität zu sorgen, solange Kogel mit der Integration weiterer Zukäufe beschäftigt war. „Zwei Köche in einer Küche zu haben“, das hätte auf Dauer „keinen Sinn gemacht“, sagt Kloiber jr.

Aber warum wurde er eigentlich nicht Chefkoch?

Herbert Kloiber jr. © Sveinn Baldvinsson
Klar, hätte sein Vater gesagt, ich will unbedingt, dass du das weiterführst, dann hätte er es „wahrscheinlich gemacht“. Allerdings hätte die Voraussetzung dafür so sein müssen, „dass man die Tele München auch tatsächlich hätte umgestalten können“, sagt der bald 45-jährige Kloiber-Spross. „Wenn jemand 45 Jahre lang, durch großen Erfolg geprägt, eine feste Vorstellung davon hatte, wie ein Geschäft funktioniert, dann ist es für den anderen eher schwieriger als einfacher, neue Ideen in der Praxis umzusetzen.“ Kurzum: Man hätte das väterliche Unternehmen, dessen Kerngeschäft, der klassische Filmhandel, in zunehmend schwieriges Umfeld geraten war, stark umbauen und an die Anforderungen der Zeit anpassen müssen. Kloiber jr. wollte sich das nicht aufbürden: „Ich fand es in dem Moment sinnvoll, die Firma für ein attraktives Angebot zu verkaufen, anstatt selbst lange herumzudoktern und dann sicherlich auch psychologisch anstrengende Kämpfe führen zu müssen.“ Bei aller Emotionalität, die die Trennung von einer Firma mit sich bringt, er sei auf der anderen Seite erleichtert gewesen: „Ich konnte durch den Verkauf der TMG etwas Eigenes komplett neu gestalten, ohne Altlasten, ohne irgendetwas, was mich behindert.“

Der Senior gibt in Interviews wie diesem gerne zum Besten, wie er 1977 – da war sein Sohn gerade geboren – Walter Ulbrich die Tele München abkaufen wollte und um Geld vom wohlsituierten Vater bat, es aber nicht bekam, weil der vom Film- und Fernsehgeschäft nichts hielt. War es bei Herbert Leopold Kloiber nun anders? Ach ja, stöhnt er kurz auf, und in diesem Ach ja entlädt sich offenbar Frust, der vielen Nachkommen von Übervätern und Übermüttern innewohnt. „Ich habe Night Train Media bewusst allein gegründet und allein aufgebaut“, macht Kloiber jr. klar. Den Finanzierungsbedarf habe er im Übrigen dank der branchenfremden Serafin Unternehmensgruppe (sie baute Vermögen im Papierhandel auf) „für die nächsten Jahre gesichert“. Ob er wenigstens den väterlichen Rat suche? Er spreche mit ihm über die Branche im Allgemeinen, „das große Bild, aber wir gehen nicht so sehr ins Detail über das, was ich mit der Night Train voranbringe“.

Durch Corona wurde auch für Kloiber jr. natürlich einiges komplizierter. Investorengespräche kamen ins Stocken, weil Start-up-Finanzierung für einige Interessenten nicht mehr die höchste Priorität hatte. Aber aus Kloibers heutiger Perspektive passte das Timing für den Markteintritt dann doch gut: „Wir hatten keine stockenden Produktionen oder Stau im Portfolio wie viele andere, sondern konnten direkt loslegen mit festen Zusagen an unsere Partner.“ In einer „normalen Marktphase“, glaubt Kloiber, wäre der Start schwieriger geworden. Sie seien „agil und kapitalstark“ und könnten aufgrund der schlanken Strukturen Projekte „viel schneller zum Greenlight bringen als die meisten anderen Wettbewerber“. Auch Dienstleistungen wie Finanzierung von Lizenzkosten des beauftragenden Senderpartners könne die Night Train Media maßgeschneidert anbieten, „so etwas bieten Vertriebe oder Studios nicht an“.

Der Vater baute in vier Jahrzehnten ein Geflecht von Firmen und Beteiligungen nach beinahe Leo Kirch’scher Großspurmanier auf. Der Sohn fängt erstmal ganz klein an. Nach einem Jahr Night Train Media sind sie dort erst zu zweit. Im September stieß von Studio Canal Entwicklungschefin Olivia Pahl in gleicher Funktion nach München hinzu. Externe Dienstleister halfen bislang bei Finanzangelegenheiten und Vertragsgestaltung aus. Inzwischen hat das Projektevolumen ein Ausmaß erreicht, dass der Firmenchef demnächst eine oder einen Head of Finance sowie Head of Legal and Business Affairs einstellt. Die Beteiligung an einer London-basierten Produktionsfirma im Factual-Bereich steht kurz bevor. Im Mai ist Drehstart der Serie „The Holiday“ auf Malta für Channel 5, zu der Kloiber anzureisen hofft und und und. Der Nachtzug nimmt also Fahrt auf.

Auch privat erlebt der Lokführer gerade eine äußerst produktive Zeit. Zu den drei Mädchen, die er mit Ehefrau Julia hat, gesellte sich vor drei Wochen ein Brüderchen. Die Dynastie wächst – und der Nachwuchs automatisch in die Medienbranche hinein. Kloibers Älteste, gerade neun geworden, schreibt gerne Bücher und hofft, dass ein Film daraus wird – soweit hat sie den Zusammenhang ihres Vaters Biz verstanden. Bei Kinderfilmpremieren lächelten die kleinen Kloibers geübt in die Kameras. Und sogar einen Auftritt in einem Musikvideo haben sie hinter sich, ohne Pauken, aber mit Naturtrompeten. Oh „beautiful madness“, was da aus dem Hause Kloiber wohl noch kommt. . .